| # taz.de -- Bis ins intimste Detail ausspioniert: „Eine Freundschaft, die es … | |
| > Was ist das für ein Gefühl, wenn rauskommt, dass man jahrelang eine | |
| > Spitzelin getroffen hat? Über eine vermeintliche Freundschaft mit Maria | |
| > B. | |
| Bild: Schwerer Beschuss: Beim Protest gegen den Nato-Gipfel 2009 in Frankreich … | |
| Hamburg taz | Er dachte, gut mit ihr befreundet gewesen zu sein – bis raus | |
| kam, dass sie ihn nur benutzt hat, um linke Strukturen auszuspionieren. Ein | |
| Hamburger Aktivist erzählt der taz, wie sich das anfühlt. Ein Protokoll | |
| Ich habe Maria B. nachts auf der Straße kennengelernt. Das war 2008, wir | |
| standen beide vor einem Konzertclub und kamen ins Gespräch. Ich war neu in | |
| Hamburg und sie angeblich auch. Wir haben Nummern getauscht und einen Monat | |
| später hat sie sich dann bei mir gemeldet. | |
| Anfangs war der Kontakt rein privat, wir haben uns häufig in der Kneipe | |
| getroffen. Aber sie wirkte immer politisch interessiert. Ich kenne sie | |
| eigentlich auch nur in schwarzen Klamotten, also Black Block Dress. Aber | |
| wir haben viel über Persönliches geredet, intime Sachen wie Beziehungen, | |
| Freundschaften, Probleme und was bei uns im Leben gerade so passiert. | |
| Sie hat erzählt, das sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht hat, | |
| irgendwo in Süddeutschland. Dass sie aus Halle kommt und bei ihrer Tante | |
| aufgewachsen ist. Ihre Mutter war angeblich tot und ihr Vater weg, alles | |
| war ziemlich tragisch, hat sie signalisiert. Da bohrt man dann ja auch | |
| nicht nach, wenn jemand nicht darüber reden will. | |
| Später hat sie erzählt, dass sie ihren Vater in Frankreich ausfindig | |
| gemacht hat. In Le Havre in Frankreich. Niemand kennt Le Havre, weil das ne | |
| hässliche Stadt ist, wo alles gleich aussieht. Da gibt‘s auch nicht viel. | |
| Aber ich kannte es zufällig. Ich hab sie gefragt, wo ihr Vater genau wohnt, | |
| aber da ist sie nicht drauf eingegangen. Sie meinte, ihrem Vater tue alles | |
| sehr leid, dass sie ohne ihn aufwachsen musste und so. Er hatte ne neue | |
| Familie in Le Havre, alles sehr schmerzvoll, wie sie es erzählt hat. | |
| Deshalb überweise er ihr monatlich Geld. Später hat sie ab und zu erzählt, | |
| ihn besuchen zu fahren. | |
| ## Alles auf Spesen | |
| Angeblich hatte Maria eine halbe Stelle in der persönlichen Assistenz. Ich | |
| arbeite auch als persönlicher Assistent, da hab ich sie natürlich gefragt, | |
| bei welchem Träger sie ist – da gibt‘s in Hamburg nämlich nicht viele. Sie | |
| sagte, sie arbeite bei einer dementen Frau und sei direkt über die Familie | |
| angestellt. | |
| Im Nachhinein ist das ziemlich unwahrscheinlich. Sie sagte, sie würde nur | |
| 400 Euro verdienen. Ich hatte auch wenig Geld, aber ich dachte, „sie hat | |
| noch weniger“ und hab dann öfter mal das Bier bezahlt. Jetzt kam raus, dass | |
| sie offenbar ganz gut verdient hat und alles, was sie im Alltag so | |
| konsumiert hat, als Spesen abrechnen kann. Vor allem, wenn sie in die | |
| Kneipe ging. | |
| Ich hab sie auch vielen Leuten vorgestellt, da haben sich viele Kontakte | |
| entwickelt. Es war einfach für sie, Anschluss zu finden, weil sie total | |
| nett war. Sie hat alle immer sehr herzlich begrüßt, mit Umarmung und „hey | |
| Süße, hey Süßer“ und so. | |
| Sie hat mich auch zu ihrem Geburtstag eingeladen – wahrscheinlich war das | |
| gar nicht ihr Geburtstag. Ich hab auch Freunde von mir mitgebracht, in ihre | |
| Wohnung nach Wilhelmsburg. Wir haben uns zusammen betrunken, was man halt | |
| so macht auf ner Geburtstagsparty. | |
| Ich habe vor Kurzem ein Foto von dem Geburtsgag gefunden, wo ich sie umarme | |
| und ihr gratuliere. Das war ganz komisch, dieses Foto wiederzufinden: Ich | |
| lache auf dem Bild, sie lacht auch und die umstehenden Leute sehen sehr | |
| glücklich aus. Im Nachhinein zu denken, diese Person gab es gar nicht, ist | |
| sehr befremdlich. Und ein harter Übergriff auf meine Privatsphäre. | |
| Sie war auch mal bei meinem Geburtstag da, ich hab sie natürlich | |
| eingeladen. In meiner Wahrnehmung war sie ja ne enge Freundin. Sie hat mir | |
| ein T-Shirt geschenkt, da stand drauf „Bleiberecht für alle“. Das hab ich | |
| immer noch und hab es auch immer noch gern. | |
| ## Einsatz im Ausland | |
| Als wir uns ein halbes Jahr kannten, sind wir zusammen zum Protest gegen | |
| den Nato-Gipfel nach Frankreich gefahren. Das war ein ziemlich krasses | |
| Erlebnis. Wir waren an einem Camp in Straßburg und es war sofort deutlich, | |
| dass die Polizei gewaltbereit und aggressiv war. Frankreich ist wieder in | |
| die Nato eingetreten, dafür wurde eine Brücke gebaut, auf der ne Zeremonie | |
| mit Merkel, Obama und Sarkozy geplant war. Vom Camp aus sollte es eine | |
| Friedensdemo gegen Krieg und Gewalt geben, die von der Nato ausgehen. | |
| Am Tag davor gab‘s viele Vorbereitungsplena im Camp. Es war ein | |
| anstrengender Tag, es waren sehr viele Plena, aber Maria hat sich | |
| angeboten, überall hinzugehen. Sie hat viele Aufgaben übernommen. Die | |
| Friedensdemo wurde nicht genehmigt, deshalb sollte es eine Fünffingertaktik | |
| geben. Das letzte Plenum ging bis zwei Uhr nachts, und um vier Uhr morgens | |
| sollte schon wieder Abmarsch aus dem Camp sein. Ich hatte ein Zelt dabei | |
| und habe das mit Maria geteilt. Als wir uns schlafen gelegt haben, sind | |
| Helikopter über dem Camp gekreist, sehr tief und ohne Licht. | |
| Alle waren verängstigt, wir hatten Angst, dass das Camp nachts geräumt | |
| wird. Wenn man dann aus dem Tiefschlaf gerissen wird und alle panisch | |
| durcheinander rennen – da hat man natürlich Angst, überhaupt einzuschlafen. | |
| Wir haben darüber geredet, Ohrstöpsel zu benutzen oder nicht. Ich hab | |
| gesagt, ich schlaf auf jeden Fall ohne Ohrstöpsel, sonst kriegen wir | |
| vielleicht nicht mit wenn das Camp geräumt wird und werden von der Polizei | |
| überrannt oder zusammengeschlagen. Sie war ganz unbesorgt, hat sich Ohropax | |
| in die Ohren gestopft und geschlafen. Im Gegensatz zu allen anderen Leuten | |
| in dem Camp, die alle sehr aufgeregt waren, war sie ganz ruhig und | |
| entspannt. | |
| ## Wie im Weltuntergangs-Actionfilm | |
| Um vier Uhr sind wir aufgestanden und los gelaufen. Wir waren ungefähr | |
| 1.000 Leute in dem Finger. Es war dunkel, alle waren müde, angespannt, und | |
| komplett still. Irgendwann haben wir am Ende einer langen Straße gesehen, | |
| dass da was glänzte. Es waren die Visiere an den Helmen der Polizei, die | |
| man ansonsten nicht gesehen hat. Sie waren komplett in schwarz. Wir haben | |
| in 200 Meter Entfernung gestoppt und überlegt was wir machen, aber in dem | |
| Moment hat die Polizei uns schon aus einer anderen Straße heraus | |
| beschossen. | |
| Sie schossen mit Tränengasbomben. Das sind so Kartuschen, die sie über die | |
| Häuser hinweg abgefeuert haben. In der Luft explodieren die und raus fallen | |
| fünf kleine Tränengaspäckchen. Die brennen und die Luft füllt sich sofort | |
| mit Tränengas. Es war eine einzige Wolke und man sah nicht mal die Polizei | |
| von der es kam. Unser Finger hat sich aufgeteilt und ist in verschiedene | |
| Richtungen weiter gelaufen. | |
| Über uns flogen Hubschrauber, die man aber nicht sah, weil sie keine | |
| Positionslichter anhatten. Plötzlich machte es „knack“ und ein Scheinwerfer | |
| ging über uns an – der Helikopter war direkt über uns. Und man sah auch die | |
| anderen Helikopter, die über den anderen Fingern waren und wusste deshalb | |
| plötzlich, wo die anderen sind. Das sah aus wie in einem | |
| Weltuntergangs-Actionfilm: der ganze Himmel voll mit Polizeihubschraubern, | |
| die auf die Aktivistinnen leuchten. | |
| Ab da hat‘s immer wieder geknallt, die Polizei hat sofort mit Tränengas | |
| geschossen, wo sie auf AktivistInnen gestoßen ist. Sie haben auch mit | |
| Gummigeschossen geschossen, wenn man näher an sie rangekommen ist. Das ist | |
| sehr beängstigend, wenn jemand dich sieht, ein Gewehr auf dich anlegt und | |
| schießt. | |
| Sie haben uns den ganzen Tag beschossen. Tränengas ist ziemlich perfide. | |
| Wenn man in so einer Wolke ist, kommt man da so leicht auch nicht raus, es | |
| brennt auf der haut und in den Augen, man sieht nicht, kann nicht atmen, | |
| hat Erstickungsanfälle. Die Leute fallen um wie die Fliegen, können sich | |
| nicht bewegen, können nicht mehr denken, sondern schreien eigentlich nur | |
| noch. | |
| Wir sind gemeinsam durch den Tränengasnebel gelaufen. Es war sehr | |
| unübersichtlich und die Luft war irgendwann so voll mit Tränengas, dass es | |
| immer brannte. Wenn wir Leute gesehen haben, die in einer Wolke auf dem | |
| Boden lagen, sind wir rein gerannt und haben sie raus gezogen. Die waren | |
| für Worte nicht mehr empfänglich, man hält sie dann nur fest und spült | |
| ihnen die Augen aus. | |
| ## Wer sind die Guten, wer die Bösen? | |
| Was ich mich frage ist, wie man so was erleben kann und es einen nicht dazu | |
| bringt, die Polizei infrage zu stellen. Zu keinem Zeitpunkt waren Leute | |
| näher als 50 Meter an der Polizei dran und es wurde immer sofort | |
| geschossen. Es war ne Friedensdemo, die mit so ner brutalen Gewalt | |
| auseinander geschlagen wurde – das hatte schon fast Symbolcharakter. Ich | |
| kann nicht verstehen, wie man so aggressives Verhalten der Polizei erleben | |
| kann und es einen nicht das Ganze in Frage stellen lässt. | |
| Wir sind den ganzen Tag da durch gerannt und beschossen worden. Einmal sind | |
| wir gelaufen und waren in einer Wolke, die vom Wind mit uns mitgetragen | |
| wurde. Wir haben die Augen zugemacht und sind einfach gerannt, um aus der | |
| Wolke zu kommen. Aber irgendwann muss man ja atmen. Dann holt man Luft und | |
| alles brennt und man kann sofort nicht mehr weiterlaufen und fällt um. Wir | |
| konnten nichts mehr machen und waren sofort ausgeknocked. Man hat auch | |
| Panikattacken, kann nicht mehr denken, sich nicht sagen „Es ist gleich | |
| vorbei“. | |
| Irgendwann war Maria nicht mehr mit uns unterwegs. Wir haben uns abends im | |
| Camp wieder getroffen, da hatten wir alle total viel Redebedarf, auch sie. | |
| Das ist ein Erlebnis, was total zusammenschweißt, wenn man so ner brutalen | |
| Polizeigewalt ausgesetzt ist. | |
| Es war eine der krassesten Sachen die ich je in meinem Leben erlebt habe. | |
| Am nächsten Tag wollte ich nur noch weg. | |
| Insgesamt war ich so drei, vier Jahre mit ihr befreundet. Im letzten | |
| halben, dreiviertel Jahr hatte sie dann immer weniger Zeit. Sie hat auch | |
| andere Leute kennengelernt und mehr mit denen gemacht. Angeblich hat sie | |
| dann den Arzt der Rentnerin kennengelernt, die sie gepflegt hat, und mit | |
| ihm ne Affäre gestartet. Da hat sie auch erzählt, dass dieser ganze | |
| Politkram sie depressiv macht und sie frustriert – das hab ich auch | |
| verstanden. | |
| Irgendwann war sie dann halt gar nicht mehr da. Über Bekannte hab ich | |
| erfahren, dass sie ausgestiegen ist und erstmal ne Beziehung führt und ne | |
| happy Kleinfamilie gründet oder so. Ich hab mich dann immer mal wieder bei | |
| ihr gemeldet aber sie ist nicht mehr rangegangen und hat nicht | |
| zurückgeschrieben. | |
| Das letzte Mal hab ich‘s vor zwei Monaten versucht. Sie war ja ne gute | |
| Freundin, dachte ich, da fragt man sich ja was aus der Person geworden ist | |
| und was die so macht. Ich hatte ein ehrliches Interesse an ihr als Mensch | |
| und wollte wissen, wie es ihr geht. Es war ziemlich tragisch, zu erfahren, | |
| dass sie mich und viele andere nur benutzt hat, um Strukturen | |
| auszuspionieren. Und ich selbst hab so viel Energie reingesteckt, in eine | |
| Freundschaft die es nie gab, in eine Person, die nie existierte. | |
| Den ganzen Schwerpunkt zu verdeckten Ermittlerinnen lesen Sie in der | |
| gedruckten Ausgabe der taz.nord oder in unserem [1][E-Kiosk.] | |
| 18 Sep 2015 | |
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| Katharina Schipkowski | |
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