# taz.de -- Streit der Zeitungen um Silvester-Übergriffe: Verhärtete Fronten | |
> Die Zeit und das Hamburger Abendblatt werfen sich gegenseitig Schlamperei | |
> bei der Berichterstattung über die Silvester-Übergriffe vor. Jetzt geht | |
> der Streit vor Gericht | |
Bild: Löst noch immer Diskussionen aus: Polizeieinsatz in der Silvesternacht | |
HAMBURG taz | Wie sehr die Ereignisse der vergangenen Silvesternacht noch | |
polarisieren, zeigt sich derzeit an einem Streit zwischen zwei großen | |
Hamburger Verlagshäusern: Die Wochenzeitung Die Zeit hat angekündigt, | |
gerichtlich gegen das Hamburger Abendblatt vorgehen zu wollen. Auf Facebook | |
findet derweil eine Diskussion statt, in der sich Journalisten beider | |
Häuser so wie LeserInnen und andere Unbeteiligte gegenseitig Vorwürfe | |
machen und ebenfalls mit Klagen drohen. | |
Gegenstand der Kontroverse ist die Berichterstattung über einen Prozess um | |
die Silvester-Übergriffe. Die Zeit-Autoren Sebastian Kempkens und Frank | |
Drieschner hatten im November in ihrem Bericht [1][„In die Enge getrieben“] | |
die Ermittlungen nach den Übergriffen als Desaster bezeichnet und der | |
Justiz Versagen vorgeworfen. | |
## Kritik an Polizeiarbeit | |
Die Staatsanwaltschaft hatte im Frühjahr drei geflüchtete Männer | |
beschuldigt, einer Frau in der Silvesternacht in der Großen Freiheit | |
sexualisierte Gewalt angetan zu haben. Die Anklage stützte sich auf die | |
Hauptzeugin, also das Opfer, die die Männer auf Fotos wiedererkannt haben | |
will. Die Fotos entstanden allerdings, so stellte sich im Laufe des | |
Prozesses heraus, zwar in der Tatnacht, nicht aber zu der Uhrzeit, zu der | |
sie Opfer der Übergriffe wurde. | |
Außerdem sei die Zeugin von den ErmittlerInnen suggestiv befragt und vor | |
der Befragung mehrere Minuten mit den Bildern allein gelassen worden, | |
schreiben Kempkens und Drieschner. Stimmt das, ist es ein | |
unverantwortliches Vorgehen, das die Aussagen bezüglich der Fotos | |
unbrauchbar macht. Die Polizei äußerte sich dazu auf taz-Anfrage nicht. | |
Zu genau diesem Urteil kam aber neben den Zeit-Autoren auch Richterin Anne | |
Meier-Göring, die die Beschuldigten Anfang November frei sprach. In ihrer | |
Urteilsbegründung kritisierte sie das Vorgehen der ErmittlerInnen und der | |
Staatsanwaltschaft scharf: Sie sei persönlich schockiert, wie leicht sich | |
der Rechtsstaat unter dem Druck der öffentlichen Meinung, der Medien und | |
der Politik erschüttern lasse. Die Ermittlungspannen sähen schon fast nach | |
einer Verschwörung aus. | |
Kempkens und Drieschner kommen in ihrem Artikel zwar zu dem Schluss, dass | |
es keine Hinweise auf ein koordiniertes Vorgehen der Behörden gab, um die | |
drei für unschuldig Befundenen hinter Gitter zu bringen. Allerdings habe | |
eine „unbegreifliche Kette von Fehlleistungen der Polizei, der | |
Staatsanwaltschaft und einer Strafkammer des Oberlandesgerichts“ dazu | |
geführt, dass drei junge Männer sechs Monate lang unschuldig in | |
Untersuchungshaft saßen. Dazu schrieb der Strafrechtler Johann Schwenn | |
einen Kommentar, in dem er das Vorgehen der Behörden „laienhaft“ nennt. | |
Beim Abendblatt regte man sich offenbar so über die Berichterstattung der | |
Zeit auf, dass man ihr eine ganze [2][Seite] widmete: Der Redakteur Holger | |
Schöttelndreier schrieb, die Autoren seien „von der Kette gelassen worden“ | |
und hätten eine Recherche geliefert, deren Ergebnisse „von | |
Qualitätsjournalismus so weit entfernt wie der Silvester-Mob von | |
einvernehmlichem Sex.“ Die Zeit habe frei mit der Wahrheit jongliert und | |
zum Teil erfundene Behauptungen aufgestellt. Die Sonderermittlungsgruppe | |
der Polizei sei hingegen „streng nach Vorschrift vorgegangen“. | |
Daraufhin konterte die Zeit mit dem Artikel [3][„Wie das Abendblatt mit der | |
Wahrheit umgeht“]. Die Zeit-Redaktion wirft der Lokalzeitung darin unter | |
anderem vor, sie nicht ein einziges Mal mit den Vorwürfen konfrontiert zu | |
haben. „So geht's nicht“, sagte der stellvertretende Ressortleiter der Zeit | |
Hamburg Kilian Trotier. | |
Es handele sich nicht um eine Meinungsverschiedenheit, sondern um einen | |
Angriff und um Fakten, die nicht der Wahrheit entsprächen. „Das ist | |
rufschädigend“, sagte Trotier der taz. Man habe das Abendblatt vergeblich | |
zur Unterlassung aufgefordert und sehe sich jetzt gezwungen, wegen | |
Falschaussagen vor Gericht zu gehen. | |
## Streit eskaliert auf Facebook | |
Das Abendblatt wollte sich auf taz-Anfrage nicht zu Details äußern. Ein | |
Sprecher der Funke-Mediengruppe sagte lediglich: „Wir haben kein Interesse | |
daran, mit dem Fall Gerichte zu beschäftigen. Sollte dieses Interesse auf | |
der anderen Seite bestehen, sehen wir einer möglichen juristischen | |
Auseinandersetzung entspannt entgegen.“ | |
Zu einer Klärung bei einem Glas Wein, wie anfangs im Zuge der | |
Facebook-Diskussion vorgeschlagen, wird es nun wohl nicht mehr kommen. Der | |
Hamburg-1-Moderator Herbert Schalthoff hatte vorgeschlagen, das Gespräch in | |
seiner Sendung fortzuführen. Auf seinem Profil spielte sich auch die | |
Debatte ab, bei der sich die beteiligten Protagonisten gegenseitig Lügen, | |
schlampige Recherche und falsche Beschuldigungen vorwerfen. Die Autoren der | |
Artikel haben sich mittlerweile aus der Diskussion verabschiedet. Ein | |
gewisser Popcorn-Faktor bleibt. | |
28 Dec 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/2016/47/sexuelle-belaestigung-silvester-grosse-freiheit-… | |
[2] http://www.abendblatt.de/vermischtes/journal/thema/article208988183/Was-ges… | |
[3] http://www.zeit.de/2016/53/silvesteruebergriffe-hamburger-abendblatt-wahrhe… | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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