# taz.de -- Kommentar Deutsches Kolonialerbe: Ein stark verdrängtes Kapitel | |
> Deutschland war keine harmlose Kolonialmacht. Verbrechen in Namibia, | |
> Kamerun und anderen Ländern müssen aufgearbeitet werden. | |
Bild: Das Bild beginnt sich zu ändern – unter anderem dank Initiativen wie d… | |
Die konsequente und breite Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen | |
ist überfällig. Wer die Vergangenheit verdrängt, trifft falsche | |
Entscheidungen für Gegenwart und Zukunft. Nach wie vor gehört jedoch die | |
koloniale Fremdherrschaft über Teile Afrikas, Ozeaniens und andere | |
überseeische Gebiete zu einem der am meist verdrängten Kapiteln der | |
deutschen Geschichte. Hartnäckig hält sich die Meinung, Deutschland sei nur | |
eine kleine und harmlose Kolonialmacht gewesen. | |
Das trübt auch den Blick auf die internationale Verantwortung, die uns | |
durch unsere Kolonialgeschichte zuwächst. Denn wie der Kolonialismus | |
allgemein stellt auch die deutsche Kolonialherrschaft keine historisch | |
abgeschlossene Episode dar, sondern hinterlässt vielfältige, globale | |
Spuren, die noch immer wirkmächtig sind. | |
Ehemalige Kolonien wie Namibia und Kamerun vermissen zu Recht ein Agieren | |
Deutschlands, das aus dem Bewusstsein erwächst, als Kolonialmacht zu | |
heutigen dort herrschenden Problemen in Gesellschaft, Wirtschaft und | |
Politik beigetragen zu haben. Hohe Summen von Entwicklungsgeldern sind nur | |
ein Feigenblatt, solange es kein ernsthaftes Bekenntnis zum Völkermord an | |
den Herero und Nama gibt oder sich Deutschland angesichts des sich | |
aufschaukelnden frankophon-anglophonen Konflikts in Kamerun bedeckt hält. | |
Der Afrika-Beauftragte der Bundesregierung sprach jüngst in einem Interview | |
gar von der vermeintlich zivilisierenden Wirkung des Kolonialismus auf | |
Afrika. Dabei bediente er Vorurteile, die unser Denken über die | |
Kolonisierten prägen. | |
## Eurozentristische Denkweisen stecken überall | |
Immer noch haben wir ein weithin undifferenziertes Bild von Afrika, | |
exotische Vorstellungen des „Fremden“ und tradierte Vorstellungen von | |
behaupteter Ungleichwertigkeit. Eurozentrische Denkweisen schlagen sich in | |
vielen gesellschaftlichen Bereichen und in der Alltagskultur nieder, wie | |
nicht zuletzt die Debatte um ein rassistisches Schulbuch in Sachsen gezeigt | |
hat, das inzwischen aus dem Verkehr gezogen wurde. | |
Aber das Bild beginnt sich zu ändern. Daran haben besonders viele lokale, | |
zivilgesellschaftliche Initiativen und kritische Wissenschaftler*innen | |
einen wichtigen Anteil. Sie adressieren koloniale Geschichte und | |
Kontinuitäten und treiben die Debatte um Kulturgut aus kolonialen | |
Kontexten, den [1][Umgang mit menschlichen Gebeinen], Erinnerungsorte, die | |
[2][inhaltliche Gestaltung des Humboldt Forums] und die Diskussion [3][über | |
Straßennamen mit kolonialem Hintergrund] maßgeblich voran. | |
Vor dem Hintergrund der durch Bénédicte Savoy und Felwine Sarr inspirierten | |
Debatte über Raubkunst in Museen rücken Fragen nach kolonialen | |
Herrschaftspraktiken sowie politischen und ökonomischen | |
Unrechtsverhältnissen verstärkt in den Fokus. Darin liegt eine Chance: | |
Neben dem zentralen und unabschließbaren Gedenken an die Schoah ist jetzt | |
ein Zeitfenster aufgestoßen worden, in dem die Aufarbeitung des | |
Kolonialismus und seiner Folgen angegangen werden kann. | |
Dies bedeutet nicht nur eine Überprüfung der bisherigen Restitutionspraxis | |
und Ausstattung der Provenienzforschung in Bund und Ländern. Dringend | |
notwendig sind vielmehr eine grundlegende Erweiterung der deutschen | |
Erinnerungskultur und ihrer Narrative sowie die Einbettung in den | |
europäischen Kontext der Kolonialisierung. | |
## Kaum Gehör für zivilgesellschaftliche Initiativen | |
Exemplarisch ist der offizielle Umgang mit dem (post-)kolonialen Erbe in | |
Berlin, dem politischen Zentrum des deutschen Kolonialismus. Hier fand | |
1884/85 die Afrika-Konferenz statt, in deren Rahmen der afrikanische | |
Kontinent willkürlich zwischen den europäischen Kolonialmächten aufgeteilt | |
wurde – mit destruktiven Folgen bis heute. | |
Bis auf eine Gedenktafel auf dem Garnisonsfriedhof vor einem Findling, der | |
die deutsche Kolonialverbrechen beschönigen und heroisieren soll, finden | |
sich jedoch keine Gedenkorte in der Bundeshauptstadt. | |
Zivilgesellschaftliche Initiativen, die für ein öffentliches Denkmal für | |
die Opfer von Kolonialismus und Versklavung eintreten, finden politisch | |
bisher kaum Gehör. | |
Kurz vor seiner Eröffnung lancieren nun Hermann Parzinger, Präsident der | |
Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und eine Initiativgruppe, bestehend aus | |
mehreren Wissenschaftler*innen, die Idee für einen „Gedenkort für die Opfer | |
des deutschen Kolonialismus im Humboldt Forum“. Dieser Gedenkort soll als | |
„Raum der Besinnung und Stille“ konzipiert werden und die Besucher*innen | |
zur Reflexion anregen. | |
Das Humboldt Forum ist selbstverständlich in seinen konzeptionellen | |
Entscheidungen autonom und braucht von der Politik keine kuratorischen | |
Ratschläge. Verkannt wird jedoch, dass Form und Inhalt des Gedenkens so | |
einseitig gesetzt werden. Als hätte es die Debatte um den kolonialen Kern | |
und die Kritik am Humboldt Forum in den letzten Jahren nicht gegeben, | |
übergehen Stiftung und Initiativgruppe die diasporischen Communitys sowie | |
die große postmigrantische Szene der Republik. | |
## Dialog wird zum Monolog | |
Der mit dem Bau des Humboldt Forums avisierte „Dialog der Kulturen“ wird so | |
zu einem Monolog. Dieser Monolog jedoch wird der Komplexität einer | |
Erweiterung der bundesrepublikanischen Erinnerungslandschaft um das Thema | |
Kolonialismus nicht gerecht. Eine lebendige Erinnerungskultur lässt sich | |
nicht top-down verordnen. Keine Frage: Die Debatte zum Umgang mit unserem | |
(post-)kolonialen Erbe gehört überall hin, in die Zivilgesellschaft, die | |
Bildung, die Künste, die Museen und eben auch ins Zentrum der Republik, ins | |
Zentrum der deutschen Erinnerungs- und Gedenkpolitik. | |
Für diesen gesamtgesellschaftlichen Diskurs brauchen wir eine zentrale | |
Stätte des Erinnerns und Lernens, um die Suche nach einem | |
verantwortungsvollen Umgang mit diesem Erbe zu fördern. Entscheidende | |
Werkzeuge dafür sind Demut und der Diskurs gemeinsam mit den Nachfahren der | |
Kolonisierten und zivilgesellschaftlichen Initiativen über angemessene | |
zentrale und dezentrale Formen des Erinnerns. | |
Eine zentrale Stätte des Erinnerns und Lernens als ein Element | |
postkolonialer Erinnerungslandschaften kann die Thematik in ihren | |
unterschiedlichen Facetten angemessen aufarbeiten und dieses Kapitel der | |
deutschen Geschichte multiperspektivisch betrachten. Ein solcher Ort in | |
Berlin kann zum einen an die vertriebenen, unterworfenen und ermordeten | |
Opfer der deutschen Kolonialherrschaft erinnern und ein beständiges Zeichen | |
gegen Rassismus, Ausbeutung und Fremdherrschaft setzen. | |
## Auskunft über den Status quo der Gesellschaft | |
Zum anderen könnte der Ort Möglichkeiten der kulturellen und politischen | |
Bildung und Auseinandersetzung mit dieser Epoche deutscher Geschichte | |
schaffen – in der Hoffnung, die Bitte um Versöhnung und die Entwicklung | |
gemeinsamer Zukunftsperspektiven zu unterstützen und somit eine | |
gemeinsame Erinnerungskultur Deutschlands und der Nachfolgestaaten der | |
damaligen Kolonien zu etablieren. | |
Die Aufarbeitung des kolonialen Erbes und die proaktive Auseinandersetzung | |
mit der deutschen Kolonialherrschaft können Auskunft geben über den Status | |
quo der deutschen Gesellschaft und den Prozess der Globalisierung, zu | |
dessen Geschichte der Kolonialismus gehört. Die Beschäftigung mit unserem | |
(post-)kolonialen Erbe stellt die Frage nach fortbestehenden | |
Machtverhältnissen. Aus ihr lassen sich nicht zuletzt Veränderungsimpulse | |
für Gegenwart und Zukunft gewinnen. | |
7 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Kirsten Kappert-Gonther | |
Ottmar von Holtz | |
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