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# taz.de -- Zeichner Émile Bravo über Spirou-Comic: „Das möchte ich Kinder…
> Im neuen Spirou-Band verteidigt die Comicfigur die Menschlichkeit im
> Krieg. Autor und Zeichner Émile Bravo erzählt, wieso.
Bild: Hatte seinen ersten Auftritt vor 80 Jahren: Spirou
Vor 80 Jahren hatte [1][die Comicfigur „Spirou“] ihren ersten Auftritt –
als Titelheld in Belgien eines neuen Magazins, Le journal de Spirou. Bald
entwickelte sich der rot uniformierte Hotelpage mit der kecken Haartolle zu
einer der beliebtesten franko-belgischen Comicfiguren, die von wechselnden
Zeichnern geprägt wurde. Vor allem von André Franquin (1924–97), der die
Abenteuerserie in den 1950er Jahren nur so vor Humor sprühen ließ.
Vor rund zehn Jahren bekam dann der 1964 geborene französische Zeichner und
Comicautor Émile Bravo Gelegenheit, einen Spirou-Band für die
„Spezial“-Reihe zu entwerfen. In „Porträt eines Helden als junger Tor“
erzählte Bravo zunächst, wie ein Waisenjunge 1938 Hotelpage im Hotel
Moustic wird und den Spitznamen „Spirou“ (wallonisch: Eichhörnchen)
bekommt.
Dieser Spirou verliebt sich in das polnische Zimmermädchen Kassandra, das
den Kommunisten nahesteht und plötzlich verschwindet, offenbar in Stalins
Fänge gerät. Bravos Spirou-Interpretation bot eine realitätsnahe
Darstellung der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und endete mit dem Überfall
der deutschen Wehrmacht auf Polen 1939.
Seit Längerem hieß es, dass eine Fortsetzung geplant sei. Nun ist es
wirklich so weit. „Schlechter Start in neue Zeiten“ heißt der erste Band
der vierteiligen neuen Story unter dem Haupttitel „Spirou oder: die
Hoffnung“ aus Bravos Feder. Sie setzt dort an, wo das „Porträt“ zuvor
endete.
## Er stellt den Krieg glaubwürdig dar
Im Januar 1940 im neutralen Brüssel hat der heranwachsende Hotelpage alle
Hände voll damit zu tun, seine Freunde, ein Haufen von Straßenkindern, von
allzu wilden Kriegsspielen abzuhalten. Doch der echte Krieg erreicht auch
Belgien. Zusammen mit dem Reporter Fantasio schließt sich Spirou, immer
noch nach Kassandra suchend, einem Flüchtlingstreck an.
Emile Bravo orientiert sich auch im jetzigen Band stilistisch an Hergés
„Ligne Claire“. Er stellt den Krieg glaubwürdig aus der Sicht eines
Jugendlichen dar. Dabei wählt er einen ruhigen Erzählrhythmus und vermeidet
spektakuläre Actionszenen. Bis ins kleinste Detail wird die historische
Situation authentisch wiedergegeben und wirkt höchst lebendig. Bravo
gelingt eine vielschichtige und humorvolle Comicerzählung über den
Weltkrieg, die für Jung und Alt verständlich ist.
taz am wochenende: Monsieur Bravo, vor zehn Jahren haben Sie Ihr erstes
Spirou-Album veröffentlicht. Was hat Sie nun zur Fortsetzung bewogen?
Émile Bravo: Ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte noch nicht
auserzählt ist. Mich hat interessiert: Wie wird dieser Junge zu jenem
Abenteurer Spirou, den der Zeichner André Franquin ab 1946 geprägt hat? Und
ich dachte: Zu dem konnte er sich nur während des Krieges entwickeln. Mein
Ziel war es also zu erzählen, wie ein Kind während der Besatzungszeit unter
den deutschen Nazis überleben und zu seinem persönlichen Humanismus finden
kann. Auch die anderen drei Bände habe ich bereits geschrieben und
gezeichnet, aber noch nicht getuscht und koloriert. Ich musste die
Geschichte zusammen entwickeln. Sie werden nun im Jahresrhythmus
erscheinen, der vierte Band also 2021. Und er wird das Kriegsende
enthalten, die Befreiung Deutschlands durch die Alliierten sowie die ersten
Monate der Nachkriegszeit.
Was hat Sie an der Thematik des Zweiten Weltkriegs im Hinblick auf den
Comic besonders gereizt?
Weniger die bekannten Fakten und Abläufe des Krieges als das individuelle
Verhalten. Als ich klein war, habe ich den Schrecken des Krieges und der
Nazi-Herrschaft nicht verstanden. Warum bringen sich die Menschen
gegenseitig um? Nun habe ich nach einer Erzählperspektive gesucht, in der
es einem Kind in dieser Epoche gelingt, seinen Werten treu zu bleiben.
Spirou sollte niemanden töten, sein Freund Fantasio ebenso nicht. Er wird
nicht zum militanten Widerstandskämpfer, verübt kein Attentat. Trotzdem
wird er zum Helden, weil er sich menschlich verhält. Das möchte ich Kindern
vermitteln.
Ihre Geschichte zeigt also keine „übermenschlichen“ Helden, wie wir sie
auch aus den älteren Spirou-Abenteuern oder anderen Comicserien kennen?
Es gibt viele Leute, die auf ihre Weise gewaltfreien Widerstand geleistet
haben, von denen nach dem Krieg aber kaum gesprochen wurde. In Frankreich
ging es immer um berühmte Widerstandskämpfer wie Jean Moulin. Ich möchte
von jenen erzählen, die im Schatten dieser spektakulären Aktionen oder
Persönlichkeiten stehen. Von kleinen Leuten, die zum Beispiel geholfen
haben, Juden zu verstecken.
Gibt es für die Figuren in Ihren Bänden konkrete Vorbilder?
Ja, einige. Ich meine jene Leute, die sich in dieser unmenschlichen Epoche
einfach normal verhalten haben: menschlich. Und die deshalb auch später
darüber nicht viele Worte verloren haben. Es war für sie
selbstverständlich, sich nicht an das Regime anzupassen und eben nicht die
Angst die Oberhand gewinnen zu lassen. Das macht ihren unheroischen
Heroismus aus. Die Figur des Bauern Anselm steht stellvertretend für sie.
Spirou ist noch sehr jung und handelt auf intuitive, unbewusste Weise wie
ein Held.
Ihre Arbeit deutet auf eine sehr gründliche Recherche, das Brüssel von 1940
und die Lebensumstände werden sehr eindrücklich beschrieben.
Diese Zeit beschäftigt mich einfach schon lange. Mein Vater sagte zu mir,
als ich zehn Jahre alt war: ohne Hitler und Mussolini – die Verbündeten
Francos – würde ich gar nicht existieren. Er war wegen des Bürgerkriegs aus
Spanien geflohen, hatte meine Mutter in Frankreich kennengelernt. Als Kind
nimmt man so etwas sehr ernst. Ich begann schon früh, Zeitzeugen, die ich
kennenlernte, zu befragen: „Wie hast du damals gelebt?“
Und was haben die Leute geantwortet?
Häufig: „Ich habe einfach versucht, zu überleben.“ Während des Krieges
hatten sie vor allem Hunger. Oder Angst. Vor allem vor dem Krieg selbst,
vor den Bombardements der Alliierten, vor der Unterdrückung durch die
Nazis. Während der Recherche bin ich auf einen belgischen Politiker
gestoßen, einen späteren Justizminister, der während der Besatzungszeit
Informationen nach London geschickt hat, die das alltägliche Leben während
der Besatzung betrafen. Durch sie habe ich viel über die Zeit erfahren.
Als Nebenpersonen taucht ein deutsch-polnisches Künstlerpaar auf, Felix
Nussbaum und Felka Platek, die vor den Nazis nach Brüssel flohen.
Ich wollte auch [2][von der Schoah erzählen], aber Spirou nicht nach
Auschwitz schicken. Da entdeckte ich, dass Nussbaum der Maler der Schoah
ist. Er hat das Leben im KZ u. a. in „Triumph des Todes“ thematisiert.
Gegen Ende der vier Alben erfährt der Leser, dass es diesen Maler wirklich
gab und dass er und seine Frau ermordet wurden. Er ist eines von Millionen
Opfern und gibt diesen somit ein Gesicht. Wenn man die Schoah „verstehen“
will, muss man sich seine Gemälde ansehen. Ich möchte, dass er durch sie
weiterlebt.
Sie vermeiden Darstellungen von Nazis und deutschen Soldaten, zeichnen
diese schattiert, warum?
Ich wollte das Faszinosum „Nazis“ kleinhalten und nicht in die Falle
tappen, die Nazis in ihren „schönen“ Uniformen mit den bekannten Emblemen
darzustellen. Die Soldaten wollte ich in dem Maschinenhaften ihrer Existenz
präsentieren. Die Darstellung sämtlicher deutscher Soldaten als Nazis
wollte ich auch vermeiden – oft waren es Soldaten in der Hand eines
verbrecherischen Regimes.
Für wen ist dieser Comic gemacht, für Erwachsene oder für jugendliche
Leser?
Für beide. Ich habe als Kind oft zu hören bekommen: „Du bist noch zu klein�…
oder „eines Tages wirst du das verstehen“… Aber wenn mich ein Erwachsener
ernst nahm, dann war das viel hilfreicher, als in einer Disney-Scheinwelt
zu leben. Man sollte nicht versuchen, Kinder vor der Wirklichkeit
abzuschirmen. Diesen Comic, der zuerst in der Jugendzeitschrift Spirou
abgedruckt wurde, habe ich auch gemacht, um Kinder an diesem Thema
teilhaben zu lassen. Je mehr Wissen sie über die Realität haben, umso
besser können sie sich wappnen, mit ihr umzugehen.
18 Nov 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Ralph Trommer
## TAGS
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