| # taz.de -- Streit um Giraffenskulptur bei Hagenbeck: „Der Rassismus-Vorwurf … | |
| > Verharmlost Stephan Balkenhols „Mann mit Giraffe“ die Hagenbeck'schen | |
| > „Völkerschauen“? Der Künstler verwahrt sich gegen diesen Vorwurf. | |
| Bild: Streitobjekt: Vermeintlich schwarzer Mann au Balkenhol'scher Giraffe | |
| Hamburg taz | Man erkennt ihn nur mit Mühe: den Mann auf der | |
| Riesen-Giraffe, die weithin sichtbar an einer Kreuzung vor Hagenbecks | |
| Tierpark steht. Das Männchen sitzt da, als wisse es nicht, ob es rauf- oder | |
| runterklettern soll. Die Giraffe schaut unbeteiligt. | |
| Es ist eine typische Skulptur des 1957 geborenen Künstlers [1][Stephan | |
| Balkenhol], der meist Menschenfiguren schnitzt oder in Bronze gießt. Mal | |
| kommen sie solo, mal mit Tier oder als Faun daher. Das Markenzeichen: | |
| weißes Hemd, schwarze Hose, ein Durchschnittsmensch. Mal hat er einen | |
| Elefantenkopf, mal umarmt er einen Fisch oder sitzt auf einem | |
| Riesen-Seepferd. | |
| Balkenhol hat auch die [2][„Bojen-Männer“ auf Alster und Elbe] gestellt und | |
| in Metz den [3][Widerstandskämpfer Jean Moulin] porträtiert. Meist schafft | |
| er Männer, manchmal Frauen, meist bekleidet, manchmal nackt. Immer sind es | |
| Weiße. | |
| „Das stimmt nicht“, sagt jetzt Peter Gutzeit, Co-Vorsitzender der | |
| Eimsbüttler Linksfraktion. Der Giraffen-Mann vor Hagenbeck habe dunkle Haut | |
| und könne als Afrikaner wahrgenommen werden. „Viele erkennen darin den | |
| bestehenden und systemrelevanten Alltagsrassismus“, sagt Gutzeit und regt | |
| bei der Kulturbehörde die Entfernung der Skulptur an. | |
| ## Kulturbehörde hat mit finanziert | |
| Die Behörde hatte das 2001 aufgestellte, damals 560.000 DM teure Kunstwerk | |
| mit 60.000 Mark gefördert, den Rest hatte Hagenbeck bezahlt. Von dort | |
| stammte auch die Idee zu dieser Eigenwerbung, mit der sich Hagenbeck | |
| nebenbei als Kulturförderer profilierte. Die stets an „Leuchttürmen“ | |
| interessierte Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) hatte das auf | |
| öffentlichen Grund platzierte Werk seinerzeit gern enthüllt. | |
| Damals war das Gesicht des Giraffen-Mannes noch bronzefarben. Niemand fand | |
| es problematisch, die Arbeit vor einen Zoo zu stellen, der von 1875 bis in | |
| die 1930er-Jahre Menschen aus „exotischen“ Ländern in [4][„Völkerschaue… | |
| präsentierte. Heute aber, in Zeiten von Kolonialismus-Debatte und | |
| Anti-Rassismus-Demonstrationen, könnten sich People of Colour brüskiert | |
| fühlen, glaubt Gutzeit. | |
| Die Frage ist, wie weit das dem Kunstwerk selbst zuzuschreiben ist. Denn | |
| erstens wirken die Gesichtszüge der Figur eher europäisch und bedienen | |
| keine rassistischen Stereotypen. Zweitens ist der Mann vollständig | |
| bekleidet und wird weder bloß- noch ausgestellt. Drittens birgt seine | |
| Haltung – das Ausharren am Giraffenhals, als umarme er ein Stofftier – | |
| keinen kolonialen Subtext. Er vollführt auch keine zirkusreifen Kunststücke | |
| à la „Völkerschau“, sondern bleibt in einer absurden, fast abstrakten Pos… | |
| ## Künstler verwahrt sich gegen Rassismus | |
| „Die Unterstellung, das Werk sei rassistisch, ist absurd“, sagt Stephan | |
| Balkenhol der taz. „Das ist ein weißer Mann aus nachgedunkelter Bronze.“ | |
| Was daran liege, dass er die Haut seiner Figuren – anders als die bemalten | |
| Partien – stets unbearbeitet lasse. Und Bronze verfärbe sich ganz | |
| selbstverständlich mit der Zeit. „Das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar ist | |
| auch nachgedunkelt, und da behauptet keiner, das seien jetzt Afrikaner“, | |
| sagt Balkenhol. | |
| Natürlich könne man fragen, warum er ausgerechnet einen weißen Mann als | |
| Alter Ego gewählt habe. „Vor Fehldeutungen ist man als Künstler nicht | |
| gefeit.“ Dabei behandele die Skulptur eigentlich sehr allgemein die | |
| Beziehung zwischen Mensch und Tier. „Die Ambivalenz zwischen Affektion und | |
| Aggression, zwischen Kuscheln und Kampf beschäftigt mich seit 30 Jahren“, | |
| sagt Balkenhol. „Das mündet in die Frage, wie der Mensch die Welt erkundet | |
| – in diesem Fall die Giraffe: Ist sie Wild- oder Kuscheltier?“ | |
| Auch die Hamburger Künstlerin Hannimari Jokinen, Mitglied im | |
| [5][Arbeitskreis Hamburg Postkolonial,] findet die Skulptur nicht | |
| rassistisch. „Schwarze Madonnen aus nachgedunkeltem Holz stellt ja auch | |
| niemand infrage“, sagt sie. Die Deutung von Kunst liege zwar im Auge des | |
| Betrachters, aber der sei auch aufgerufen, genau hinzuschauen. „Und wer den | |
| ‚Mann mit Giraffe‘ abfotografiert und vergrößert, sieht ja, dass er keine | |
| Klischees transportiert.“ | |
| ## Hagenbeck hätte die Figur reinigen müssen | |
| Im Übrigen, sagt Balkenhol, wäre das Gesicht längst wieder bronzefarben, | |
| hätte Hagenbeck es, wie vereinbart, regelmäßig gereinigt. „Das Gesicht | |
| müsste mittlerweile – anders als die bemalten Stellen – sandgestrahlt und | |
| mit Klarlack überzogen werden“, sagt er. „Das geht problemlos innerhalb | |
| eines Tages.“ Warum das bislang nicht geschah und für wann eine Reinigung | |
| geplant ist, teilte Hagenbeck auf taz-Anfrage nicht mit. | |
| Es gibt bei Hagenbecks Tierpark weit problematischere | |
| Kolonialismus-Reminiszenzen: etwa das Denkmal für Zoogründer Carl | |
| Hagenbeck, deren Entfernung die Fotografin Johanna Brinckmann gerade [6][in | |
| einer Petition fordert]. Und dann ist da der Haupteingang aus dem Jahr | |
| 1907. Er zeigt Elefanten, Löwen sowie zwei leicht bekleidete „Ureinwohner“ | |
| verschiedener Kontinente. Mit großen Gesten winkten sie einst das Publikum | |
| heran und warben für die „Völkerschauen“. Diese Spektakel waren hoch | |
| profitabel: Die Zuschauer kamen in Massen. | |
| „Sich um diese kolonialen Relikte zu kümmern“, sagt Hannimari Jokinen, | |
| „wäre wichtiger als die Debatte über Balkenhols Giraffen-Skulptur.“ | |
| 11 Jul 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Archiv-Suche/!334529/ | |
| [2] /Archiv-Suche/!266429/ | |
| [3] /Memorial-de-la-Shoah-Ausstellung-in-Paris/!5407255 | |
| [4] /!286751/ | |
| [5] http://www.hamburg-postkolonial.de/ | |
| [6] https://www.change.org/p/gegen-rassismus-ich-fordere-die-abschaffung-der-ca… | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Hamburg | |
| Kolonialismus | |
| Zoo | |
| Stereotype | |
| Arbeitskampf | |
| Kolumne Der rote Faden | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Arbeitskampf bei Hagenbecks Tierpark: „Führung nach Gutsherrenart“ | |
| Nach der Kündigung von neun MitarbeiterInnen will der neue Geschäftsführer | |
| nicht mit dem Betriebsrat verhandeln – und kündigt dem Betriebsratschef. | |
| Debatte um Zeugnisse des Kolonialismus: Neue Denkmäler braucht das Land | |
| Die Skulpturen fragwürdiger HeldInnen der Geschichte werden in Frage | |
| gestellt. Das ist in Ordnung, wir sollten aber auch den Guten gedenken. | |
| Strategien für die Krise: Solidarität und Verantwortung | |
| In einer Welt voller Hass und Gewalt hilft vermutlich nur noch ein Appell | |
| an den Menschenverstand und an die Menschlichkeit. Und Information. | |
| Umstrittene Kunstaktion in Norwegen: Völkerschau reloaded | |
| Kann ein „Menschenzoo“ zur Auseinandersetzung mit einer rassistischen | |
| Epoche anregen? In Norwegen wagen zwei Künstler einen Versuch. | |
| Ausstellung „L'invention du sauvage“: Wer ist Ihr Wilder? | |
| Zur Zeit der großen Völkerschauen Ende des 19. Jahrhunderts standen sich | |
| Menagerie und Anthropologie näher als es die Wissenschaft wahrhaben will. |