# taz.de -- Verdeckte Ermittlerin in Hamburg: Am Anfang stand das Reh | |
> Das Radio „Freies Sender Kombinat“ wurde Anfang der 2000er Jahre von der | |
> Polizei ausspioniert. Zum Einsatz von Iris P. nimmt die Redaktion jetzt | |
> Stellung. | |
Bild: Auch hier war Iris P. tätig: Rote Flora in Hamburg. | |
HAMBURG taz | Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum Einsatz der | |
verdeckten Ermittlerin Iris P. in der linken Szene Hamburgs wird immer | |
unausweichlicher. Anders sind wohl kaum die Widersprüche in dem sechs Jahre | |
andauernden Komplex aufzuklären. | |
Die damals 27-jährige Staatsschützerin des Hamburger Landeskriminalamt | |
(LKA) war mindestens in den Jahren 2001 bis 2006 im besetzten autonomen | |
Zentrum Rote Flora und beim selbstverwalteten Radio „Freies Sender | |
Kombinat“ (FSK) eingesetzt. Sie war dort als „Beamtin für Lagebeurteilung�… | |
(BfL) für das LKA-Hamburg als auch parallel als „verdeckte Ermittlerin“ | |
(VE) im Auftrag des damaligen Generalbundesanwalts Kay Nehm für das | |
Bundeskriminalamt und das LKA-Schleswig-Holstein tätig. | |
In der schriftlichen Aufarbeitung „Ausgeforscht“ hat die Redaktion des | |
queer-feministischen Magazins "„Re(h)v(v)o(l)lte radio“ beim FSK nun der | |
letzten Darstellung der Innenbehörde im Innenausschuss der Hamburgischen | |
Bürgerschaft deutlich widersprochen, dass die unter der Tarnidentität „Iris | |
Schneider“ tätige Beamtin beim FSK wegen der Presse- und Rundfunkfreiheit | |
mit „ausdrücklicher Zurückhaltung“ agiert habe. | |
Nach heutigem Kenntnisstand hatte Iris P. nie den richterlich abgesegneten | |
Auftrag gehabt, den FSK zu infiltrieren. Sie habe wohl nur mitgemacht, um | |
ihre Legende als „Iris Schneider“ zu untermauern, so zuletzt die | |
Innenbehörde. Iris P. war „nicht nur als Moderatorin, sondern auch als | |
Produzentin, Interviewerin und Interviewte im FSK tätig“, kontern die | |
Macherinnen von „re(h)v(v)o(l)lte radio“. Sie habe sogar den Namen der 2004 | |
ins Leben gerufenen Sendung entscheidend mitgeprägt. So lautete der | |
Arbeitstitel zunächst „Steht ein Reh im Wald“. Iris P. sei das zu „natur… | |
und albern“ gewesen, so das Team. „Ihrer Meinung nach sollte der Name | |
unserer Sendung 'politischer' sein und 'nach vorne gehen'.“ | |
## Themen mitbestimmt | |
Sie habe „Rehvolte Radio“ als Namen vorgeschlagen und während einer Sendung | |
offen am Mikrofon vertreten, so dass das Wortungetüm „re(h)v(v)o(l)lte | |
radio“ entstanden sei. „Iris hat die Themen von Sendungen mitbestimmt und | |
sich an der Vorbereitung von Interviews und Beiträgen beteiligt“, so die | |
Redaktion. So zuvor auch bei den FSK-Sendungen „Nachmittagsmagazin für | |
subversive Unternehmungen“ oder „female Machos“ und „u-turn queer“. | |
Im Februar 2005 habe Iris P. über eine Antifa-Demo gegen einen | |
Naziaufmarsch in Kiel berichtet. „Also ich fand Kiel insgesamt sehr prima, | |
weil sich permanent Leute an Ecken sammeln konnten, um auf der Demoroute | |
der Nazis zu stehen, (...) um kraftvoll Protest entgegenzusetzen“, | |
berichtete Iris P.. „Mein Eindruck war, dass die Polizei gar keine | |
Übersicht mehr hatte.“ | |
Mit viel Zeit und technischen Sachverstand habe sich Iris P. | |
„unentbehrlich“ zu machen versucht. „Durch ihr Vorpreschen und ihre | |
Insistenz machte sich die verdeckt arbeitende Polizeibeamtin aktiv zu einem | |
Bestandteil unserer Gruppe“, so die Macherinnen. Iris P. habe das | |
Vertrauen, das den Radiomacherinnen entgegengebracht worden sei, | |
ausgenutzt, um sich so den Zugang zu weiteren Gruppen und Einzelpersonen, | |
insbesondere aus dem queer-feministischen Spektrum zu erschließen. | |
## Gezielter Auftrag? | |
Inzwischen geht die „re(h)v(v)o(l)lte radio“-Redaktion davon aus, dass Iris | |
P. einen gezielten Auftrag gehabt habe und nicht aus eigener Motivation | |
beim Sender aktiv geworden sei. „Eine Frau, die ihre Identitäten nicht | |
bewusst unter Kontrolle gehabt hätte, wäre untauglich gewesen“, sagt die | |
„re(h)v(v)o(l)lte radio“-Redaktion zum Wirken der verdeckten Ermittlerin. | |
„Ein Freizeitausgleich für ihre Ermittlerintätigkeit“ komme daher nicht in | |
Frage, es bleibe die Frage: „Warum wurde in den Jahren 2001 bis 2006 eine | |
homosexuell lebenden Beamtin ausgesucht?“ | |
Das private Miteinander spiele in linken Zusammenhängen eine große Rolle, | |
daher könne bei ihr auch von „Zurückhaltung“ keine Rede gewesen sein. „… | |
führte Freundschaften, Liebesbeziehungen und Affären in der queeren Szene. | |
Sie hat bei vielen Gelegenheiten unsere Wohnungen betreten, zum Teil | |
mehrmals die Woche“, erinnern sich ihre Kolleginnen. „Sie hat mit uns Tee | |
getrunken, Musik gehört, gepuzzelt und geplaudert.“ All das, was eine | |
verdeckte Ermittlerin nur auf genaue richterlicher Anordnung vielleicht | |
dürfte, aber was eine als „Beamtin für Lagebeurteilung“ eingesetzte | |
Polizistin des LKA-Hamburg auf jeden Fall nicht durfte. | |
Die Hamburger Innenbehörde, die Aufklärung versprochen hat, gibt zurzeit | |
nur scheibchenweise Fakten preis, weil angeblich sämtliche Akten vernichtet | |
und alle Datensätze wegen Datenschutz gelöscht worden seien. Hamburgs | |
SPD-Innensenator Michael Neumann hat daher an die Betroffenen intimer | |
Ausspähung aus der linken Szene appelliert, sich als Zeugen zur Verfügung | |
zu stellen, da Iris P. zu dem Komplex schweige. Davon wird zurzeit kein | |
Gebrauch gemacht, weil das Misstrauen gegenüber auch der heutigen | |
Polizeiführung überwiegt. Vor einem parlamentarischen | |
Untersuchungsausschuss oder einer unabhängigen Untersuchungskommission wäre | |
die Bereitschaft zur Aussage nach taz.de-Informationen wohl durchaus | |
vorhanden. | |
9 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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