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# taz.de -- Neues vom Comicheld Spirou: Hotelpage in Belgisch-Kongo
> Die Spezialausgabe für Erwachsene, „Der Meister der schwarzen Hostien“,
> zeigt Spirou und Fantasio im Kampf gegen Nazis und andere fiese Typen.
Bild: Neu und nur für Erwachsene: eine politische Version des Spirou-Comics
Manche Comichelden scheinen mit ewiger Jugend gesegnet zu sein und nie
erwachsen zu werden. So einer ist auch Spirou, der 1938 erstmals im
gleichnamigen belgischen Comicmagazin auftretende Brüsseler Hotelpage mit
der roten Haartolle und ebensolcher Livree. Unter der Feder des 1963
geborenen französischen Zeichners Olivier Schwartz hat er jedoch auch
Gelegenheit, eine weniger heldenhafte Seite zu zeigen: Am Ende des neuen
Abenteuers „Der Meister der schwarzen Hostien“ wirkt er deutlich gereift,
nachdem er zuvor mit Depressionen und Alkohol kämpfte.
Der Band ist in der Reihe „Spirou und Fantasio Spezial“ erschienen, die
parallel zur traditionell vorwiegend für Kinder konzipierten „Spirou und
Fantasio“-Serie läuft und verschiedenen Zeichnern die Gelegenheit gibt,
ihre eigene Sicht auf den beliebten Comichelden mit dem Eichhörnchen an
seiner Seite zu entwickeln.
So entstanden bereits einige stilistisch sehr unterschiedlich gezeichnete
Abenteuer, die die Figur auch um neue inhaltliche Dimensionen erweiterten:
so erfand etwa Émile Bravo in „Spirou – Porträt eines Helden als junger
Tor“ (2008) für den Pagen eine glaubwürdige, ernsthafte Vorgeschichte in
den 1930er Jahren.
Der neue Band ist der Abschluss eines Abenteuers, das der französische
Szenarist Yann (Yann Lepennetier), Jahrgang 1954, bereits in den 80er
Jahren für den jung verstorbenen Zeichner-Star Yves Chaland (1957–1990)
konzipiert hat. Lange lag das Szenario in der Schublade herum, bevor Yann
es überarbeitete und zusammen mit dem Zeichner Olivier Schwartz zu einer
Trilogie umarbeitete. Es ist die wohl originellste Spirou-Variation der
Spezialreihe, die auf mehreren Ebenen funktioniert: als unterhaltsames
Comic-Abenteuer wie auch als satirisch überdrehte Geschichtslektion.
## Nazis, Swing und Existenzialisten
Der Beginn der Trilogie, „Operation Fledermaus“ (2009 veröffentlicht),
setzt 1942 ein, als Belgien von den Deutschen besetzt ist. Spirou und sein
bester Freund, der Journalist Fantasio, agieren hier als
Widerstandskämpfer. Neben der Auseinandersetzung mit gnadenlos
überzeichneten Nazis wie dem Gestapomann „Oberst von Knöchel“ kann der
Luftikus und Swing-Fan Fantasio seinen Liebschaften frönen. Und auch der
vergleichsweise schüchterne Page verliebt sich in eine junge Frau, die
Jüdin Audrey, die sich auf einem Dachboden versteckt und kurz darauf
spurlos verschwindet.
In Band 2, „Die Leopardenfrau“, 1946 angesiedelt, kann Spirou über den
Verbleib Audreys immer noch nichts erfahren und tröstet sich mit Alkohol.
Die Bekanntschaft mit der afrikanischen „Leopardenfrau“ Aniota führen ihn
und Fantasio ins Paris der Existenzialisten, wo sie unter anderem auf
Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir treffen. Hier kommen sie dem
Geheimnis eines mächtigen kongolesischen Fetischs auf die Spur, hinter dem
verschiedene Gruppen her sind.
Der Abschlussband führt Spirou und Fantasio in den Kongo des Jahres 1947,
wo sie Aniota in ihre Heimat begleiten und mit einem finsteren Magier
konfrontiert werden. Das neue Abenteuer erscheint auf den ersten Blick wie
ein typisches, triviales Dschungelabenteuer der klassischen Spirou-Reihe,
jedoch ist, wie in der gesamten Trilogie, der Humor „erwachsener“,
politische und kulturelle Anspielungen durchziehen die Geschichte,
erotische Frivolitäten um Schürzenjäger Fantasio dienen als Running Gags,
und in kriegerischen Situationen können auch Menschen sterben. Eine
zentrale Rolle spielen nun der belgische Kolonialismus und dessen Folgen.
Kein Wunder, hat doch das kleine Königreich Belgien [1][in seiner
Kolonialgeschichte] besonders schwerwiegende Verbrechen vor allem [2][im
Kongo] begangen.
Szenarist Yann erfindet die Provinz Urugondolo, die sich von der belgischen
Verwaltung abgespalten hat und von schwarzen Militärs beherrscht wird,
deren Anführer Tschumbu-Lumba dem (späteren) Diktator Mobutu ähnelt. Deren
Sklaven werden in den Uranminen genauso ausgebeutet wie zuvor durch die
Belgier, Nazi-Wissenschaftler (darunter der nicht totzukriegende Oberst von
Knöchel) dienen als Handlanger für die dämonische Idee, Brüssel zu
atomisieren, um die Weißen vom schwarzen Kontinent zu verscheuchen.
## Abrechnung mit der belgischen Nachkriegsgeschichte
Neben solch bösen Karikaturen von Gewaltherrschern, die die Geschichte
Afrikas bis in die jüngste Vergangenheit geprägt haben, gibt es aber auch
positive schwarze Charaktere, die die Helden durch die schwindelerregend
temporeiche Geschichte begleiten: die selbstbewusste Aniota, die in Brüssel
aufwuchs und im Urwald mit ihrer kongolesischen Großmutter, einer echten
Zauberin, konfrontiert wird; sowie der mit allen Wasser gewaschene, in der
Hauptstadt Léopoldville lebende Straßenjunge Youma, der sich mit der
„Brüsseler Torte“ Aniota gar nicht versteht.
Der erzählerischen Vielfalt, die viele Fakten über den Kontinent aufgreift,
steht der klare, detailfreudige Zeichenstil von Olivier Schwartz gegenüber
(stimmungsvoll koloriert durch Laurence Croix). Der Leser kann viele
Anspielungen auf historische Persönlichkeiten wie die Journalistin Martha
Gellhorn, die Kunst- und Architekturgeschichte, aber auch auf die belgische
Comicgeschichte entdecken, vor allem auf Hergé („Tim und Struppi“). Dessen
klarem Zeichenstil nähert sich Schwartz auch stilistisch in modernisierter
Weise an, mehr noch als dem dynamisch-verspielten Stil der (vom Zeichner
André Franquin geprägten) klassischen Spirou-Comics.
Hatte der streng katholisch erzogene Hergé in seinem 1930 entstandenen
Comic „Tim im Kongo“ die Segnungen des belgischen Kolonialismus noch ganz
unkritisch gepriesen, können heutige Leser mit „Der Meister der schwarzen
Hostien“ einen kritischen Retro-Comic entdecken, der mit Esprit und Biss
mit der belgischen Nachkriegsgeschichte abrechnet. Die gesamte Trilogie hat
jetzt schon Klassikerpotenzial.
Schwartz & Yann: „Spirou und Fantasio Spezial“ 22, „Der Meister der
schwarzen Hostien“. Carlsen Verlag, 80 S., 12 Euro
16 Aug 2017
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## AUTOREN
Ralph Trommer
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