# taz.de -- Autonome Demo in Hamburg: „Politik ist kein identitäres Projekt�… | |
> In Hamburg findet die größte Demo um den 1. Mai am Vorabend statt, Motto: | |
> „Breite Solidarität“. Die AnmelderInnen sind Autonome. Worum geht es | |
> ihnen? | |
Bild: Verhärtete Fronten: autonome Demo für Flüchtlinge und den Erhalt der R… | |
taz: Emilio, wem gehört der 1. Mai? | |
Emilio Schubert: Der 1. Mai ist traditionell ein Tag, an dem verschiedene | |
soziale Kämpfe ihren Platz haben. Angefangen beim Chicagoer Haymarket 1886 | |
gibt es eine lange Geschichte von Widerstand an dem Tag. Vor dem | |
Hintergrund finden wir es wichtig, genau an diesem Datum öffentliche Räume, | |
Hausbesetzungen und Rassismus noch mal aufs Tableau zu bringen. | |
Aber ihr habt den Vorabend gewählt. Warum? | |
Es gibt ja bundesweit am 1. Mai unterschiedliche Veranstaltungen, wo | |
hinmobilisiert wird, zum Beispiel zur Blockade des Naziaufmarsches in | |
Schwerin. Wir finden es wichtig, dass Leute da hingehen, gerade vor dem | |
Hintergrund des immer massiver werdenen Rassismus überall. Was ja auch | |
eines unserer Themen ist, aber da wollen wir nicht in Konkurrenz treten. | |
Trotzdem reiht ihr euch in die Tradition der 1.-Mai-Demos ein. | |
Der Anlass für unsere Demo ist weniger der ritualisierte 1. Mai, als | |
vielmehr die konkreten Themen wie das Verfahren um die Hausbesetzung in der | |
Breiten Straße. | |
Ein Prozess gegen sechs Menschen, die beschuldigt werden, im August 2014 | |
schwere Dinge aus einem kurzzeitig besetzten Haus geschmissen zu haben. | |
Drei von ihnen waren wegen versuchten Totschlags angeklagt, der Vorwurf ist | |
jetzt vom Tisch. Aber die Verfahren sind noch lange nicht zu Ende, es | |
besteht immer noch die Gefahr von Haftstrafen, an denen das Gericht großes | |
Interesse hat. | |
Wie passt das in die Thematik des 1. Mai, wo es traditionell um | |
Arbeiterkämpfe geht? | |
Die radikale Linke hat immer Umstrukturierung, Repression und Raumnahme | |
angesprochen. Auch Besetzungen sind eine Form, wie Kämpfe um Wohnraum | |
geführt werden. | |
Worum geht es euch genau? | |
Einerseits wollen wir die Solidarität mit den Betroffenen vom | |
Breite-Straße-Verfahren auf breitere Füße stellen und mit anderen | |
politischen Themen der Stadt verknüpfen. Wie zum Beispiel mit der | |
fortschreitenden Verdrängung in der Stadt, die sich auch am Streit um den | |
Golden Pudel Club festmacht. | |
Einem unkommerziellen Klub am Hafen, der kürzlich abgebrannt ist und dem | |
wegen eines Streits seiner Eigentümer die Versteigerung bevorsteht. | |
Genau. Der Pudel ruft deshalb auch zu der Demo auf und wird mit einem | |
eigenen Lautsprecherwagen dabei sein. | |
Wie passt das zusammen: die KünstlerInnen-Szene um den Pudel Club – und | |
Autonome? | |
Wir wollen gerade deutlich machen, dass Widerstand gegen Kommerzialisierung | |
von politischen Projekten unterschiedliche Formen haben kann. Der Pudel hat | |
bestimmt andere Antworten als wir. Aber wir wollen deutlich machen, dass im | |
Fall einer Kommerzialisierung des Pudels mit Widerstand aus | |
unterschiedlichen Spektren zu rechnen ist, und dass InvestorInnen gut | |
beraten wären, die Hände vom Club zu lassen. | |
Beim Schanzenhof ist das nicht gelungen. Das alternative Hinterhof-Areal im | |
Schanzenviertel wurde vor Kurzem an einen Investor verkauft, der die | |
AltmieterInnen rausschmiss. | |
Der Schanzenhof war die letzte Bastion gegen die Verdrängung von | |
MieterInnen im Schanzenviertel. Letztlich wurde er doch privatisiert – | |
wogegen sich unser Widerstand richtet. Im Schanzenviertel beginnt deshalb | |
die Demo. | |
Und wie passt Rassismus thematisch dazu? | |
Rassismus zeigt sich zunehmend zum Beispiel dadurch, dass jede Nacht | |
irgendwo in Deutschland Flüchtlingsheime brennen. Aber gerade auch hier in | |
der Stadt, in Groß Borstel oder Blankenese, wo gegen Unterkünfte geklagt | |
wird, und wo sich die sogenannte „Initiative für Integration“ gegründet h… | |
… | |
Ein Dachverband, der einen Volksentscheid gegen Großunterkünfte durchführen | |
will … | |
… der vorgibt, Interessen von AnwohnerInnen zu vertreten, aber letztlich | |
rassistische Positionen vertritt. Die Forderung „Wir wollen keine | |
Sammelunterkünfte“ lässt außer Acht, dass das real bedeutet, Geflüchtete | |
abzuschieben, weil es nicht möglich ist, sie unterzubringen. | |
Dezentrale Unterkünfte fordern auch Linke. Ist es schwierig, wenn auch | |
Rechte und PolitikerInnen sich diese Forderung aneignen? | |
Das finde ich überhaupt nicht schwierig. Genau dann ist es unsere Aufgabe, | |
eine starke Position zu beziehen und deutlich zu machen, dass die | |
Biedermänner geistige Brandstifter sind und Rassismus salonfähig machen. | |
Weil sie gelernt haben, dass man nicht mehr so einfach sagen kann: „Wir | |
wollen keine Flüchtlingsunterkunft“, sondern lieber den Umweg nimmt, zu | |
sagen: „Wir wollen keine Großunterkünfte“. | |
Was macht man denn, wenn man plötzlich solche Leute in den eigenen Reihen | |
hat? | |
Unsere Demo ist nicht der Versuch, zu sagen: „Wir sammeln möglichst viele | |
Menschen ein und gucken dann, was ist der kleinste gemeinsame Nenner ist“, | |
sondern wir wollen unsere Forderungen deutlich machen. Aber Politik ist für | |
uns auch kein identitäres Projekt, das an der eigenen Kapuze aufhört. | |
Ist es nicht schlauer, Themen punktuell stark zu machen, als alle in einen | |
Topf zu rühren? | |
Das hat weniger mit dem Datum zu tun als mit der gesellschaftspolitischen | |
Analyse von dem, was gerade in der Stadt passiert. Unsere Kernforderung ist | |
ja „Die Stadt gehört allen“. Was uns betrifft, lässt sich die Frage um | |
Wohnraum nicht getrennt von Rassismus verhandeln, weil MigrantInnen es auf | |
dem Wohnungsmarkt noch viel schwerer haben. Und auch wenn wir über | |
Repressionen reden, sind People of Colour ganz anders betroffen als weiße | |
Aktivistinnen. Wir kritisieren auch die rassistische Abschiebepraxis des | |
Senats. Wir unterscheiden nicht zwischen guten SyrerInnen und schlechten | |
Roma-Flüchtlingen. | |
Seid ihr auch für irgendwas? | |
Unsere Perspektive ist die einer direkten Solidarität mit Geflüchteten, für | |
offene Grenzen, für freies Fluten. | |
Mit Klassenkampf habt ihr also nichts zu tun?! | |
Die unterschiedlichen Themenfelder haben nicht ausschließlich was mit | |
Klassenkampf zu tun – Rassismus zieht sich ja durch alle | |
Gesellschaftsstrukturen, das lässt sich nicht in oben und unten trennen. | |
Aber Rassismus wird als Instrument genutzt, um ein anderes Bild von oben | |
und unten zu zeichnen und auf diese Weise soziale Kämpfe zu unterdrücken. | |
Und wenn darüber geredet wird, dass Wohnraum in dem Moment nicht mehr so | |
gewinnbringend verkauft werden kann, wenn Geflüchtete nebenan wohnen – dann | |
geht’s natürlich um kapitalistische Interessen. Oder wenn zwischen | |
wirtschaftlich verwertbaren und sogenannten Armutsflüchtlingen | |
unterschieden wird. Das hat natürlich was mit der sozialen Frage zu tun. | |
Die Demo endet am Hafen. Gibt es einen thematischen Bezug? | |
Am Hafen wird Hetzjagd auf schwarze Menschen betrieben. Der neue | |
SPD-Innensenator Andy Grote hat das gerade zu seinem Kernthema erklärt. Er | |
hat die Jagd auf vermeintliche Drogendealer durch eine Taskforce verstärkt. | |
Und das, obwohl Gefahrengebiete für verfassungswidrig erklärt worden sind. | |
Letztlich ist das, was auf St. Pauli stattfindet, nichts anderes als die | |
Weiterführung der Gefahrengebiete. Vor einigen Wochen hat diese Praxis zum | |
Tod eines Menschen geführt. | |
Ein Geflüchteter, der wegen 1,65 Gramm Marihuana in Untersuchungshaft saß, | |
hat sich das Leben genommen. | |
Genau deshalb geht die Demo an den Hafenrand. Wir richten uns ganz klar | |
gegen die völlig verfehlte Drogenverbotspolitik, die versucht, Probleme | |
repressiv und durch rassistische Kontrollen zu lösen. | |
Die Demo ist angemeldet, aber ihr ruft auch zu Kleingruppen-Action auf? | |
Naja, nee. Aber es gibt leider die Erfahrung in Hamburg, dass die | |
Polizeiführung nicht den Weg über die Gerichte wählt, wenn ihnen eine | |
Demonstration missfällt, wenn sie sich also nicht mit dem politischen | |
Anliegen anfreunden kann. Stattdessen wählt die Polizei die Praxis, | |
unliebsame Demonstrationen auf der Straße anzugreifen und zu | |
verunmöglichen. Dann ist es klar, dass sich die Leute andere Wege suchen, | |
um sich ihr Recht auf Straße zu nehmen. | |
Reine Schikane seitens der Polizei – oder wie interpretiert ihr das? | |
Da wird deutlich, dass die Polizeiführung losgelöst von anderen politischen | |
Akteuren agiert, dass sie selbst politischer Akteur ist und versucht, | |
eigene Interessen durchzusetzen. | |
Vielleicht ist das auch ein Interesse der Innenbehörde? | |
Auch. Das zeigt sich daran, wie Andy Grote agiert. Die SPD in Hamburg hat | |
dieses Trauma, dass Innensenatoren für den Job zu lasch sind. Grote | |
versucht, dem Image des all zu Netten, des Everybody’s Darling, Kante zu | |
geben. Die Einführung der Task Force für Drogenkriminalität ist ein | |
Beispiel dafür: Es wird eine Gefahr konstruiert, um polizeiliches Handeln | |
zu legitimieren und mehr Befugnisse zu kriegen. Da wird klar, dass Grote | |
dem Druck aus dem Polizeiapparat nachgibt und eigentlich selbst Getriebener | |
ist. | |
Wird man irgendwann müde, immer am 1. Mai zu demonstrieren? | |
Anlässe gibt es ja leider immer wieder genug, um auf die Straße zu gehen. | |
Die gibt am ersten Mai, aber auch 365 Tage im Jahr. | |
Den ganzen Schwerpunkt zum Thema „Klassenkampf mit neuen Fronten – wem | |
gehört der 1. Mai?“ lesen Sie in der gedruckten Ausgabe der taz.Nord oder | |
[1][hier]. | |
29 Apr 2016 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
Kai von Appen | |
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