| # taz.de -- Kongo-Kunst im Brüsseler Afrikamuseum: Leopold wohnt jetzt im Kell… | |
| > Das Brüsseler Afrikamuseum glorifizierte einst die belgische | |
| > Kongo-Kolonialherrschaft. Nun soll es den Kongo feiern. Wie kann das | |
| > gelingen? | |
| Bild: In seinem Privatbesitz befand sich einst der Kongo: Leopold II. | |
| Tervuren taz | Wer dieses Jahr Belgiens berühmtes Afrikamuseum in Tervuren | |
| vor den Toren Brüssels besucht, kommt ins Staunen. Wo früher das Musée | |
| royal d’Afrique Centrale (MRAC) alte Kolonialsammlungen darbot, zelebriert | |
| heute das renovierte „Africa Museum“, wie es jetzt heißt, [1][den Reichtum | |
| des Kongo] mit all seinen hellen und dunklen Seiten. | |
| Großes Wasserkraftpotenzial, fantastische Biodiversität, riesige | |
| Regenwälder einerseits, das Elend der Schürfer in den Bergwerken und die | |
| verheerende Armut der Bevölkerung andererseits – das wird mit Fotos und | |
| Videos für die Besucher erlebbar gemacht und füllt die über Jahrzehnte von | |
| belgischen Forschern zusammengetragenen Materialien mit neuem Leben. | |
| Mehr noch: Kongos Gegenwartskunst hält endlich Einzug in die größte | |
| Sammlung kongolesischer Kunstgegenstände auf der Welt. Früher sah man in | |
| Tervuren lauter kostbare alte Gegenstände ohne jede Erklärung, | |
| offensichtlich herausgerissen aus ihrem Kontext und als Trophäen zur Schau | |
| gestellt. Jetzt kommt der Kontext dazu. Die bewusst schroffe | |
| Gegenüberstellung neuer kongolesischer Kreativität mit alter belgischer | |
| Sammelleidenschaft bricht die bisherige Darstellungsform. | |
| Neben alten Totenmasken erklären jetzt Kongolesen in Videofilmen die | |
| Rituale, für die diese Gegenstände bestimmt sind. Aimé Mpanes große | |
| Skulptur eines Kopfes aus Edelholz und Bronze liegt an den Füßen | |
| allegorischer Statuen, die Belgien als Zivilisationsbringer zeigen. | |
| Zeitgenössische Malereien von Tshibumba oder Chéri Chérin stehen direkt | |
| neben rituellen Objekten als Zeichen, dass die alten Kulturen noch leben. | |
| Die Welt der Skulpturen der Volksgruppen der Kuba, Luba und Songye steht | |
| neben dem berühmten Verkehrsroboter von Kinshasa, eine gigantische Ampel in | |
| Menschenform am Kreisverkehr „Victoire“ von Thérèse Izay-Kirongozi. | |
| Aber der Versuch der Entkolonisierung des letzten reinen Kolonialmuseums | |
| der Welt durch seinen Direktor Guido Gryseels stößt in Belgien nicht auf | |
| allgemeine Zustimmung. | |
| ## Privatbesitz des belgischen Königs | |
| Eröffnet wurde das Museum in Tervuren ursprünglich nach der Weltausstellung | |
| von 1897 als pompöse Feier des kolonialen „Abenteuers“ Belgiens und seines | |
| Königs Leopold II. im Kongo, das viele Millionen Kongolesen das Leben | |
| kostete. Der Neueröffnung am 8. Dezember 2018 allerdings blieb Belgiens | |
| heutiger König Philippe, ein direkter Nachkomme von Leopold II., fern. | |
| Offizielle Begründung des Palastes: Es werde ja immer noch zwischen | |
| belgischen Wissenschaftlern und der kongolesischen Diaspora über die | |
| Renovierung des Museums diskutiert und über die Frage der Restitution | |
| kongolesischer Kunst in die Heimat gestritten. „Der König vermeidet | |
| Präsenz, wenn Fragen noch offen sind“, sagte ein Sprecher des Königs der | |
| Nachrichtenagentur Belga und nannte die Neugestaltung des Museums immerhin | |
| „großartig“. | |
| Die Kontroversen um die belgische koloniale Eroberung des Kongo sind eben | |
| nicht durch die Renovierung des zur Glorifizierung dieser Eroberung | |
| entstandenen Museums aus der Welt zu schaffen. Nachdem die Berliner | |
| Afrikakonferenz 1884/85 das Kongo-Flussbecken zu einem allen Europäern | |
| offenstehenden „Freihandelsgebiet“ erklärte und die Hoheit darüber dem | |
| belgischen König, der sich als Wohltäter angeboten hatte, als Privatbesitz | |
| überschrieb, starb schätzungsweise die Hälfte der damals 20 Millionen | |
| Einwohner des heutigen Kongo während der belgischen Eroberung. | |
| Ganze Bevölkerungen wurden zur Zwangsarbeit deportiert. Schon damals | |
| kritisierten englische Kritiker des Kolonialismus und der US-Schriftsteller | |
| Mark Twain die Praxis, Kongolesen die Hände abzuhacken, wenn sie nicht | |
| genug Kautschuk in den neu eingerichteten Plantagen ernteten. | |
| ## „Diskurshoheit über Afrika“ | |
| Was für Konflikte es noch gibt, sieht man auch im Museum selbst. Ein | |
| [2][Gemälde des kongolesischen Malers Chéri Samba] zeigt zwei Gruppen von | |
| Weißen und Afrikanern im Tauziehen um eines der umstrittensten | |
| Ausstellungsstücke: die Skulptur des Leopardenmannes der Anyota-Sekte, der | |
| sich mit ausgestreckten Leopardenkrallen über eines seiner Menschenopfer | |
| beugt. Früher gab es ihn zu sehen, jetzt nicht mehr – die Museumsleitung | |
| findet ihn „politisch inkorrekt“, weil er einen Ritualmord darstellt. | |
| Im Bemühen, das Museum zu entkolonisieren, findet sich die Direktion jetzt | |
| zwischen den Fronten einer unversöhnlich geführten Debatte wieder. Für | |
| viele afrikanische Intellektuelle ist und bleibt Tervuren ein | |
| Kolonialmuseum, egal was drin ist und unabhängig von der Beteiligung von | |
| AfrikanerInnen an seiner Gestaltung. Mireille-Tsheusi Robert, Präsidentin | |
| des antirassistischen Frauenkomitees Bamko, ist von der Neugestaltung | |
| „angeekelt“. Die konsultierten AfrikanerInnen seien bloß Alibi. Belgien | |
| müsse die geraubte kongolesische Kunst in den Kongo zurückgeben, meint sie. | |
| Der Rahmen dieser Konsultation war der von der Museumsleitung selbst ins | |
| Leben gerufene Beirat („Comité MRAC-Associations africaines“), der | |
| Angehörige der kongolesischen Diaspora in Belgien versammelte, vor allem | |
| aus dem Kultur- und Universitätsbetrieb. Manche Comraf-Mitglieder äußern im | |
| Nachhinein selbst Kritik an der Tätigkeit dieses Beirats. „Das | |
| Museumspersonal beansprucht die Diskurshoheit über Afrika“, sagt der | |
| kongolesische Kunsthistoriker Toma Muteba Luntumbue. | |
| Die Historikerin und Journalistin Anne Wetsi Mpoma findet es unangebracht, | |
| dass Afrikaner im Museum durch eine rein ethnologische Brille dargestellt | |
| werden – also als Studienobjekte mit den Lebensetappen Geburt, Heirat und | |
| Tod, aber nicht als Menschen mit Tätigkeiten und Meinungen. | |
| Comraf-Präsident Billy Kalonji, ein bekannter Diaspora-Organisator in | |
| Brüssel, sagt, im Museumsteam fände man einerseits „offene Menschen, die | |
| sich für unsere Vorschläge interessieren“, andererseits stoße man aber auch | |
| auf „eine sehr verschlossene Forscherwelt“. | |
| ## Bronze-Skulpturen, die die Sklaverei darstellen | |
| Für viele Belgier mit Kolonialvergangenheit, die selbst im Kongo vor und | |
| nach der Unabhängigkeit tätig gewesen sind, geht die Erneuerung des Museums | |
| hingegen schon viel zu weit. Leopold II. als Gründer des Freistaates, aus | |
| dem später Belgisch-Kongo wurde, und der britische Entdeckungsreisende | |
| Henry Morton Stanley, auf dessen Erkenntnisse sich der belgische König | |
| stützte, werden weitgehend ausgeblendet, bemängeln sie. | |
| Die koloniale Eroberung an sich und ihre Höhepunkte aus belgischer Sicht | |
| werden nur noch am Rande erwähnt: Der Sieg gegen Sklavenhändler wie den | |
| Deutschen Emin Pascha, der im heutigen Südsudan eine eigene Kolonie | |
| gründete und von Stanley in einem Gewaltmarsch quer durch das Kongobecken | |
| gerettet werden musste, oder der aus Sansibar stammende Händler Tippu Tip, | |
| der bei seinen Raubzügen von der ostafrikanischen Küste bis an den | |
| Kongo-Fluss vordrang und dessen Truppen sich vergeblich gegen die Belgier | |
| erhoben. | |
| Die Bronze-Skulpturen des Bildhauers Arsène Maton, die die Sklaverei | |
| darstellen sollen, wurden nur deswegen nicht entfernt, weil sie fest in die | |
| große zentrale Rotunde des Museums eingebaut sind. Das große | |
| Leopold-II-Denkmal, das den Größenwahn des belgischen Monarchen gut | |
| ausdrückte, ist hingegen in den Keller gewandert und von ihm gibt es nur | |
| noch eine schlecht erhaltene Büste in einer Vitrine. | |
| „Ideologistisch“ nennt Baudouin Peeters, Direktor einer in Belgien und im | |
| Kongo aktiven Beraterfirma, diesen Umgang des belgischen Museums mit seinem | |
| Gründer. Er vermisst auch eine Nennung der „nachweislichen | |
| Errungenschaften“ der belgischen Kongo-Kolonisation in Sachen Straßenbau, | |
| Naturschutz, Schulen, Landwirtschaft, Seuchenbekämpfung. | |
| ## Ein Museum als Tribunal? | |
| Etwas nuancierter urteilt der Historiker Jean-Luc Vellut: „Wenn man die | |
| kongolesische Geschichte moralisch beurteilen will, wäre es nur | |
| zwangsläufig, die gesamte Geschichte zu beurteilen, ob präkolonial, | |
| kolonial oder postkolonial.“ Aber: „Ist es die Rolle eines Museums, ein | |
| Tribunal zu spielen? Ich glaube nicht.“ | |
| Belgiens Bewältigung seiner kolonialen Vergangenheit ist also noch | |
| keineswegs abgeschlossen. Und das renovierte Museum dürfte auch die | |
| gegenwärtigen Beziehungen zur Demokratischen Republik Kongo belasten – die | |
| kongolesisch-belgischen Beziehungen sind ohnehin schlecht, da Belgien in | |
| der EU der Hauptlobbyist für scharfe Sanktionen gegen Kongos Machtelite | |
| wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen ist und Kongos Regime im Gegenzug | |
| Kritik aus dem Ausland gerne als kolonial abtut. | |
| Am Vorabend der Eröffnung sagte [3][Kongos Präsident Joseph Kabila] der | |
| Brüsseler Zeitung Le Soir, er werde die Rückgabe der Kunstwerke im Museum | |
| fordern, noch vor der Eröffnung eines kongolesischen Nationalmuseums in | |
| Kinshasa im Juni 2019. | |
| 19 Jan 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schwerpunkt-Demokratische-Republik-Kongo/!t5007877 | |
| [2] http://komalibxl.com/2016/10/16/congo-art-works/ | |
| [3] /Nach-der-Wahl-im-Kongo/!5561528 | |
| ## AUTOREN | |
| François Misser | |
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