| # taz.de -- Die Psyche einer Spitzelin: „Hier die Guten, dort die Bösen“ | |
| > Wie Schauspieler schlüpfen sie in Rollen, tun auch Dinge, die sie | |
| > ablehnen. Spitzel müssen spalten können, sagt die Psychoanalytikerin Iris | |
| > Schipkowski. | |
| Bild: Was hätte sie gesagt, wenn Maria B. bei ihr auf der Couch gelegen hätte… | |
| taz: Frau Schipkowski, lesen Psychoanalytiker besonderes gerne | |
| Spitzelgeschichten? | |
| Iris Schipkowski: Ich glaube, das interessiert aus der Berufsgruppe einige, | |
| weil das so ein Phänomen ist, das gravierende Auswirkungen hat. | |
| Welche Persönlichkeitsstruktur braucht es, um als verdeckte Ermittlerin im | |
| Einsatz zu sein? | |
| Allgemein gesprochen, muss man spalten können. | |
| Was heißt das genau? | |
| Man muss wie ein Schauspieler in eine Rolle hineinschlüpfen, also die einer | |
| verdeckten Ermittlerin, die vortäuscht, jemand zu sein, die sie nicht | |
| wirklich ist. Um das zu können, muss man spalten. Das heißt, man muss etwas | |
| inkompatibles voneinander getrennt halten. Normalerweise würde man in | |
| Konflikt geraten mit seinen moralischen Werten, wenn man Menschen täuscht. | |
| Also muss man eine andere Seite, die wahre Identität in dem Moment komplett | |
| abspalten. Sonst hätte man Probleme, das durchzuhalten. | |
| Die verdeckten Ermittlerinnen Iris P. und Maria B. haben ihren | |
| Lebensmittelpunkt in die linke Szene Hamburgs verlegt. Müssen sie auf eine | |
| bestimmte Weise gestrickt sein? | |
| Nicht jeder kann diesen Spaltungsmechanismus professionell einsetzen. Viele | |
| Menschen würden das nicht hinkriegen, weil sie mit ihren anderen, | |
| gegenläufigen Persönlichkeitsanteilen in Konflikt kämen. | |
| Sprechen wir da vom Borderline-Syndrom? | |
| Borderliner können sehr gut spalten. Sie sind meist im Modus alles ist gut | |
| oder alles ist schlecht. Verdeckte Ermittler müssen sich sehr | |
| kontrollieren. Das können Borderliner nicht, sie sind meist impulsiv, haben | |
| ihre Emotionen nicht unter Kontrolle. Das wäre ein zu großes Risiko, so | |
| jemanden einzusetzen. | |
| Muss man diese persönliche Dispositionen vorfinden oder kann man sie auch | |
| zum Beispiel auf der Polizeischule lernen? | |
| Soweit mir bekannt ist, ist Maria B. in der ehemaligen DDR aufgewachsen. | |
| Dort war die Sozialisation ja schon politisch-kulturell spaltend | |
| vorgegeben: Hier die Guten, dort die Bösen. Ich denke, viele haben das | |
| Denken in diesen Kategorien schon durch die politische Spaltung über | |
| Generationen vermittelt bekommen. Ähnlich ist es in der Kindheit: Kleine | |
| Kinder müssen die Welt in Gut und Böse aufteilen, normalerweise entwickelt | |
| man sich aber dann weiter. Manche Menschen bleiben da aber auch stecken. | |
| Sicher kann man vieles lernen, aber die Bereitschaft muss schon da sein, | |
| sonst kriegt man den Spagat nicht hin. | |
| Der Job einer verdeckten Ermittlerin ist darauf angelegt, Vertrauen | |
| aufzubauen, um es anschließend zu missbrauchen. Wie lässt sich das | |
| moralisch vertreten? | |
| Das kann man schwer pauschal beantworten. Normalerweise bekäme man | |
| Schuldgefühle, wenn man Leute verarscht, Vertrauen erschlichen hat. Das ist | |
| ja eine große Lüge, um das hinzubekommen, muss man so strukturiert sein, | |
| dass man bestimmte Aspekte von sich abspaltet. | |
| Wie läuft das genau? | |
| Wenn man etwa mit den Leuten in der Flora zusammen ist, muss man völlig | |
| ausblenden, dass man eigentlich eine Rolle spielt und eine ganz andere | |
| Gesinnung hat. Du musst also eine Mauer zwischen der gespielten und deiner | |
| wirklichen Persönlichkeit ziehen. Das können viele Menschen nicht. | |
| Ein Beispiel? | |
| Eine Mutter, die berufstätig ist und ihr Kind in der Kita unterbringt, muss | |
| in manchen Momenten ausblenden, dass das Kind vielleicht traurig ist, | |
| lieber zu Hause wäre oder dergleichen. Wir switchen immer zwischen | |
| Ich-Zuständen hin und her, das ist ganz normal, weil wir zu den | |
| verschiedenen Persönlichkeitszuständen eben eine Verbindung aufnehmen | |
| können. Mal sind wir die arbeitende Person, mal gehen wir feiern und mal | |
| sind wir sehr intensiv am Textschreiben. Aber wenn man so einen Job als | |
| verdeckte Ermittlerin hat, muss man die Verbindung zwischen den | |
| Ich-Zuständen von sich fernhalten. Das ist eine Funktion, die einen | |
| schützt. | |
| Und sie ist Stoff für Agentenfilme. | |
| Ja, Agenten machen nichts anderes. Die können sich verlieben und Sex haben, | |
| sicher auch, weil sie komplett mit der Rolle identifiziert sind. | |
| Iris P. und Maria B. hatten auch sexuelle Kontakte in die Szene. Fraglich | |
| ist, inwiefern auch das Teil des Jobs ist. | |
| Ich kann mir vorstellen, dass so eine Rolle zum Selbstläufer wird. | |
| Schauspieler haben manchmal auch Schwierigkeiten, aus ihren Rollen | |
| herauszufinden. | |
| Sexualität gehört zum Leben dazu, wenn man seinen Lebensmittelpunkt in eine | |
| Szene hinein verlegt, fällt man vermutlich auf, wenn man ganz asexuell | |
| auftritt. | |
| Ja, das wäre wahrscheinlich auffällig. Aber um das überhaupt zu können, | |
| muss man sich in einen anderen Selbstzustand hineinbegeben. Das heißt, dass | |
| man sich eine bestimmte Rolle überstülpt, sich damit identifiziert, um eine | |
| Funktion zu erfüllen. | |
| Ist das nicht eine enorme psychische Belastung? | |
| Das kann aber auch eine Faszination haben, einem Triumphgefühle | |
| verschaffen. Man ist ja in dieser Situation die einzige, die weiß, was für | |
| ein Spiel gespielt wird. Das bedeutet auch Überlegenheit, narzisstischen | |
| Gewinn. | |
| Was macht es mit den Opfern, so hintergangen worden zu sein? | |
| Ich habe mich auch gefragt, wie geht eine Person damit um, dass sie Opfer | |
| zurücklässt. Sie muss ausblenden, dass man schweren Schaden anrichtet. Die | |
| Geschädigten lässt man zurück. | |
| Aber es handelt sich dabei ja nicht nur um ein persönliches Problem: Der | |
| Täter ist auch der Staatsapparat, der dieses Handeln veranlasst hat. | |
| Ich finde es schon angemessen, wenn diejenigen, die diesen Job ausüben, | |
| Verantwortung übernehmen. Wenn man sich darauf zurückzieht, dass man im | |
| Auftrag gehandelt hat, versteckt man sich hinter dieser Verantwortung. Den | |
| Leuten werden dafür ja auch Karrieren in Aussicht gestellt, so wie Iris P., | |
| die jetzt an der Polizeischule eine höhere Laufbahn einschlägt, soweit mir | |
| bekannt ist. Da wird schon eine Bereitschaft vorhanden sein, so etwas, also | |
| den Schaden, den man anrichtet, in Kauf zu nehmen. | |
| Und dabei sozusagen auch über Leichen geht? | |
| Die Opfer müssen das erst mal verarbeiten, dass sie jemandem auf den Leim | |
| gegangen sind, Vertrauen missbraucht wurde. | |
| Lässt sich solcher Schaden reparieren? | |
| Das stelle ich mir schwierig vor, weil diejenigen, die den Schaden | |
| angerichtet haben, nicht mehr zur Verfügung stehen, nicht mit denen in den | |
| Dialog gehen, die sich funktionalisiert und missbraucht fühlen. Das ist | |
| problematisch, weil das Einlenken von der Gegenseite fehlt. Es ist | |
| besonders schwer zu verkraften, dass man emotional benutzt wurde. | |
| Vielleicht hilft es, zu rationalisieren, um die Kränkung kleiner zu halten. | |
| Wunden bleiben in jedem Fall zurück. | |
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| 18 Sep 2015 | |
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| Lena Kaiser | |
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