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# taz.de -- Gefahrengebiete in Hamburg: Richter zweifelt an der Polizei
> Das Hamburger Oberverwaltungsgericht nennt das polizeiliche Vorgehen in
> einem 2011 zum Gefahrengebiet erklärten Teil der Stadt rechtswidrig.
Bild: Nicht durchweg rechtens, sagt das Oberverwaltungsgericht: Polizeieinsatz …
HAMBURG taz | Klare Worte im Saal 5.01 des Hamburgischen
Oberverwaltungsgerichts – und eine Ohrfeige für die Polizei. Als die am
Vorabend des 1. Mai 2011 die Personalien und zudem präventiv einen
mitgeführten Rucksack einer linken Aktivistin überprüfte, handelte sie
rechtswidrig. Das gesamte Schanzenviertel war damals zum polizeilichen
Gefahrengebiet erklärt worden, nachdem es in den Vorjahren um die besetzte
„Rote Flora“ herum zu Randale gekommen war.
Obwohl es für die aktuelle Entscheidung nicht von Bedeutung war, hielt das
Gericht am Donnerstag verdachtsunabhängige Personenkontrollen in solchen
Gefahrengebieten auch grundsätzlich für verfassungswidrig: Der
entsprechende Passus im Hamburger Polizeigesetz über die Datenverarbeitung
(PolDVG) lässt dem Vorsitzenden Richter Joachim Pradel zufolge
„Normenklarheit und Bestimmtheitsgebot“ vermissen, wie sie
„Kerngrundrechtseingriffe“ rechtfertigen könnten.
Ziel des polizeilichen Vorgehens war 2011, Personen zu überprüfen, „die
augenscheinlich der linken Szene angehören“, um Ausschreitungen
vorzubeugen. Das stellte laut Pradel mindestens eine Diskriminierung dar.
Sollte eine bestimmte politische Überzeugung gemeint gewesen sein, wäre es
aus Sicht des Gerichts sogar ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz im
Grundgesetz.
## „Pech gehabt“
Die Schanzen-Aktivistin Claudia Falke hatte am Abend des 30. April 2011 ein
Aufenthaltsverbot für ihr eigenes Wohnviertel erteilt bekommen. Zuvor hatte
eine Polizistin ihren Rucksack überprüft. Als sie Protest äußerte, kam
Falke gar für eine Nacht in Gewahrsam. Rechtswidrig war aus Sicht des
Gerichts schon die Durchsuchung des Rucksacks: Sogar das PolDVG sehe nur
eine „in Augenscheinnahme“ vor. Wie die beteiligte Polizistin selbst
eingeräumt hatte, hatte sie in das Gepäckstück gegriffen, um etwas zur
Seite zu schieben – ausgeschlossen, sagte jetzt Richter Pradel: „Wo man
nichts sieht, hat man eben Pech gehabt.“
Auf Wunsch von Falkes Anwälten, aber auch mit dem Einverständnis der
anwesenden Polizei-Justitiarin widmete sich Pradel in einem Exkurs dem
Gefahrengebiet-Passus in dem Gesetz: Das Gericht hege erhebliche Zweifel
daran, ob die Maßnahmen überhaupt zur Verhütung von Straftaten geeignet
seien – und damit verfassungskonform. Ein Eingriff ins informationelle
Selbststimmungsrecht und in den allgemeinen Persönlichkeitsschutz setze
konkrete „Tatsachen“ voraus: So müsse von der jeweiligen Person eine
Straftat von „erheblicher Bedeutung“ zu befürchten sein, sagte Pradel: „…
brauchen eine Nähe zur Gefahr und eine Nähe der Gefahr zu dem Betroffenen.“
Dagegen seien etwa Lageerkenntnisse der Polizei nur eine Bewertung, sagte
der Richter. Es sei nicht nachvollziehbar, dass eine präventive Kontrolle
gegen 20 Uhr Stunden später Straftaten verhindern können solle, befand der
Richter. Es sei denn, die Personalienkontrolle hätte nur dem Zweck gedient,
die betroffene Person aus der Gegend fernzuhalten und etwaige
Folgemaßnahmen greifen zu lassen. Das Aufenthaltsverbot und den Gewahrsam
hatte in Falkes Fall 2012 bereits das Verwaltungsgericht für rechtswidrig
erachtet.
## Verfassungsgericht soll prüfen
Verfassungsrechtliche Bedenken sieht das OVG auch bei den zeitlich
unbegrenzten Gefahrengebieten, wie Anfang vergangenen Jahres eines über
mehrere Stadtteile verhängt worden war. Er wisse nicht, sagte Pradel
sarkastisch, wie viele der Richter an seinem Gericht davon betroffen
gewesen seien. Polizei und Innenbehörde sollten den entsprechenden Passus
dem Landesverfassungsgericht zur Normenprüfung vorlegen. Im
Koalitionsvertrag haben Hamburgs SPD und Grüne vereinbart, gegebenenfalls
das Gesetz an die Rechtssprechung anzupassen.
Verkünden will das OVG das Urteil am 13. Mai.
16 Apr 2015
## AUTOREN
Kai von Appen
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Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Polizei
Gefahrengebiet
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