Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Belgisches Kolonialmuseum bei Brüssel: Ein bisschen Aufarbeitung
> Das letzte Kolonialmuseum der Welt, nahe Brüssel gelegen, wurde renoviert
> und mit neuem Konzept wiedereröffnet. Von Restitution ist nicht die Rede.
Bild: Einn anderer Blick auf die Kunst aus dem Kongo, aber nicht unbedingt eine…
Die Vergangenheit ist ein Schatten. In der „Erinnerungsgalerie“ des
Afrika-Museums vor den Toren Brüssels ist das wörtlich zu nehmen.
Aufgeführt sind dort die Namen der 1508 Belgier, die zwischen 1876 und 1908
bei der Eroberung des Kongo ums Leben kamen. Kein Wort war dort bisher zu
finden von den Millionen von Kongolesen, die in dieser Zeit den Tod fanden.
Ein erschreckendes Zeugnis der Selbstzentriertheit. Nun aber werfen in die
Fenster eingelassene Namen ihre Schatten an die Erinnerungswand. Namen
einiger Afrikaner, die Anfang des 20. Jahrhunderts wie Zootiere in Belgien
ausgestellt wurden und nie lebend in ihre Heimat zurückkehrten. Die
Schatten könnten exemplarisch stehen für den Neuanfang in der flämischen
Kleinstadt Tervuren, im letzten großen Kolonialmuseum der Welt.
1898 hatte der belgische König Leopold II. es gegründet, um seine
Landsleute von seinen teuren „Abenteuern“ im Herzen Afrikas zu überzeugen.
Seit den 1950er Jahren blieb die Dauerausstellung praktisch unverändert.
Sie zeichnete das Bild [1][der tapferen Europäer], die Zivilisierung in die
Wildnis brachten. Sie erzählte die Geschichte der Sieger. Aus der
Perspektive der Sieger. Nach langer Diskussion schloss das Museum 2013 – um
sich einer Generalüberholung zu unterziehen, wie Direktor Guido Gryseels
ankündigte.
Fünf Jahre später öffnet es wieder. „Mit einem viel kritischeren Blick auf
den Kolonialismus“, sagt Gryseels, als er Journalisten sein Haus vorstellt.
Wer ein auf den Kopf gestelltes Museum erwartet hat, wird enttäuscht.
Vieles ist erhalten geblieben: die imposanten Räume des Prunkbaus, die
Erinnerungsgalerie, die wie aus der Zeit gefallene Schau ausgestopfter
Elefanten und Erdferkel.
Und doch soll nun alles anders sein. Das Museum soll ein
Wissenschaftszentrum und Treffpunkt der Kontinente werden, jährlich
hospitieren in Tervuren 130 afrikanische Wissenschaftler: Immer wieder
werden Parallelen zum geplanten Humboldt Forum in Berlin gezogen.
Neue Bereiche erzählen nun auch die Geschichte vor und nach der
Kolonialzeit, besonders stereotype, teils rassistische Skulpturen
Dunkelhäutiger sind wie in einer Art zugänglicher Giftkammer in einem
kleinen Raum gesammelt. Für die Dauerausstellung haben zehn Afrikaner
Kunstwerke geschaffen, die mit der dargestellten europäischen Sichtweise
kontrastieren. Die blutige Vergangenheit wird weiterhin präsentiert – aber
sie wird stets kritisch kommentiert.
Reicht das? Erzählt das neue Museum damit wirklich die ganze Geschichte?
Aimé Mpane bleibt diplomatisch. Der Kongolese ist einer der Künstler, die
mit ihren Werken die neu eröffnete Ausstellung erweitern dürfen. Er steht
in der Rotunde, einer marmornen Galerie der königlichen Kolonialpropaganda.
Der von Mpane geschaffene Kopf eines Afrikaners aus Holz wirkt dort wie ein
Fremdkörper. Die Modernisierung des Museums sei ein wichtiger Schritt
gewesen, sagt er. „Aber es bleibt eine Baustelle. Es ist nur ein Anfang.“
Von außen betrachtet mag die Generalüberholung halbherzig wirken – für
Direktor Gryseels ist sie ein großer Schritt. In seinem Land wurde der
Kolonialismus lange verklärt. Einige Belgier sind noch immer stolz, dass
dem kleinen Königreich einst eine Kolonie gehörte, deren Fläche 80-mal so
groß war wie ihr eigenes Land. In der belgischen Gesellschaft habe aber ein
Umdenken eingesetzt, sagt Gryseels. „Es sollte nur schneller gehen.“
Der Direktor ist auf gewisse Weise ein Getriebener. Kaum näherte sich die
Modernisierung ihrem Ende, brach die nächste Diskussion los. Eine von
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eingesetzte Kommission schlägt vor:
Jegliche afrikanische Kunst, deren legaler Erwerb nicht nachgewiesen werden
kann, muss zurück nach Afrika. Gryseels fährt bei dem Thema einen
Schlingerkurs. Er betont, dass die Afrikaner ein Recht darauf hätten, ihre
Werke zurückzubekommen. Er erklärt sich bereit, über konkrete Forderungen
an seine Sammlung zu verhandeln.
## Die Schatten der Vergangenheit bleiben unsichtbar
Aber das neugestaltete Museum thematisiert die Restitution nicht. Sie ist
für Gryseels ein langfristiges Projekt: Erst müsse die Infrastruktur in
Afrika entstehen, für Lagerung und Restauration der Werke. Doch schon im
kommenden Jahr soll das neue Nationalmuseum in Kongos Hauptstadt Kinshasa
eröffnen. Vielleicht muss er schon bald verhandeln.
Dichte Wolken verbergen an diesem Tag die Sonne. Sie hat keine Kraft, um
durch die Fenster in die Erinnerungsgalerie zu scheinen. Deswegen sind die
Namen der gestorbenen Kongolesen dort nicht zu lesen. Die Schatten der
Vergangenheit – an diesem grauen Dezembertag bleiben sie unsichtbar.
10 Dec 2018
## LINKS
[1] /Gastkommentar-Afrika-Beauftragter/!5538566
## AUTOREN
Fabian Busch
## TAGS
Kongo
Restitution
Kolonialgeschichte
Belgien
Schwerpunkt Rassismus
Deutscher Kolonialismus
Belgien
Deutscher Kolonialismus
Raubkunst
Großbritannien
Comic
## ARTIKEL ZUM THEMA
Postkoloniale Doku: Ins Gestern verstrickt
Von der Schwierigkeit, als weißer Europäer postkolonial abzubilden: Die
Doku „Stop Filming Us“ ist in Hamburg zu sehen.
Kommentar Deutsches Kolonialerbe: Ein stark verdrängtes Kapitel
Deutschland war keine harmlose Kolonialmacht. Verbrechen in Namibia,
Kamerun und anderen Ländern müssen aufgearbeitet werden.
Kongo-Kunst im Brüsseler Afrikamuseum: Leopold wohnt jetzt im Keller
Das Brüsseler Afrikamuseum glorifizierte einst die belgische
Kongo-Kolonialherrschaft. Nun soll es den Kongo feiern. Wie kann das
gelingen?
Debatte um koloniale Museumsbestände: Die Peitsche des Hendrik Witbooi
Um die Erforschung der deutschen Kolonialzeit steht es schlecht. Zu lange
standen die Sammlungen im Schatten der NS-Verbrechen.
Rückgabe kolonialer Museumsbestände: Geste der Solidarität und Fairness
In westlichen Museen liegen tausende Kolonialobjekte. Die Experten Felwine
Sarr und Bénédicte Savoy fordern die Rückgabe der Raubkunst.
Debatte Britischer Kolonialismus: Sehnsucht nach dem Empire
In Großbritannien streitet man über die Bedeutung des Kolonialismus:
Vorbild für erfolgreiche Entwicklungshilfe oder rassistische Ausbeutung?
Neues vom Comicheld Spirou: Hotelpage in Belgisch-Kongo
Die Spezialausgabe für Erwachsene, „Der Meister der schwarzen Hostien“,
zeigt Spirou und Fantasio im Kampf gegen Nazis und andere fiese Typen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.