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# taz.de -- Die steile These: Baut neue Denkmäler!
> Überall in der Welt werden gerade Monumente gestürzt. Das ist okay. Aber
> es wäre gut, neue zu errichten – zum Beispiel für Gastarbeiter.
Bild: Bahnhof Wolfsburg, am 19.12.1970: Gastarbeiter aus Italien fahren in den …
Weil die Gelegenheit günstig ist, weil es einem eh schon länger peinlich
war oder um krasseren Aufruhr im Keim zu ersticken – gerade kriegt man den
Eindruck, als würden die Bürgermeister*innen dieser Welt ihren kolonialen
Denkmälern höchstpersönlich Schilder mit der Aufschrift „Bitte umschmeiße…
um den Hals hängen.
Bloß weg damit! In den USA gibt es sogar Bundesstaaten, die dieser Tage ein
Verbot kolonialer Denkmäler in die Wege leiten.
[1][Alles, was einst auf Sockel gehoben wurde, wackelt]. Insbesondere
Männer in Mänteln, auf Pferden, mit grimmigen Gesichtern und rassistischer
Vergangenheit. Die äußerst unbequem gewordene, in Stein gegossene
Erinnerung, die sogenannten „belasteten Denkmäler“ werden von Richmond,
Virginia, bis ins belgische Antwerpen in Flüsse, Keller und auf den
Sperrmüll verbracht. Neben Eroberern und Kriegern erwischt es auch
amerikanische Verfassungsväter (Thomas Jefferson), deutsche Philosophen
(Kant und Hegel) und britische Hitler-Gegner (Winston Churchill).
Ausgelöst durch die weltweiten Proteste gegen rassistische Polizeigewalt
und die Solidarisierung mit der Black-Lives-Matter-Bewegung hat ein
Denkmalsturm begonnen, den jahrzehntelange akademische Diskurse und
gesellschaftliche Initiativen nicht besorgen konnten.
Was da also wackelt, fällt und stürzt, hatte schon lange keinen guten Stand
mehr. Kunsthistoriker*innen, aber auch antikoloniale Aktivist*innen sind
alarmiert und kritisieren, dass es mit dem Wegräumen des alten Plunders
nicht getan ist, und fordern die Umgestaltung dieser Denkmäler. Koloniale
Geschichte und ihre Nichtaufarbeitung sollten nicht einfach vergessen,
ausgelöscht und damit unsichtbar werden.
Doch braucht eine demokratische, internationale, diverse, liberale, offene
Gesellschaft überhaupt noch Denkmäler? Ich finde: ja. Ich finde sogar:
Nachdem jetzt kräftig aussortiert wird, kann dann auch wieder neu
eingerichtet, also errichtet, werden.
Klar: In Zeiten des Niedrigschwelligen (Leichte Sprache, Inklusion,
Betroffenenperspektive) ist das Hochstehende, Angestrahlte und Ausgestellte
suspekt geworden. Allein das Wort Denkmal auszusprechen wirbelt schon
mindestens so viel Staub und Taubendreck auf, wie auf den meisten von ihnen
wirklich liegt.
Das Denkmal ist die schwere Schrankwand unter den Einrichtungsgegenständen
in Städten, Dörfern und Gegenden. Einst vom Urgroßvater mit Stolz
angefertigt, war es schon für die Söhne und Töchter eine Erblast, für deren
Kinder ein Fremdkörper, und nun misten die Enkel aus.
Aber sollen wir jetzt auch die öffentlichen Orte mit radikal reduzierten
Accessoires im luftig leichten Minimalismus-Stil belassen und nur hier und
da ein Nierentischchen, einen Pouf, eine Stehleuchte hinstellen, maximal
ein raffiniertes historisches Detail platzieren, etwa einen Humidor aus
spanischem Zedernholz oder Honduras Mahagoni? So kalt und karg, wie es in
den Schöner-wohnen-Lofts zugeht, wird dann auch das öffentliche Leben sein.
Schon jetzt ist der öffentliche Raum in den neuen Trabantensiedlungen mit
seinen glatten Betonflächen vor allem als Trainingsraum für den
Feierabendworkout gedacht. Arg überinterpretiert könnte man zwar sagen,
dass diese kalten, zugigen, unfreundlichen Stahlglasbetonmixsiedlungen eine
Hommage, eine Erinnerung an das untergegangene Industriezeitalter sind, und
also ein Denkmal.
Ein noch viel größerer Graus aber sind in diesen neuen sterilen Wohnanlagen
die immer dazugehörenden Plastiken und Skulpturen, die den Raum „aufwerten“
sollen, aber aussehen, als hätte man sie als Schnäppchenangebot im Baumarkt
gekauft und auch genauso sinnlos sind.
Vor den allermeisten historischen Denkmälern aber steht doch jeder erst mal
mit der Frage: „Wer war das überhaupt?“ Ich halte das für eine wichtige
Frage. Ein Denkmal ist wie ein Stolperstein. Selbst wenn man jahrelang über
ihn drüber- oder an ihm vorbeiläuft, ohne sich darum zu scheren, irgendwann
mal will man ja doch wissen, wer oder was da eigentlich auf den Sockel
gehoben wurde.
## „Kanaken“ und „Spaghettifresser“
Ein Denkmal kann dabei behilflich sein, zu erfahren, wer die Herero waren
und was Deutsche ihnen angetan haben, oder dass das Wirtschaftswonderland
BRD ohne die Hilfe der „Ausländer“, „Kanaken“ und „Spaghettifresser�…
weniger schnell und billig zu dem geworden wäre, was es heute ist.
Seit Jahren wird auch in Deutschland eine zentrale Gedenkstätte für die
Opfer des Kolonialismus in Berlin gefordert, was Kulturstaatsministerin
Monika Grütters und die Staatssekretärin für Internationale Kulturpolitik,
Michelle Müntefering, prinzipiell gut fänden.
Aber mal abgesehen von der Frage, ob die Zentralisierung von Erinnerung,
wie es in Berlin das Holocaustmahnmal als Pionierprojekt ist, tatsächlich
so eine gute Idee ist, scheint die Debatte um die Errichtung neuer,
zeitgemäßerer Denkmäler genauso lang zu dauern, wie es gedauert hat, die
Altlasten loszuwerden.
So wie beispielsweise ein Denkmal für die Gastarbeiter*innen. 2019 forderte
Michelle Müntefering sogar auch für diese Gruppe ein zentrales Monument.
Schon seit 2004 aber gibt es in Frankfurt eine Initiative für ein solches
Denkmal am Hauptbahnhof, der neben dem Münchner Pendant der zentrale
Ankunftsort für die zwischen 1955 und 1973 angeworbenen Menschen aus der
Türkei, Italien, Spanien und Jugoslawien war.
Auch in Wien, Essen und anderswo gibt es solche Initiativen seit Jahren.
Allein die Stadt Frankfurt hatte vor 16 Jahren einen Wettbewerb
ausgeschrieben und schon einen Sieger gekürt. Die Realisierung scheiterte
aber angeblich an der Deutschen Bahn, der Eigentümerin des Bahnhofsplatzes.
Immer wieder mal gab es kleinere, provisorische, mobile Denkmäler für diese
Gruppe, die im Zuge des von den Alliierten beschlossenen Wiederaufbaus von
Deutschland gerufen wurden. Es gibt aber – meines Wissens – bislang nur ein
einziges fest installiertes Denkmal: Es handelt sich um einen in Beton
gegossenen Ford Transit in Miniaturform, der über und über mit verschnürtem
Dachgepäck aus Matratzen, Koffern, Hühnerställen und Waschmaschinen beladen
ist und auf einem kleinen Sockel in Bremen steht. Es erinnert an die
Sommerreisen der Gastarbeiter*innen in ihre Herkunftsländer.
## Sie brachten Urlaubsorte und Auberginen
Zwar fuhren viele von ihnen damals gar nicht Ford Transit, sondern Ford
Taunus, aber geschenkt. Das damalige Lebensgefühl dieser Menschen – im
Transit zu leben – ist mit dem Namen des Kleintransporters einfach perfekt
getroffen.
Diese Menschen wussten irgendwann nicht mehr, wo sie eigentlich zu Hause
waren. Dort, wo sie geboren waren und ihre Ferien verbrachten, oder dort,
wo sie arbeiteten, lebten, ihre Kinder bekamen und Steuern zahlten? Waren
sie gekommen, um wieder zu gehen oder um zu bleiben? Der deutsche Staat und
die deutsche Gesellschaft hat ihnen diese Entscheidung jahrzehntelang
äußerst schwer gemacht. Begriffe wie Einwanderungsland und
Willkommenskultur waren bis weit in die 1990er Jahre keine Option.
Es ist Zeit, dass diese Republik die Gastarbeiter*innen würdigt. Jene
Menschen, die nicht nur an den Fließbändern und Baustellen ablieferten,
sondern den Deutschen auch Urlaubsorte und Auberginen brachten und in den
Debatten über Integration, Nation, Rassismus und Diskriminierung so einiges
geleistet haben.
Der Guerillero Ernesto Che Guevara forderte 1967: „Schaffen wir zwei, drei,
viele Vietnam!“ Damit rief er zum weltweiten bewaffneten Aufstand gegen den
Imperialismus auf. Die Idealisierung dieses bewaffneten Kampfs ist längst
von ihrem Sockel geholt und Che Guevara auch schon eine mit dick
Taubendreck verstaubte Ikone geworden. Trotzdem spricht nichts gegen die
Idee einer unbewaffneten Revolution der Erinnerungskultur weltweit. Und
deswegen: Schaffen wir zwei, drei, viele Denkmäler!
5 Jul 2020
## LINKS
[1] /Debatte-um-Denkmalstuerze/!5688364
## AUTOREN
Doris Akrap
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Schwerpunkt Rassismus
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