# taz.de -- Angela Mauss-Hanke über Psychoanalyse: „Dumme Vorurteile über F… | |
> Die Psychoanalyse ist aus der Mode gekommen. An den Unis wird fast nur | |
> noch die Verhaltenstherapie gelehrt, beklagt Psychoanalytikerin Angela | |
> Mauss-Hanke. | |
Bild: Sigmund Freud als Puppe in einer Miniaturszene. | |
taz: Frau Mauss-Hanke, in der von Ihnen herausgegebenen Buchreihe | |
„Internationale Psychoanalyse“ erscheinen ausgewählte Beiträge aus dem | |
International Journal of Psychoanalysis, der internationalen | |
englischsprachigen Fachzeitschrift für Psychoanalyse, auf Deutsch. Eine | |
Publikation auch für interessierte Laien? | |
Angela Mauss-Hanke: Für jeden, der sich für aktuelle internationale | |
Entwicklungen im Bereich der Psychoanalyse interessiert. In erster Linie | |
wenden wir uns natürlich an Psychoanalytiker, Psychotherapeuten, | |
Ausbildungsteilnehmer, Studenten. Aber auch an interessierte Laien. Es | |
waren zunächst französische und italienische KollegInnen, die in ihrem Land | |
die ersten europäischen Auswahlbände des International Journal | |
herausbrachten, weil sehr viel italienische und französische Analytiker zu | |
wenig Englisch verstehen, um englische Fachliteratur zu lesen. Das | |
International Journal of Psychoanalysis wurde mit Hilfe von Sigmund Freud | |
in den Zwanzigerjahren von Ernest Jones gegründet. Es ist das bis heute | |
international bedeutendste psychoanalytische Publikationsorgan. Seit zehn | |
Jahren wird nun auch in Deutschland ein jährlicher Auswahlband | |
herausgegeben. | |
In Deutschland war die Psychoanalyse ja nach dem Faschismus im Wortsinne | |
ausgeblutet – die meisten Analytiker in Deutschland und Österreich waren | |
damals Juden und sie emigrierten, wenn irgend möglich, um zu überleben. | |
Übrig blieb eine Handvoll nichtjüdischer Analytiker, die teils krude | |
Rassenthesen entwickelten. Freud selbst ging nach London, und nach wie vor | |
sind sowohl die Internationale Psychoanalytische Vereinigung wie auch das | |
International Journal dort beheimatet. | |
Wie ist die Situation heute? | |
Im internationalen Vergleich geht es uns hier in Deutschland bei der | |
praktischen Anwendung der Psychoanalyse noch gut. Patienten bekommen | |
analytische Psychotherapie bei entsprechender Indikation weitestgehend von | |
den Kassen bezahlt. In anderen Ländern wie Österreich und der Schweiz wird | |
sie nur zum Teil von den Kassen übernommen. Aber in vielen Ländern wie | |
Russland, Türkei, Iran oder in den südamerikanischen Ländern wird sie gar | |
nicht bezahlt. In Deutschland müssen wir uns aber in jüngster Zeit immer | |
nachdrücklicher dafür einsetzen, dass der hohe Standard erhalten bleibt. | |
Natürlich geht es letztlich ums Geld: Die Gutachter lehnen zunehmend | |
Anträge auf analytische Psychotherapie ab oder bewilligen nur ein minimales | |
Kontingent. Die Krankenkassen favorisieren andere Verfahren, weil zum | |
Beispiel Gruppentherapien oder eine auf Symptombeseitigung zugeschneiderte | |
Psychotherapie kostengünstiger sind als eine individuelle Psychoanalyse, | |
die den ganzen Menschen und die Wurzeln seiner Symptome im Blick hat. Nur | |
übersehen sie dabei die langfristig nachhaltigere Heilwirkung | |
psychoanalytischer Behandlungsverfahren, die ja inzwischen auch | |
wissenschaftlich nachgewiesen ist. | |
Ist die Psychoanalyse aus der Mode gekommen? | |
Die Psychoanalyse ist seit Langem aus der Mode gekommen. Nach den | |
prosperierenden Sechziger- und Siebzigerjahren, in denen sie auch in der | |
Philosophie, Soziologie und kritischen Gesellschaftstheorie eine wichtige | |
Rolle spielte, sank ihr Einfluss. Die Psychoanalytiker haben sich viel zu | |
lange viel zu wenig eingemischt, sie haben sich gescheut, ihre | |
Behandlungserfolge mit oft unglaublich schwierigen Patienten zu zeigen, | |
waren zu wenig präsent im wissenschaftlichen Diskurs. Das Paradox fängt an | |
den Universitäten an: Es wird fast nur Verhaltenstherapie gelehrt, obwohl | |
beide Verfahrensweisen, die Verhaltenstherapie und die Psychoanalyse, in | |
Deutschland von den Krankenkassen anerkannt sind. | |
Warum ist das so? | |
Weil sich in der Vergangenheit die Verhaltenstherapeuten bei der Vergabe | |
von Lehrstühlen oft sehr viel besser durchgesetzt haben. Und es ist | |
sicherlich auch ein Zeitgeistphänomen: Es geht heute überall um | |
Effektivität, um das „Wegmachen“. Das Psychische wird als Krankheit | |
verstanden. So etwas wie Schnupfen, der uns anfliegt und den man wegmachen | |
muss. Der Ansatz, den ganzen Menschen zu verstehen, unbewusste Konflikte | |
und ihre Symptome, das ist nicht zeitgemäß, denn das kostet viel Mühe und | |
vor allem auch viel Geld. Dass dann aber Patienten nach einer solch | |
aufwändigen Psychotherapie auch langfristig seltener krank sind, dass sie | |
insgesamt zufriedener und freier leben können, das wird leider oft gern | |
übersehen. | |
Was sagen denn die Studierenden dazu? | |
Seitens der Studierenden gibt es interessanterweise inzwischen einen | |
gegenläufigen Trend. Immer mehr Psychologiestudierende wehren sich dagegen, | |
dass sie fast ausschließlich wirklich dumme und veraltete Vorurteile über | |
Freud und die Psychoanalyse hören. Sie möchten fundiert informiert werden, | |
sie wollen nicht immer wieder hören, dass Freud zuviel kokste und | |
Psychoanalytiker nur stumm hinter der Couch sitzen und dabei nichts als Sex | |
im Kopf haben. Sie möchten wissen, was sich in den letzten hundert Jahren | |
psychoanalytischer Forschung getan hat und wie zeitgenössische | |
psychoanalytische Verfahren wirklich funktionieren. Auch unsere | |
Ausbildungsteilnehmer ermutigen uns immer wieder, unsere wissenschaftlichen | |
Befunde mehr an die Öffentlichkeit zu bringen. | |
Es gibt übrigens eine Studie, in der Ausbildungskandidaten nach ihrer | |
Zufriedenheit befragt wurden und es zeigte sich auch hier | |
verblüffenderweise, dass diese aufwändige Psychoanalyse-Ausbildung | |
zufriedener macht als eine Ausbildung in einem psychotherapeutischen | |
Schnellverfahren. | |
Gibt es denn Länder, wo die Psychoanalyse modern ist? | |
Ja, in Argentinien zum Beispiel, da ist sie total populär, auch in | |
Brasilien. In asiatischen Länder, wo sie gerade erst anfängt, hat sie | |
großen Zulauf. Es gibt dort ein großes Bedürfnis der Menschen nach | |
Aufklärung. Auch in Ländern wie Russland, Türkei oder Iran wird sie | |
aufgesogen. Vor allem junge Menschen merken, dass die Psychoanalyse sie aus | |
Denk- und Verhaltensfesseln befreien kann. Aber die Kollegen in | |
muslimischen Ländern haben auch Angst, weil ihnen in letzter Zeit häufiger | |
vorgeworfen wird, eine jüdische Wissenschaft zu vertreten, die zudem | |
sexuelle Freizügigkeit fördere. | |
Wird sie dort auch an Universitäten und im Gesundheitssystem gefördert? | |
Die staatliche Anerkennung der Psychoanalyse ist in sehr vielen Ländern, | |
sehr, sehr schwierig. In Russland gibt es beispielsweise eine staatliche | |
anerkannte und eine von der International Psychoanalytic Association (IPA) | |
anerkannte Psychoanalyse. Die Herausgeber des russischen Jahrbuchs trauen | |
sich derzeit nicht, die allen europäischen Jahrbüchern zustehende | |
finanzielle Unterstützung anzunehmen, weil sie dann befürchten müssen, als | |
ausländische Agenten zu gelten. In der Türkei sind wir aktuell in großer | |
Besorgnis, weil wir nicht wissen in welche Richtung es geht. | |
Wie sieht es aus in arabischen Ländern, zum Beispiel für die vielen | |
traumatisierten Syrer, die zu uns kommen? | |
Im November hatten wir in Deutschland eine Kollegin aus Beirut zu Gast, die | |
Vorträge darüber hielt, wie es ist, psychoanalytisch zu arbeiten, während | |
links und rechts die Bomben fallen. Sie erinnerte uns zudem daran, dass der | |
Libanon mit seinen vier Millionen Einwohnern inzwischen mehr als zwei | |
Millionen Flüchtlinge beherbergt. Was unsere Flüchtlinge anbelangt: Der | |
kulturelle Hintergrund ist wichtig. Die Kollegen, die mit traumatisierten | |
Flüchtlingen arbeiten, sollten deren kulturellen Hintergrund kennen. Es | |
gibt inzwischen sehr viele Psychoanalytiker, die mit Flüchtlingen arbeiten, | |
in fast allen größeren Städten gibt es entsprechende Arbeitskreise. Wo wir | |
auch hilfreich sein können, das ist zum Beispiel bei der Supervision von | |
Flüchtlingshelfern. Diese sind meistens stark motiviert, aber dann auch | |
sehr schnell frustriert. | |
Warum? | |
Ganz einfach, es gibt das Bild, wenn jemand Opfer ist, dann muss er auch | |
ein guter Mensch sein. Aber die Flüchtlinge sind ganz normale | |
Durchschnittsmenschen. Sie müssen nicht unbedingt sympathischer sein, weil | |
sie verfolgt sind. Und damit muss man umgehen können. Wenn sie dann | |
beispielsweise nicht so dankbar sind, wie es die Helfer erwarten. | |
Diejenigen, die Flüchtlingshilfe organisieren, haben ein großes Problem | |
damit, dass viele Flüchtlingshelfer nicht dabeibleiben, weil sie schnell | |
frustriert sind. Viele Psychoanalytiker engagieren sich hier. Wir versuchen | |
den Flüchtlingshelfern zu erklären, wie ticken die traumatisierten | |
Menschen, was haben wir zu befürchten und was fürchten sie am meisten. | |
Therapeuten könnten helfen, diese Riesenbelastung aufzufangen. Die Ängste | |
zu verstehen, auf allen Seiten, ist das Wichtigste. Immer. | |
Glauben Sie, dass von psychoanalytischen Verbänden genug getan wird, dass | |
die Psychoanalyse nicht an Bedeutung verliert? | |
Sicher nicht, aber wir bemühen uns. Es ist gerade sehr viel in Aufbruch. | |
Auch was die Rückkehr an die Uni anbelangt gibt es viele Aktivitäten. | |
Insbesondere die modernen Neurowissenschaften belegen ja interessanterweise | |
viele psychoanalytische Konzepte. Und ich hoffe, dass wir mit unserer | |
Publikation einen Beitrag dazu leisten, dass auch die Psychoanalytiker | |
hierzulande einen Blick über den Tellerrand werfen. | |
12 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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