# taz.de -- Ethnologie im Museum: Neue Fragen an alte Dinge | |
> In Frankfurt lotet das Museum Weltkulturen den Zusammenhang von | |
> Ethnologie und Handel in der Produktion von Wissen aus. | |
Bild: Blick in das Museum Weltkulturen: Hier sind Fotografien der Sammlung (196… | |
Wer mehr über andere Kulturen wisse, könne globale Märkte erschließen, | |
erklärte Gründungsdirektor Bernhard Hagen bei der Eröffnung des Frankfurter | |
Völkerkundemuseums im Jahr 1904. Die Ethnologie könne deutschen Händlern | |
nützlich sein. | |
Fortan häufte das Museum Waffen, Schmuck, Körbe, Gefäße, Masken und andere | |
Artefakte aus Regionen in Afrika, Nord- und Südamerika, Südostasien und | |
Ozeanien an, dokumentierte Expeditionen und missionarische Aktivitäten. | |
Über 67.000 Objekte und mehr als 120.000 Bücher, Fotografien und Filme | |
gelangten so in die Depots am Main. | |
Weltkulturen Museum heißt das Haus heute. Auf Vorschlag der Unesco änderten | |
zu Beginn des neuen Jahrtausends viele ethnografische Sammlungen ihren | |
Namen, ein Versuch, ihren immanenten Anachronismus zu überwinden. Doch auch | |
wenn Weltkulturen draufsteht, ist meist noch Völkerkunde drin. Es muffelt | |
nach Rassentheorie und kolonialen Raubzügen, einfach mal lüften hilft | |
nicht. | |
Kaum eines dieser Museen schafft es, sich im postkolonialen Kontext neu zu | |
verorten und die eigene Geschichte kritisch zu diskutieren. Genau das will | |
Clémentine Deliss. Seit 2010 ist sie Direktorin in Frankfurt, die Sammlung | |
hat sie zum Labor für ihre Idee des „Postethnografischen Museums“ gemacht. | |
## Den Artefakten heterogene Interpretationen gönnen | |
Sie sitzt auf einem hellgrauen Designersofa in ihrem Büro in einer | |
bürgerlichen Villa am Frankfurter Museumsufer. Es ist eine von drei Villen, | |
in denen das Weltkulturen Museum untergebracht ist. Deliss erzählt | |
energisch von ihrer Vision: Ihr schwebe ein Ort für Diskurs und | |
künstlerische Forschung vor, sagt sie, es gehe darum, etwas Neues | |
auszuprobieren. „Wir sollten diesen Sammlungen eine Heterogenität gönnen, | |
was die Interpretation angeht, und die Autorität und Orthodoxie der | |
Ethnologie hinter uns lassen.“ | |
Deliss ist eine Macherin. Sie lädt regelmäßig Philosophen, Ethnologen, | |
Kuratoren und Künstler zu Thinktanks ein. Transkripte der Gespräche und | |
Essays von führenden Theoretikern wie Richard Sennett, Saskia Sassen oder | |
Paul Rabinow werden in den Ausstellungskatalogen veröffentlicht. Bei | |
Gastaufenthalten schaffen Künstler Arbeiten, die sich auf Artefakte aus den | |
Depots beziehen und in die Sammlung eingehen. In einer der Villen hat | |
Deliss dafür Wohnungen und Studios eingerichtet. | |
## Designer aus Nigeria | |
Künstler wie Thomas Bayrle und Antje Majewski entwickelten Arbeiten für | |
„Objekt Atlas – Feldforschung im Museum“, Deliss’ erste Ausstellung in | |
Frankfurt. Modedesigner aus Nigeria, Deutschland, Großbritannien und | |
Australien entwarfen von ethnografischen Objekten, Fotografien und Filmen | |
inspirierte Prototypen für Kollektionen, die in der zweiten Ausstellung, | |
„Trading Style“, zu sehen waren. Es geht buchstäblich um eine produktive | |
Auseinandersetzung mit der Sammlung im Sinne künstlerischer Subjektivität. | |
Die 53-jährige Deliss ist halb Französin, halb Österreicherin, studierte in | |
Wien Kunst, später in London und Paris Anthropologie und arbeitete | |
anschließend vor allem als freie Kuratorin. Gegenwartskunst in ein | |
ethnografisches Museum zu holen, sei für sie ein natürlicher Schritt | |
gewesen, sagt Deliss. | |
1990 kuratierte sie in Graz die viel beachtete Schau „Lotte oder die | |
Transformation des Objekts“. Sie zeigte zeitgenössische westafrikanische | |
Objekte neben Arbeiten von westlichen Künstlern wie Jeff Koons und | |
Rosemarie Trockel. Es gab keine Schilder in der Ausstellung, die Grenze | |
zwischen dem, was etwa spezifisch afrikanisch oder US-amerikanisch sein | |
könnte, verschwamm. „Leute wie Koons und Trockel warfen damals Fragen zu | |
Repräsentation und Macht auf, Fragen, die in ethnografischen Museen nicht | |
zu finden waren“, sagt Deliss. | |
Gerade ist Deliss’ dritte Ausstellung fertig geworden. „Ware & Wissen“ | |
untersucht die Beziehung zwischen Ethnologie und Handel mit Artefakten. | |
Ausgangspunkt ist Bernhard Hagens Gründungsrede. Die Berliner Künstlerin | |
Peggy Buth sprach sie nach und filmte sich dabei, das Video läuft in der | |
Schau. | |
## Beutezüge nach Papua-Neuguinea | |
Die großen Fenster der Villa geben den Blick auf die andere Seite des Mains | |
frei, dort ragen Glastürme und Bankenlogos in den Himmel. Drinnen erzählen | |
Fotografien und Assemblagen von kleptomanischen Beutezügen. An einer Wand | |
leuchten Bilder einer Expedition auf: 1961 reisten Anthropologen des | |
Völkerkundemuseums und des Frankfurter Frobenius-Instituts für | |
ethnologische Forschung nach Papua-Neuguinea, schleppten Schlitztrommeln | |
und Hauspfosten auf Schiffe, nicht etwa je ein Exemplar, nein, gleich | |
mehrere, und kehrten mit über 4.000 Objekten nach Frankfurt zurück. | |
## Beklemmende Fotografie | |
Andere Fotoserien zeigen nackte Körper und Nahaufnahmen von Genitalien, | |
Hagen sammelte sie für seine anthropologischen Studien. In den Thinktanks | |
wurde diskutiert, ob man solche Bilder zeigen solle. Man habe sich klar | |
dafür entschieden, sagt Kustodin Yvette Mutumba: „Wenn wir diese Bilder | |
nicht zeigen, dann ignorieren wir auch die Geschichten der Menschen, die da | |
abgebildet sind.“ Beklemmend wirkt die fotografische Akkumulation, die | |
Menschen zur Ware des Wissens macht. Peggy Buth führt die ethnografische | |
Methodik vor: Auf Tischen liegen Hunderte von Missionaren geschossene Fotos | |
aus, die Künstlerin hat sie nach ähnlichen Motiven gruppiert. | |
Der Neuseeländer Luke Willis Thompson bearbeitet das Thema der | |
Repatriierung. Auch das Weltkulturen Museum schickte 2011 zusammen mit dem | |
Senckenberg Naturkundemuseum zwei verschleppte Schädel der Maori zurück | |
nach Neuseeland. Thompson stellt das Budget für die Repatriierung eines | |
Menschen zur Verfügung, der in Frankfurt stirbt und in seiner Heimat | |
beigesetzt werden soll. Das aus seinem geografisch-kulturellen Kontext | |
Gerissene erhält ein Gesicht, so verweist Thompson auf den emotionalen Wert | |
der Sammlungsstücke. | |
## Ein Modell für neuere Museen | |
Ihre Vision vom „Postethnografischen Museum“ hat Deliss zum Manifest | |
ausformuliert. In New York stellte sie es bei einem Symposium der School of | |
Visual Arts vor, sprach neben prominenten Persönlichkeiten der Kunstszene | |
wie Daniel Birnbaum oder Okwui Enwezor. In Berlin erntete sie bei einer | |
Tagung des „Humboldt Lab Dahlem“ Beifall. Ihr Programm könne auch als | |
Modell-Projekt für Häuser wie das Humboldt-Forum in Berlin fungieren, sagt | |
Deliss. Die Sammlung des Berliner Ethnologischen Museums mit rund 500.000 | |
Objekten wird in ein paar Jahren in das neue Stadtschloss umziehen. Im | |
„Humboldt Lab Dahlem“ werden derzeit Konzepte für neuartige Präsentationen | |
geprobt, einen selbstkritischen Diskurs lassen sie allerdings vermissen. | |
Während man Deliss’ Arbeit weltweit mit Neugier verfolgt, hält man sich in | |
Frankfurt mit Diskussionen um die Platzierung eines Neubaus für das | |
Weltkulturen Museum auf. Eine Bürgerinitiative begehrte 2011 gegen den vom | |
Magistrat geplanten Bau unterhalb eines Stadtparks am Museumsufer auf. | |
Anwohner und Autor Ulf Erdmann Ziegler nahm das zum Anlass für einen | |
Angriff auf Deliss’ Ausstellungspolitik in einer Tageszeitung. In | |
Zusammenhang mit einer Arbeit von Antje Majewski sprach er von einer | |
„Beleidigung für das Publikum, das sich für die exotische Sammlung und | |
deren Hintergründe im Ernst und seit vielen Jahren“ interessiere. Fakt ist: | |
Die Parameter, auf die sich „exotische“ Sammlungen ein Jahrhundert lang | |
stützen konnten, sind evaporiert. Vielleicht kann kritische Kunst | |
tatsächlich eine Katharsis bewirken. | |
Der Neubau wird aus finanziellen Gründen vorerst nicht realisiert. Er sei | |
zwar wichtig, erfolgreich sei das Konzept aber auch ohne ihn, sagt Deliss, | |
das zeigten etwa die 2013 um 40 Prozent gestiegenen Besucherzahlen. Die | |
mexikanische Künstlerin Minerva Cuevas hat für „Ware & Wissen“ Zahlungs- | |
und Tauschmittel verschiedener Kulturen aus den Archiven geholt, einige | |
sind Schenkungen aus einer Commerzbank-Sammlung von sogenanntem | |
„Primitivgeld“. Das Frankfurter Unternehmen wurde als Sponsor für die | |
Ausstellung angefragt, leider sei kein Geld da, hieß es. Ethnologie und | |
Handel haben es fast zeitgleich in eine Sackgasse geschafft. | |
22 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Sabine Weier | |
## TAGS | |
Museum | |
Frankfurt | |
Museum für Völkerkunde | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
„fremd“ im Völkerkundemuseum: Glotz sie an, nenn es Bildung | |
Die neue Direktorin des Leipziger Grassimuseums lädt Externe ein. Ihre | |
Interventionen sollen das Haus und ethnologische Traditionen hinterfragen. | |
Exponate aus ehemaligen Kolonien: „Wir holen uns Rat“ | |
Hamburgs Museum für Völkerkunde versucht, koloniale Präsentation zu | |
vermeiden und mit Restitutionsbedarf sensibel umzugehen. |