# taz.de -- Senator mit Bleibeperspektive: „Keine Gefahrengebiete mehr“ | |
> Hamburgs neuer Innensenator Andy Grote (SPD) im Interview über Sex & | |
> Drugs, die Flüchtlingspolitik, sexuelle Übergriffe und den G-20-Gipfel | |
Bild: Hamburgs neuer Innensenator beim Integrationsprojekt für Flüchtlinge | |
taz: Herr Grote, Ihr Job ist es, die offene Flanke der SPD bei der Inneren | |
Sicherheit zu sichern. Sind Sie mehr ein SPD-Senator als ein | |
Hamburg-Senator? | |
Andy Grote: Innensenator zu sein ist eine Aufgabe ausschließlich im Dienst | |
der Stadt. | |
Na, dann buchstabieren Sie doch bitte mal den Begriff „Willkommenskultur“. | |
Das bedeutet für mich, dass wir die Flüchtlinge, die zu uns kommen, | |
bestmöglich unterstützen und versorgen. Wir müssen sehr schnell die | |
Bleibeperspektive klären und dann Integration auf allen Ebenen betreiben, | |
aber auch Klarheit vermitteln über die Spielregeln, nach denen unser | |
gesellschaftliches Zusammenleben funktioniert. | |
Sie gelten als jemand, der gerne feiert. Muss man jetzt aufpassen, wenn man | |
sich im Silbersack neben Ihnen einen Joint dreht? | |
Ich habe nicht vor, mein Verhalten im privaten Bereich mehr als nötig zu | |
ändern. | |
Als Bezirksamtsleiter haben Sie Kontakt zu linken Stadtteilaktivisten | |
gepflegt. Verändert sich das jetzt durch Ihr neues Amt? | |
Sicher verändern sich die Rolle und das Auftreten ein Stück weit. Alles, | |
was ich vorher gemacht habe, behält dabei seinen Wert. Man wird durch so | |
ein Amt ja nicht zu einem völlig anderen Menschen. Es muss kein Nachteil | |
sein, wenn der Innensenator auf St. Pauli lebt, ein breites Spektrum von | |
Menschen kennt, mit ihnen sprechen kann und sie versteht. | |
Sind derzeit verdeckte Ermittler im Einsatz? | |
Kein Kommentar. | |
Wird es auch unter einem Innensenator Grote verdeckte ErmittlerInnen geben, | |
die – siehe Rote Flora – sogar undercover mit Autonomen vögeln? | |
Nicht alles, was in der Vergangenheit geschah, ist geeignet, fortgesetzt zu | |
werden. | |
Zur Flüchtlingspolitik: Es gab katastrophale Pannen in der Erstaufnahme – | |
sind die Probleme inzwischen gelöst? | |
Aktuell kommen wir gut zurecht. Es gelingt uns, alle ankommenden | |
Flüchtlinge tagesaktuell zu registrieren. Allerdings haben wir für die Zahl | |
der Flüchtlinge, die für 2016 prognostiziert wird, bei Weitem noch nicht | |
genug Plätze. | |
Wie lautet die Prognose? | |
Wir rechnen mit 40.000, und davon fehlen noch etwa 20.000 Plätze. Die | |
müssen wir einigermaßen gerecht über die Stadt verteilen. Ohne einige große | |
Unterkünfte aber wird das praktisch nicht gehen können. | |
Der rot-grüne Senat will das Sexualstrafrecht verschärfen. Sind sexuelle | |
Übergriffe wie in der Silvesternacht ein Problem, das sich durch mehr | |
Polizeipräsenz lösen lässt? | |
Die Ereignisse von Silvester waren natürlich ein Anlass, auf allen Ebenen | |
zu überprüfen, ob wir gut genug aufgestellt sind, auch auf der | |
juristischen. Die Frage ist also: Geht unser Strafrecht mit solchen | |
Vorfällen angemessen um? Die Einschätzung war: Wir müssen die | |
Strafbarkeitsschwelle senken und den Schutz von Frauen erhöhen. Das ist der | |
Sinn unserer Initiative im Bundesrat. | |
Und die Rolle der Polizei? | |
Richtig ist, dass wir die Polizeipräsenz vor allem an den Wochenenden | |
erhöht haben, um Sicherheit zu gewährleisten. Die Wahrnehmung war ja: Hier | |
kann ich als Frau nicht mehr hingehen, hier bin ich nicht geschützt. Das | |
haben wir geändert, jetzt hat sich der normale Betrieb wieder eingestellt. | |
Das werden wir weiter so verfolgen. | |
Sie haben den Repressionsdruck erhöht durch Videoüberwachung und Body-Cams: | |
Vergnügen nur noch unter den Augen der Polizei? | |
Lageabhängig werden wir Kameras einsetzen. Ab einer bestimmten | |
Menschenmenge haben wir es immer schwerer, die Übersicht zu behalten und | |
eventuelle Straftaten zu erkennen und zu verfolgen. Die Tatverdächtigen von | |
Silvester konnten wir nur aufgrund privater Bilder identifizieren, sonst | |
hätten wir wohl niemanden gefasst. In Zukunft aber möchte ich nicht mehr | |
von Zufallsfotos abhängig sein. Deshalb ist der Kameraeinsatz an bestimmten | |
Stellen zu bestimmten Zeiten sinnvoll. | |
Eine andere große Herausforderung des kommenden Jahres wird der G-20-Gipfel | |
sein: Ist der hohe Sicherheitsaufwand, der die Bewegungsfreiheit der | |
Hamburger einengen wird, gerechtfertigt? | |
Eine moderne Metropole wie Hamburg ist für solche großen internationalen | |
Veranstaltungen geeignet. Es wird allerdings zu spürbaren Einschränkungen | |
der Bewegungsfreiheit in der Stadt kommen. Unsere Aufgabe wird es sein, das | |
erforderliche Maß an Sicherheit zu gewährleisten und zugleich die | |
Beschränkungen für die HamburgerInnen in erträglichem Rahmen zu halten. | |
In der Vergangenheit kam es bei solchen Gipfeln zu schweren Zusammenstößen | |
zwischen Polizei und Demonstranten. Befürchten Sie das für Hamburg? | |
Das will ich nicht hoffen. G-20 ist nicht G 7 oder G 8. Da sind auch | |
Schwellenländer dabei wie Indonesien, Südafrika oder Brasilien. Das kann ja | |
nicht schädlich sein, wenn diese 20 Regierungen miteinander sprechen. Und | |
die können sich ja auch nicht nur in autoritären Staaten treffen oder in | |
der Wüste oder auf einem bayerischen Schloss. In einer offenen, | |
demokratischen Gesellschaft könnte man solche Veranstaltungen auch so | |
organisieren, dass auch die, die solche Gipfel kritisch sehen, in offenen | |
Foren zu Wort kommen. Die Kritik an der Sicherheitsfrage wird aber | |
schwierig, wenn sie von denen kommt, die die Sicherheitsmaßnahmen auslösen. | |
Wie wäre es mit einem großflächigen Gefahrengebiet? | |
Das Oberverwaltungsgericht verlangt von uns, dass wir das neu regeln. | |
Gefahrengebiete in ihrer bisherigen Ausprägung sind ja eine Hamburgensie. | |
Es gibt auch Regelungen in anderen Bundesländern, an denen wir uns | |
orientieren könnten. Das klopfen wir gerade ab, ob das auch zu unseren | |
Anforderungen in der Großstadt passt. Es wäre gut, aus dieser Hamburger | |
Sondersituation herauszukommen. | |
Das heißt, Sie halten frühere Maßnahmen Ihres Amtsvorgängers und der | |
Polizeiführung für überzogen? | |
Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir uns an das halten, was das | |
Gericht festgestellt hat. Gefahrengebiete bisheriger Prägung kann es danach | |
nicht mehr geben. | |
19 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
Lena Kaiser | |
Sven-Michael Veit | |
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