| # taz.de -- Streit um Hamburger Gefahrengebiete: Polizei vielleicht verfassungs… | |
| > Seit ein Gericht Gefahrengebiete als verfassungswidrig einstufte, | |
| > arbeiten Hamburger Behörden an neuem Gesetz. Solange kontrolliert die | |
| > Polizei fleißig weiter. | |
| Bild: Schon lange bevor ein Gericht sie als verfassungswidrig einstufte, waren … | |
| HAMBURG taz | Gefahrengebiete sind verfassungswidrig – jedenfalls laut | |
| Einschätzung des Hamburger Oberverwaltungsgerichts (OVG) im Mai 2015. Aber | |
| die Polizei lässt sich davon nicht beirren. Ende vergangener Woche | |
| kontrollierten PolizistInnen die Personalien einer Gruppe Menschen an der | |
| Balduintreppe auf St. Pauli. Als Grund der Kontrolle gaben die | |
| PolizistInnen das Gefahrengebiet an. Das bestätigte auch ein Sprecher der | |
| Polizei. | |
| Eine der kontrollierten Personen berichtet: Auf den Hinweis, | |
| Gefahrengebiete seien aber verfassungswidrig, hätten die PolizistInnnen | |
| erwidert, das Urteil sei ihnen zwar bekannt, sie fühlten sich aber nicht | |
| daran gebunden – ihr Auftraggeber sei schließlich nicht das Gericht, | |
| sondern die Polizeiführung. | |
| Der Polizeipressesprecher Jörg Schröder sagte dazu: „Die Polizei agiert | |
| nach der derzeit gültigen Rechtslage.“ Und die sei nun mal, solange die | |
| geplante Änderung noch nicht in Kraft sei, wie gehabt – das Gefahrengebiet. | |
| Im April hatte sich die rot-grüne Koalition auf eine Gesetzesänderung | |
| geeinigt, die Gefahrengebiete abschafft und in „gefährliche Orte“ ändert. | |
| Kontrollen sollen nach dem neuen Gesetz nicht mehr flächendeckend möglich | |
| sein, dafür reichen die Befugnisse der BeamtInnen weiter. Die Neuregelung | |
| sei „schärfer, aber zielgerichteter“, argumentierten Justizsenator Till | |
| Steffen (Grüne) und Innensenator Andy Grote (SPD). Nach der Sommerpause | |
| soll das neue Gesetz im Innenausschuss und der Bürgerschaft verabschiedet | |
| werden. | |
| Aber wie kann bis dahin noch ein Gesetz noch in Kraft sein, das nicht mit | |
| dem Grundgesetz vereinbar ist? Ganz so einfach sei das nicht, sagt der | |
| Hamburger Verfassungsrechtler Ulrich Karpen. „Über die Verfassungsmäßigkeit | |
| von Gesetzen kann nur ein Verfassungsgericht entscheiden.“ Das | |
| Oberverwaltungsgericht habe in einem konkreten Fall geurteilt. | |
| Im Mai 2015 hatte eine Passantin geklagt, weil sie im Gefahrengebiet | |
| kontrolliert worden war. Sie bekam Recht und das OVG begründete auf 36 | |
| Seiten, warum es Gefahrengebiete generell für verfassungswidrig hält. | |
| „Hinfällig wird das Gesetz über die Gefahrengebiete dadurch aber nicht“, | |
| stellt Karpen klar. Allerdings halte er es aus Sicht der Polizeiführung | |
| nicht für klug, ein Gesetz weiter zu praktizieren, wenn es ernsthafte | |
| Hinweise darauf gibt, dass es gegen die Verfassung verstößt. Polizei und | |
| Innenbehörde finden das unproblematisch. Frank Reschreiter von der | |
| Innenbehörde sagt: „Solange der Gesetzestext nicht geändert wird, gilt das | |
| alte Gesetz unter Berücksichtigung des OVG-Urteils.“ | |
| Nur: Wie sollen die BeamtInnen das umsetzen? Kontrollen aufgrund des | |
| Gefahrengebiets durchzuführen, unter Berücksichtigung des Urteils, das | |
| Gefahrengebiete als verfassungswidrig einstuft? In der Urteilsbegründung | |
| des Gerichts steht: „Schon die Ausweisung eines Gefahrengebiets kann sich | |
| auf die unbehelligte Grundrechtsausübung auswirken“. | |
| Die Anwältin Alexandra Wichmann, die mehrere AnwohnerInnen des | |
| Gefahrengebiets St. Pauli in Rechtsfragen berät, ist der Meinung: „Wenn man | |
| das OVG-Urteil ernst nimmt, kann es keine Gefahrengebiete geben. Alle | |
| Maßnahmen, die unter Berufung auf das Gefahrengebiets erfolgen, verstoßen | |
| gegen Grundrechte“. Die Polizei setze sich wissentlich über das Urteil | |
| hinweg. Polizeisprecher Schröder weist diesen Vorwurf zurück. Wie die | |
| BeamtInnen bei den Kontrollen das OVG-Urteil berücksichtigen, erklärt er | |
| so: „Die Inaugenscheinnahme von Rucksäcken ist seit dem Urteil nicht mehr | |
| erlaubt.“ | |
| Was allerdings nicht heißt, dass sie nicht vorkommt. Vergangene Woche | |
| berichtete eine Anwohnerin der Hafenstraße: Kurz nachdem sie ihr Haus | |
| verlassen habe, sei sie von PolizistInnen angehalten und ihre Personalien | |
| seien überprüft worden. Dabei habe eine Beamtin sie am ganzen Körper | |
| abgetastet und ihre Tasche durchsucht. Auf die Frage nach dem Grund für die | |
| Durchsuchung hätten die BeamtInnen ihr die Auskunft verweigert. Die | |
| Anwohnerin will Rechtsmittel einlegen. | |
| 1 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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