# taz.de -- Silvester-Übergriffe vor Gericht: Der Angeklagte war zu klein | |
> Der erste Prozess nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der | |
> Silvesternacht endete mit Freispruch. Die Opfer korrigierten im Gericht | |
> ihre Aussagen. | |
Bild: Polizisten in der Silvesternacht: unübersichtliches Gedränge in der Gro… | |
HAMBURG taz | Es war der erste Prozess nach den Übergriffen auf Frauen in | |
der Silvesternacht: Das Schöffengericht sprach Ghofur N. vom Vorwurf der | |
gemeinschaftlichen sexuellen Nötigung und der Beleidigung auf sexueller | |
Grundlage frei. Zwei Opfer erkannten N. nicht wieder und so konnten die | |
Tatvorwürfe nicht nachgewiesen werden. „Dieses Verfahren hat sehr deutlich | |
gezeigt, wie problematisch die Wiedererkennung im Gerichtssaal ist“, sagte | |
die Richterin Kathrin Sachse in ihrer Urteilsbegründung. „Nicht das Gesicht | |
der Person am Tatort, sondern das vom Lichtbild hat sich bei den Zeuginnen | |
eingeprägt.“ | |
Die Vorwürfe gegen den 30-jährigen N., der seit dem 21. Januar in | |
Untersuchungshaft saß, waren schwerwiegend. Der Familienvater sollte eine | |
19-jährige Studentin aus Kiel am Neujahrsmorgen in der Großen Freiheit an | |
der Hüfte festgehalten haben, damit andere Männer ihr das Kleid | |
hochschieben und ihr mehrfach in den Intimbereich greifen konnten. Zuvor | |
soll er das Gedränge ausgenutzt haben, um einer 24-Jährigen den Rock | |
hochzuschieben und ihren Intimbereich zu berühren. | |
Die 19-Jährige war mit fünf Freundinnen beim Feuerwerk an den | |
Landungsbrücken und wollte anschließend einen Club in der Großen Freiheit | |
aufsuchen. Sie verlor ihre Freundinnen im Gedränge aus den Augen, wurde von | |
Männern bedrängt und plötzlich habe ein Mann sie mit den Worten gepackt: „I | |
help you.“ Sie dachte, er wolle ihr helfen, doch er „hatte mich nur für die | |
anderen Männer festgehalten, die mir in den Intimbereich griffen“. | |
Sie habe das Gesicht des Mannes kurz registriert, da er sie an einen | |
Kommilitonen erinnerte. Erst nach Medienberichten meldete sie sich bei der | |
Polizei, beschrieb den Täter in Vernehmungen mal als Mann mit „dunklem | |
Teint“, mal als „Südländer“. Mal hatte er eine „Halbglatze“, mal �… | |
lichtes Haar“, aber immer beschrieb sie ihn „schlank, 1,80 Meter groß“ o… | |
„ein Kopf größer als ich“. Identifiziert haben wollte sie den Täter spä… | |
auf Fotos, die ihr von der Polizei mehrfach gezeigt wurden. | |
Auf die Frage der Richterin, ob sie den Angeklagten im Saal wiedererkenne, | |
sagte sie nach einem kurzen Blick auf N.: „Ja, von der Gesichtsform und vom | |
Teint her ist er es.“ Die Frage der Staatsanwältin, was für Schuhe die 1,74 | |
Meter große 19-Jährige am Tatabend getragen habe und ein Vergleich der | |
Körpergröße mit N.s Verteidiger Philipp Götze brachte die Wende. Der 1,69 | |
Meter große N. konnte nicht der Kopf größere Täter gewesen sein. „Von der | |
Körpergröße schließe ich das aus“, korrigierte die 19-Jährige schließli… | |
ihre Aussage. | |
Auch die 24-Jährige, die ebenfalls im Prozess aussagte, wollte N. an einer | |
schwarz-roten Jacke auf Fotos wiedererkannt haben. Aber im Verfahren konnte | |
sie dann nicht sagen, ob N. wirklich derjenige war, der sie begrapscht oder | |
festgehalten hatte. | |
Mit der Urteilsverkündung hob das Gericht den Haftbefehl gegen N. auf. Er | |
bekommt eine Haftentschädigung. Richterin Sachse mahnte, so „perfide“ die | |
Situation in der Silvesternacht auch gewesen sein möge, man müsse darüber | |
nachdenken, wie schnell man unter Verdacht gerate, nur weil man in einer | |
schwarz-roten Jacke unterwegs war. | |
19 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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