# taz.de -- Debatte um Zeugnisse des Kolonialismus: Neue Denkmäler braucht das… | |
> Die Skulpturen fragwürdiger HeldInnen der Geschichte werden in Frage | |
> gestellt. Das ist in Ordnung, wir sollten aber auch den Guten gedenken. | |
Bild: Wieder vom Sockel geholt: „A Surge of Power (Jen Reid) 2020“ des Bild… | |
Tja, in Bristol haben sie im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegungen ja | |
nicht nur das Denkmal des reichen Sklavenhändlers aus dem 17. Jahrhundert | |
umgestürzt und ins Meer geworfen, vergangene Woche [1][legte der Künstler | |
Marc Quinn noch einmal nach], formte aus Bronze eine Skulptur der schwarzen | |
Aktivistin Jen Reid, die am Denkmalsturz beteiligt war, und setze die Figur | |
in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf den leeren Sockel. Ein | |
Heldinnendenkmal, wie man es heute nicht mehr bauen würde – Blick in den | |
Himmel, Faust nach oben geballt, viel Street-Credibility, eine Prise | |
Sexyness –, und das vielleicht auch ein wenig ironisch zwinkert. | |
[2][Diese Denkmaldebatten] – und die Intervention des Künstlers ist Teil | |
davon – werfen viel mehr Fragen auf, als man denkt. Zunächst: Welche | |
dunklen Gesellen wollen wir in unseren Städten herumstehen lassen? | |
Manche meinen, man solle die Geschichte nicht auslöschen und mit den Zeugen | |
versunkener Epochen anders umgehen, als sie einfach wegzuräumen. Wann hat | |
das eigentlich begonnen, dass man meinte, alles, was jemals gebaut und | |
errichtet wurde, müsse stehen bleiben? Hätten frühere Generationen so | |
gedacht, unsere Städte sähen ganz anders aus, und es gäbe keinen | |
Quadratmeter Freiraum für Modernisierungen. | |
Dabei geht es nicht nur um die Adolf-Hitler-Straßen, die glücklicherweise | |
umbenannt wurden, bevor jemand auf die Idee kam, zu sagen, „dass sie doch | |
auch zu unserer Geschichte dazugehören“, sondern um viel simplere Fragen. | |
Etwa: Warum soll man nicht einen erheblichen Teil rostiger, alter Trümmer | |
einfach wegräumen, um Platz für Neues zu schaffen? | |
## Fragwürdige Heldengestalten | |
Hinzu kommt aber noch etwas anderes: In den vergangenen Jahrzehnten hat | |
sich ja nicht nur unser Blick auf Denkmäler fragwürdiger Heldengestalten | |
aus früheren Äonen verändert, es hat sich unser Blick auf die Institution | |
Denkmal selbst verändert. Heldenfiguren, die man auf Sockel stellt – das | |
tun wir einfach nicht mehr, weil wir, darüber sind sich bei aller | |
Polarisierung zeitgenössische Gesellschaften ziemlich einig, eine Skepsis | |
gegenüber der Heroisierung haben. | |
Arbeit am nationalen Gedächtnis via „positive Identifikation“ findet daher | |
kaum mehr statt. Viel eher würde man Mahnmäler errichten, die an Genozide | |
und eine Geschichte der Schande erinnern, und wenn die figural sind, dann | |
noch am ehesten in Gestalt anonymer Opfer von Völkermorden oder | |
Staatsverbrechen. | |
All das ist auch Arbeit am nationalen (oder auch mittlerweile am | |
postnationalen) Gedächtnis, aber eben über „negative Identifikation“. Man | |
stellt nichts mehr auf, worauf man sich positiv beziehen kann, sondern nur | |
mehr, worauf man sich negativ bezieht, und das man dann in das Postulat | |
„Nie wieder“ wendet. Das zeigt aber auch, dass wir nur mehr ausdrücken | |
können, wogegen wir sind, aber uns schwer tun, zu manifestieren, wofür wir | |
wären. | |
Diese beiden Ansprüche – die Geschichte nicht auslöschen, aber keine neuen | |
Heldenskulpturen errichten – führen in Kombination zu der etwas absurden | |
Situation, dass fragwürdige Skulpturen aus vergangenen Jahrhunderten stehen | |
gelassen werden, aber Leute, auf die man sich heute irgendwie positiv | |
beziehen könnten, keine Denkmäler an zentralen Orten mehr erhalten. Da und | |
dort eine Büste in einem dunklen Eck von einem Park – das geht sich | |
vielleicht noch aus. Viel mehr aber nicht. Deswegen ist diese Aktion von | |
Marc Quinn so interessant. | |
Der Bürgermeister von Bristol, Marvin Rees, Sohn eines jamaikanischen | |
Vaters und einer weißen Single-Mother, also selbst das, was Stuart Hall ein | |
„postkoloniales Subjekt“ nennt, hat angekündigt, die Heldinnenskulptur vom | |
Sockel holen zu lassen, und zwar mit der wunderbaren Begründung, dass die | |
Bewohner von Bristol über die künftige Gestaltung entscheiden werden. Wenn | |
man sich das ausmalt, wie man dazu kommen könnte, dann bedeutet das | |
mehrerlei. | |
## Gedächtnis muss ausgehandelt werden | |
Erstens: Partizipative Verfahren, die öffentlichen Gedächtnisleistungen | |
werden nicht verordnet, sondern von den Bürgern und Bürgerinnen selbst | |
ausgehandelt. | |
Zweitens aber müsste dazu in fragmentierten Stadtgesellschaften, die | |
radikal divers sind, und zwar eben nicht nur wegen Migration, sondern auch | |
politisch, von Werten und Normen her und auch in Sachen Alltagskultur, ein | |
Prozess der Verständigung aufgesetzt werden. Voraussetzung von | |
Verständigung ist dann aber, die Gesichtspunkte heterogener | |
Bevölkerungsmilieus zu würdigen und zu respektieren. Da kommt auch die | |
Woke-Bubble mit ihrer Cancel-Kultur nicht weit, weil Einschüchterung solche | |
Gespräche zerstört. | |
Eine demokratische, heterogene, diverse [3][Stadtgesellschaft baut sich | |
ihre Denkmäler selbst]. Allein diese Idee ist es wert, dass man ihr ein | |
Denkmal setzt. | |
18 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Gestuerzte-Statue-in-Bristol/!5700965 | |
[2] /Streit-um-Giraffenskulptur-bei-Hagenbeck/!5694439 | |
[3] /Die-steile-These/!5693726 | |
## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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