# taz.de -- Kuratorin Tafari-Ama über Sklaverei: „Koloniale Amnesie geht nic… | |
> Die Jamaikanerin Imani Tafari-Ama zeigt mit der Ausstellung „Rum, Schweiß | |
> und Tränen“, wie Flensburg von der Sklavenarbeit in der Karibik | |
> profitiert hat: | |
Bild: David Livingstone sah, wie Sklavenhändler im heutigen Tansania einen Skl… | |
taz: Frau Tafari-Ama, Sie plädieren dafür, dass Flensburgs Stadtgeschichte | |
neu erzählt wird. Warum? | |
Imani Tafari-Ama: Was den kolonialen Handel mit Zucker und Rum betrifft, | |
hat Flensburg eine hässliche Rolle gespielt, die kaum bekannt ist. Die | |
„Blütezeit“ im 18. und 19. Jahrhundert basiert auf Sklavenarbeit. Meine | |
Aufgabe ist es, diese Seite der Handelsgeschichte mit den Jungferninseln – | |
bis 1917 die dänisch-westindischen Inseln – aufzuzeigen. Sie ist | |
gekennzeichnet von „Blut, Schweiß und Tränen“ der Sklaven, die dort auf d… | |
Zuckerplantagen arbeiten mussten. Daher der Ausstellungsname. | |
Kannten Sie Flensburg überhaupt, als Sie vom Schifffahrtsmuseum als | |
Kuratorin angefragt wurden? | |
Den Namen hatte ich noch nie gehört. Umso überraschter war ich über die | |
Einladung. Die Mail landete erst im Spam-Ordner. Bei meinen Nachforschungen | |
fand ich dann heraus, dass Flensburg bis 1864/65 dänisch war. Über die | |
Rolle Dänemarks als Kolonialmacht auf den Jungferninseln wusste ich bis | |
dahin quasi nichts. Nur über Kolonialherren aus den Niederlanden, | |
Deutschland oder England war ich informiert – nicht aber über Dänemark. | |
Nun raten Sie Dänen und Deutschen, ihre Geschichte zu hinterfragen. Die | |
Flensburger vertreten beide Länder: Wie fällt deren Reaktion aus, wenn Sie | |
erklären, dass die „Rum-Stadt“ auf Sklavenarbeit basiert? | |
Stimmt, wegen des dualen Charakters ist Flensburg ein spezieller Fall. | |
Generell ist es so, dass die Deutschen die Verantwortung den Dänen | |
zuschieben. Und die Dänen wollen sich nicht wirklich an den Sklavenhandel | |
erinnern. So verblassen Geschichtsbilder. Einer der Organisatoren der | |
jährlich in Flensburg stattfindenden „Rum-Regatta“ zeigte sich überrascht, | |
dass es Sklaven waren, die auf den Jungferninseln den benötigten Zucker für | |
den Rum anbauten und ernteten. Er wusste schlicht nichts davon. | |
Was können Sie dem vorherrschenden Bild des prunkvollen Kolonialerbes | |
entgegensetzen? | |
Wir versuchen mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und determinierte | |
Perspektiven zu verschieben. Die Europäer müssen anerkennen, dass ihr | |
wirtschaftlicher Aufstieg mit der Unterdrückung von zig Millionen Menschen | |
zusammenhängt. Für Flensburg gilt: Wir ändern keineswegs die | |
Stadtgeschichte, sondern regen zum kritischen Hinterfragen dieses | |
verherrlichenden kolonialen Narratives an. Diesen nostalgischen Blick auf | |
die „Rum-Regatta“, auf prachtvolle Schiffe und große Häuser – den wollen | |
wir durchbrechen. Koloniale Amnesie geht nicht. | |
Wie lief der Handel denn tatsächlich ab? | |
Nehmen wir Carl von Schimmelmann, im 18. Jahrhundert Kaufmann und | |
Sklavenhalter. Schimmelmanns Fabrik fertigte Waffen an und verschiffte | |
diese – zusammen mit Flensburger Rum – nach Ghana, im Tausch gegen die Ware | |
Mensch. Arbeitskräfte, Sklaven natürlich, wurden dafür auf die | |
Jungferninseln verfrachtet, um dort die Plantagen zu bewirtschaften. Der | |
gewonnene Zucker wiederum wurde… | |
… nach Flensburg verschifft. | |
Exakt! Das beschreibt den sogenannten Triangel-„Handel“. Alle königlichen | |
Familien haben das so gehandhabt, bis die Monarchen wegen drohender | |
Misswirtschaft das Modell verstaatlichten. Kopenhagen wurde als Hauptstadt | |
vom König zwar begünstigt – aber gleich danach kam Flensburg. Nur will | |
diese historische Schuld niemand eingestehen. | |
Woran liegt das? | |
Wenn ich Deutsche nach ihrer kolonialen Schuld befrage, heißt es oft, das | |
kollektive Gedächtnis sei eben mit dem Holocaust viel zu sehr beschäftigt | |
gewesen. Der habe alles andere verdrängt. Das mag stimmen. Trotzdem bleibt | |
der Genozid an den Herero und Nama in Namibia bestehen; trotzdem bleiben | |
die Unterdrückungsmaßnahmen in Togo, in Ruanda, in Tansania, in Kamerun – | |
oder eben auf den Jungferninseln – Verbrechen, für die jemand haften muss. | |
Die Europäer müssen anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner das | |
größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte ist, größer noch als der | |
Holocaust. | |
Wenn Sie das in Deutschland behaupten, dürften Sie von verschiedenen Seiten | |
bald energisch korrigiert werden. | |
Ich will keineswegs das unheimliche Verbrechen und das Narrativ dahinter | |
infrage stellen. Was den Juden angetan wurde, war zutiefst grauenvoll. Nur: | |
Die „Maafa“ muss endlich genauso berücksichtigt werden. | |
Das dürfte schwierig werden, schon allein deshalb, weil der Begriff „Maafa“ | |
vielen Deutschen vermutlich nichts sagt. | |
Es geht hier um die Unterdrückung schwarzer Menschen über 500 Jahre hinweg, | |
ein halbes Jahrtausend! Über 200 Millionen Menschen wurden verschleppt, | |
wurden wie Vieh behandelt. Wir müssen für diese Ungerechtigkeiten eine | |
eigene Sprache finden, einen Raum schaffen, der das widerspiegelt. Die 2015 | |
gestartete „Internationale Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung“ | |
thematisiert das, sie geht in die richtige Richtung. | |
Wie kann so ein Prozess funktionieren? | |
Nicht so wie Entwicklungshilfe funktioniert. Ein bisschen Geld geben, um | |
die Elite abzuspeisen, wird nicht reichen. Institutionen, die eine gesunde | |
Entwicklung möglich machen, müssen aufgebaut werden. Kernbereiche wie | |
Bildung, Beschäftigung, sichere Wohnverhältnisse sollten schwarzen Menschen | |
grundsätzlich zugänglich sein. In der Breite ist das nicht der Fall, | |
Schwarze leiden unter vielen Vorurteilen. | |
Was ist nötig, um eine stereotype Denkweise zu entflechten? | |
Das Selbstvertrauen schwarzer Menschen muss wieder aufgerichtet werden. Wir | |
reden von einer Gruppe, der die Menschlichkeit abgesprochen worden ist, die | |
als Objekt galt. Auf dieser Basis nehmen weiße Menschen Schwarze wahr, | |
unbewusst oder bewusst spielt dabei keine Rolle. | |
Wie macht sich der eurozentrische Blick im Alltag bemerkbar? | |
Die Solidarität fehlt unter den Schwarzen, natürlich auch in Afrika. Der | |
Selbsthass, schwarz zu sein, und damit per weißer Definition zu den | |
Schwächeren und Ärmeren zu zählen, ist groß. Manche identifizieren sich nur | |
ungern als Schwarze – sie verweisen vielmehr auf ihre Nation als auf ihre | |
eigentlichen Wurzeln. Oder sie versuchen, an europäische Schönheitsideale | |
heranzureichen. Haare glätten, Haut bleichen; solche Dinge, die zeigen, | |
welchen kulturellen Schaden die Europäer hinterlassen haben. | |
Welche Rolle spielen afrikanische Regierungen? Viele sind korrupt, manchen | |
stehen Diktatoren vor. Es entsteht der Eindruck, als bedienten Sie eher | |
westliche und chinesische Interessen anstatt die ihrer eigenen BürgerInnen. | |
Die Beziehungen zwischen den Eliten afrikanischer Länder und den | |
wirtschaftsstarken Nationen sind in der Tat ein Problem. In Ghana habe ich | |
ein paar Schulen besucht. Mit einem Direktor sprach ich über Bildung, | |
wollte von ihm wissen, welche Geschichte die Kinder in den Schulen lernen. | |
Bringt man ihnen auch etwas über die tatsächlichen historischen | |
Zusammenhänge bei? Nein, ein afrikanisches Geschichtsbild zu vermitteln, | |
sei zu kompliziert, das könne viele Probleme verursachen, lautete die | |
Antwort. Ich dagegen finde, die Schüler sollten so früh wie möglich etwas | |
darüber erfahren. Sonst werden sie die scheinbar festgefahrenen, | |
übergeordneten Strukturen der weißen Perspektive als selbstverständlich | |
hinnehmen. | |
Halten wir fest: Die weiße politische Klasse will keine echte Aufarbeitung, | |
die schwarzen Eliten auch nicht. In breiten afrikanischen | |
Bevölkerungsschichten gelten weiße Verhaltensmuster als erstrebenswert. Wer | |
bleibt noch übrig als Triebfeder? | |
Die panafrikanische Perspektive, also die von den Afrikanern in der | |
Diaspora. Der jamaikanische Panafrikaner Marcus Garvey war einer der | |
ersten, der im frühen 20. Jahrhundert auf die gemeinsamen Wurzeln | |
hingewiesen hat. Es liegt jetzt an der internationalen afrikanischen | |
Pan-Gemeinschaft, speziell in der Karibik, in Europa und natürlich in | |
Afrika selbst, die eigene vergessene, gemeinsame Identität neu zu bilden. | |
Im besten Fall schaffen wir es, der transatlantischen Triangel einen neuen | |
Sinn zu geben und einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. | |
Den ganzen Schwerpunkt über Norddeutschlands Rolle im transatlantischen | |
Dreieckshandel lesen Sie in der taz.am Wochenende am Kiosk oder [1][hier] | |
11 Jun 2017 | |
## LINKS | |
[1] /e-kiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
David Joram | |
## TAGS | |
Sklaverei | |
Kolonialismus | |
Hamburg | |
Sklavenhandel | |
Deutscher Kolonialismus | |
Deutscher Kolonialismus | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hamburgs Proteste gegen Büste halfen: Sklavenhändler abgeräumt | |
Hamburgs Schimmelmann-Büste musste 2008, nach nur zwei Jahren, massiven | |
Protesten weichen. Als Wohltäter gilt der Sklavenhändler teils bis heute. | |
Norddeutsche Kolonialgeschichte: Altona, gebaut aus Sklaven-Gold | |
Das im 18. Jahrhundert dänisch verwaltete Altona war ein Zentrum des | |
transatlantischen Dreieckshandels. Doch auch Hamburger profitierten. | |
Kolonialismus bei Straßennamen: Die Sklavenhalterin von Wedding | |
Neuer Streit um Straßennamen: Ist Königin Ana Nzinga erinnerungswürdig – | |
oder geht es den Kritikern darum, gegen „neuen Kolonialismus“ zu wetttern? | |
Späte Sühne: „Wo ist die Gerechtigkeit?“ | |
Der Aktivist Israel Kaunatjike spricht im Interview über die schleppende | |
Anerkennung des Völkermordes an den Herero durch die deutsche | |
Kolonialmacht. | |
Hamburgs Kolonialgeschichte: Einträglicher Schwindel | |
Hamburger Kaufleute und Reeder haben im Überseehandel Geld verdient, schon | |
lange bevor das Deutsche Reich förmliche „Schutzgebiete“ in Afrika und | |
Ozeanien errichtete. |