| # taz.de -- Lucky Luke und Tim und Struppi: Pioniere des europäischen Comics | |
| > Gaëtan Akyüz und Vladimir Lecointre sind „Auf den Spuren von Lucky Luke�… | |
| > Pierre Sterckx widmet sich den „Meisterwerken von Hergé“. | |
| Bild: Jodelt schneller als sein Schatten: Lucky Luke | |
| Zwei neue Veröffentlichungen laden zum Comiczeichnerduell ein. Die | |
| deutschen Titel der beiden neuen Monografien über die Comiczeichner Hergé | |
| und Morris rücken – im Gegensatz zu den Originaltiteln – deren populäre | |
| Helden in den Vordergrund: „Tim und Struppi – Die Meisterwerke von Hergé“ | |
| heißt das eine, „Auf den Spuren von Lucky Luke“ das andere Buch, ohne dass | |
| Morris auch nur genannt wird. Die Verlagspolitik unterschätzt seine | |
| Adressaten: Wer diese Figuren liebt, kennt auch seine Schöpfer. | |
| Beide Künstler sind europäische Comicpioniere. Sie eint auch, dass sie ihre | |
| Karriere vornehmlich jeweils einer Serienfigur widmeten. Hergé zeichnete | |
| „Tim und Struppi“ von 1929 an bis zu seinem Tode 1983. Morris blieb dem | |
| Westerngenre und seinem Revolverhelden Lucky Luke ebenfalls seit 1946 immer | |
| treu. | |
| Der Kunstkritiker und Hochschuldozent Pierre Sterckx starb 2015 im Alter | |
| von 79 Jahren. Er veröffentlichte das nun bei Carlsen erschienene Buch (Der | |
| Originaltitel würde auf Deutsch lauten: „Die Kunst von Hergé. Hergé und die | |
| Kunst“) kurz vor seinem Tod. Sterckx resümiert darin seine Gedanken zum | |
| Werk des belgischen Comiczeichners (Georges Remi, 1907–1983), den er auch | |
| persönlich kannte. In pointierten essayistischen Texten äußert sich Sterckx | |
| zu allen wichtigen Aspekten in Hergés Werk, vor allem in dessen Hauptwerk | |
| „Tim und Struppi“. Einzelne Kapitel sind aber auch Hergés Tätigkeit als | |
| Werbegrafiker und seinem Interesse am Kunstmarkt ab den sechziger Jahren | |
| gewidmet. Sämtliche Tim-Hauptfiguren werden charakterisiert und | |
| interpretiert, etwa die unterschiedlichen Funktionen, die der Operndiva | |
| Bianca Castafiore in den Handlungen zukommen. Das reizt zum Schmunzeln. | |
| Sterckx hebt einzelne Leistungen Hergés hervor, etwa die „Schönheit des | |
| Schwarzweißen“, wenn er in frühen Tim-Versionen ein stimmungsvolles | |
| Schattentheater inszeniert, das in den späteren Farbversionen verloren | |
| ging. Für die farbigen Alben „Die sieben Kristallkugeln“ und „Der | |
| Sonnentempel“ wiederum „komponiert“ Hergé die Farben geradezu, unterstü… | |
| von begabten Mitarbeitern wie Edgar Pierre Jacobs, und setzt sie in | |
| Verhältnis zum Einsatz von Geräuschen und Musik. Den jungen Hergé prägten | |
| auch Kinoerlebnisse: „Die schwarze Insel“ zeigt Einflüsse von Alfred | |
| Hitchcocks Kriminalfilm „Die 39 Stufen“ sowie von „King Kong“. Das | |
| anregende Buch ist großzügig bebildert und kann mit seltenen Zeichnungen | |
| und Entwürfen Hergés auftrumpfen. | |
| Hergés Kollege Morris schrieb 1964 (in seiner berühmten Artikelreihe über | |
| die „9. Kunst“): „Man vergisst oft, dass Hergé der Vater aller Comics is… | |
| wie man sie bei uns kennt. Hätte Hergé nicht existiert, dann sähen die | |
| Abenteuer, die wir heute lesen, ganz anders aus.“ | |
| Wie Hergé war auch Morris alias Maurice de Bévère (1923–2001) vom Film | |
| beeinflusst. Der Mitte der vierziger Jahre als Comiczeichner debütierende | |
| Belgier war ein Westernfan. Er wollte eigentlich Trickfilmzeichner werden, | |
| was schon in der ersten Lucky-Luke-Episode „Arizona 1880“, die vor 70 | |
| Jahren, im Dezember 1946, im „Spirou-Almanach 1947“ erschien, deutlich zu | |
| sehen ist: Die Figuren sind rundlich – selbst der später so schlaksige | |
| Titelheld. Die Geschichte ist action- und slapstickorientiert wie frühe | |
| Micky-Maus-Filme. Lucky Luke wird, angelehnt an die damals populären | |
| Westernserial-Darsteller Roy Rogers und Gene Autry, als fröhlich singender | |
| und jodelnder Cowboy dargestellt. Erst 1957 wurde die abschließende Szene, | |
| in der Lucky Luke dem Sonnenuntergang entgegenreitet und sein Lied vom | |
| einsamen Cowboy singt, zum festen Bestandteil der Serie. | |
| ## Ein intellektueller Zeichner | |
| Noch präziser in der Werkanalyse als Philippe Sterckx gelingt den beiden | |
| Autoren Gaëtan Akyüz und Vladimir Lecointre in „Auf den Spuren von Lucky | |
| Luke“ (Originaltitel: „Die Kunst von Morris“), das außergewöhnliche Tal… | |
| des Künstlers Morris herauszustellen. Das war überfällig, die Publikationen | |
| zu Morris sind überschaubar. | |
| Morris war ein intellektueller Künstler, der sehr bewusst die eigenen | |
| Mittel einsetzte und zahlreiche Innovationen im Erzählen mit Bildern | |
| erschuf. Er gehörte zur Mannschaft des Comicmagazins „Spirou“, das in den | |
| fünfziger Jahren einen verspielt-humoristischen Zeichenstil entwickelte, | |
| der maßgeblich von André Franquin (der Erfinder von Gaston und dem | |
| Marsupilami) geprägt wurde. | |
| Vor Franquin entwickelte Morris eine filmische Bildsprache und verwendete | |
| Stilmittel, die von „MAD“-Zeichnern wie Harvey Kurtzman entwickelt worden | |
| waren. Die Autoren erläutern an hervorragenden Faksimiles von | |
| Originalzeichnungen, wie klug „lonesome Morris“ seine Seiten aufbaute und | |
| wie er amerikanische und europäische Einflüsse zu einer originellen | |
| Mischung verband. | |
| Nicht zuletzt wird darauf eingegangen, wie Morris die amerikanische | |
| Geschichte interpretierte, in einer Mixtur aus dem Spiel mit bekannten | |
| Mythen und nüchterner Analyse der Realität. Besonders anschaulich gelingt | |
| Morris die Darstellung des amerikanischen Kapitalismus im Rohzustand. Im | |
| Album „Phil Steel“ von 1954 etwa bieten sich zwei benachbarte | |
| Saloonunternehmer einen erbitterten Wettbewerb um die Gunst der Besucher: | |
| Wer hat den stärksten, wer den billigsten Whiskey? Korruption, Feigheit und | |
| Opportunismus prägen Morris’ Charakterisierungen der Pioniere in der Serie, | |
| sodass der Zielgruppe „junge Leser“ ein kritischer Blick auf die | |
| amerikanische Gründerzeit und die moderne Gesellschaft geboten wird. | |
| Das Geniale: Morris findet stets grafische Entsprechungen, die das | |
| zugespitzte Geschehen auch visuell auf den Punkt bringen, was der Leser nur | |
| unbewusst wahrnimmt. | |
| Morris lernte schon Anfang der fünfziger Jahre in den USA den Franzosen | |
| René Goscinny (1926–1977) kennen, beide lebten dort einige Jahre. Er | |
| erkannte sofort dessen Talent zum Geschichtenerzählen, als dieser noch um | |
| Anerkennung ringen musste. Ihre Zusammenarbeit markiert die „goldene Ära“ | |
| Lucky Lukes, in der Morris sich rein auf die grafische Umsetzung | |
| konzentrierte und das Entwerfen der Szenarios vertrauensvoll dem geborenen | |
| Humoristen Goscinny überließ. | |
| 27 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralph Trommer | |
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