# taz.de -- Blick in die Psyche der Terroristen: „Ein grausames Über-Ich“ | |
> Was bringt Selbstmordattentäter dazu, ihr Leben zu geben um Terror zu | |
> verbreiten? Psychoanalytiker Klaus Grabska befasst sich mit der Innenwelt | |
> von Attentätern. | |
Bild: Reingucken kann man nicht - Psychoanalytiker Klaus Grabska versucht denno… | |
taz: Herr Grabska, was macht es mit einem, wenn man sich mit der Psyche von | |
Selbstmordattentätern beschäftigt? | |
Klaus Grabska: Es ist sehr verstörend. Weil es an etwas rührt, womit wir | |
uns nicht gern beschäftigen: mit Destruktivität. Wir haben ja hautnah | |
erlebt, nach Paris, welche große Verunsicherung da entsteht: Wie eine Welle | |
geht es durch die Bevölkerung, medial vermittelt. Es ist etwas, das einen | |
berührt, selbst wenn man nicht im engeren Sinne davon betroffen ist. Man | |
kann sich gar nicht davor schützen. | |
Was passiert auf der persönlichen Ebene bei den Tätern? | |
Das Persönliche ist schwer zu fassen. Aber es gibt auch eine politische | |
Seite, und eine kulturelle Dimension der Destruktivität, die alle | |
zusammenwirken. Da merken wir auch, dass das ganz stark mit Globalisierung | |
zusammenhängt. Der Terror ist nichts mehr, was nur in fernen Ländern | |
stattfindet und uns nur als Nachricht erreicht. Das ist vielleicht auch | |
eine Botschaft der Attentäter, die uns etwas der Destruktivität vermitteln | |
wollen, die beispielsweise in Syrien stattfindet. Auf der anderen Seite | |
braucht es ja die Menschen, die so etwas tun. Da kommt eine Seite zutage, | |
die sehr menschenverachtend und kaltschnäuzig gegenüber anderen Menschen | |
und dem Leben ist. | |
Lieben die Attentäter das Leben nicht? | |
Dazu muss man erst mal wissen, was das Leben für den einzelnen bedeutet. | |
Nehmen Sie zum Beispiel Mohammed Atta. Für ihn hatte das Weltliche | |
irgendwann nicht mehr so eine Bedeutung wie das Leben nach dem Tod. Er lebt | |
in gewisser Weise als Mohammed Atta weiter. | |
Aber er hat nichts mehr davon. | |
Nur wenn Sie es so verstehen, dass er für das Diesseitige lebt. Aber wir | |
alle leben vielleicht so, dass wir die Hoffnung haben, dass wir für unsere | |
Bezugsgruppen als Name weiterleben. | |
Welche Bedeutung spielen Größenfantasien und Geltungsbedürfnisse? | |
In ihren Bezugsgruppen spielen die Täter ja eine Art Heldenrolle. Aus deren | |
Perspektive wählen die einen Märtyrertod. Da kommt der Narzissmus herein: | |
Ich bekomme Anerkennung, Wertschätzung. Man kann vermuten, dass das | |
psychisch eine sehr große Rolle spielt. Als Analytiker denken wir immer, | |
das dadurch etwas anderes abgewehrt oder bewältigt werden soll. | |
Und zwar? | |
Identitätskonflikte. Es ist ja auffallend, dass viele dieser Männer – es | |
sind fast ausschließlich Männer – einen Kulturbruch erlebt haben. Also | |
Männer, die hier im Westen aufgewachsen sind oder hierhergeschickt wurden, | |
und die hier was werden sollten und in die viel Hoffnung gelegt wurde. Aber | |
viele von ihnen erleben es wahrscheinlich als Verrat an der Herkunftskultur | |
und als Kulturbruch. Dazu kommt ein weiterer Konflikt, der die Vorstellung | |
davon betrifft, wie man als Mann sein sollte. | |
Wieso glauben Sie das? | |
Was bei der Werbung des IS auffällt: dass eine Art Hypermännlichkeit | |
konstruiert wird. Stärke, Überzeugungskraft, Macht. Da kommt sicherlich | |
wieder etwas Narzisstisches hinein. Etwas, das auch eine sehr | |
stabilisierende Wirkung hat für einen Mann, der diese Konflikthaftigkeit in | |
den Identitäten, die er hat, nicht als etwas erlebt, was zur | |
Auseinandersetzung bewegen kann, sondern als etwas Bedrohliches. | |
Woher kommt das Gefühl des Bedrohtseins? | |
Ich könnte mir vorstellen, dass viele einen Konflikt erleben, weil ihre | |
Väter in gewisser Weise keine männliche Vorbildfunktion haben können, weil | |
sie nicht die Männerbilder repräsentieren, die in unserer Kultur | |
erfolgreich sind. Auch in der Beziehung zum weiblichen Geschlecht. Das | |
führt in eine gewisse Isolation. Oder, aber das kann ich nur vermuten, dass | |
es in der arabischen Welt schwierig ist, sich zur gegenwärtigen Zeit auf | |
der Gewinnerseite im Rahmen der Globalisierung zu sehen. Dass die | |
arabischen Väter also auch nicht mehr die Autorität als männliches Vorbild | |
repräsentieren können, an denen man Halt findet. Aber das ist sehr | |
spekulativ. | |
Sind IS-Attentäter also im Grunde verängstigte Menschen? | |
Ich denke, dass da etwas von einer Innenwelt nach außen externalisiert | |
wird, wovor der Attentäter selbst Angst hat. Die Anschläge sind ja | |
terroristische Inszenierungen für die Öffentlichkeit. Es geht nicht primär | |
darum, Menschen zu töten, sondern die Lebenden in Schrecken zu versetzen. | |
Es ist eine Gewalt der Ohnmächtigen, der Minderheit gegen die Mehrzahl. | |
Welche Angst steckt dahinter? | |
Die Angst, sich mit seiner Liebesbedürftigkeit, seiner Ohnmacht gegenüber | |
seinen eigenen Identitätskonflikten, als hilfsbedürftiger Mann zu zeigen. | |
Aus Angst, dass dann entweder Gruppen, oder das, was wir Über-Ich nennen, | |
also eine Instanz in uns selbst, sagen würde: „Du bist ein Versager.“ Und | |
dass das als so vernichtend erlebt wird, dass es nicht aushaltbar wäre. Er | |
sucht stattdessen nach einer Lösung, die eine Männlichkeit verspricht, ohne | |
in den Konflikt gehen zu müssen. | |
Haben Attentäter ein strengeres Über-Ich als andere? | |
Ich würde nicht nur sagen streng, sondern dass ein Teil der Persönlichkeit | |
– nicht die ganze Persönlichkeit – ein grausames Über-Ich hat. | |
Gegen wen richtet sich der Hass, den sie in sich tragen? | |
Offensichtlich gibt es ja einen Hass gegen eine westliche Kultur, die als | |
verweichlicht und schädlich wahrgenommen wird. Aber auch hier spielt es | |
eine Rolle, dass ein Hass, der in der inneren Fantasiewelt präsent ist, | |
auch nach außen gekehrt wird. Wenn ein Kind enttäuscht von seinen Eltern | |
ist, wird es wütend auf sie sein. Gleichzeitig kann es sein, dass die | |
Eltern enttäuscht von dem Kind sind. Das bildet sich in dem Kind zu einem | |
bestimmten Elternbild und Selbstbild. Eine Vermutung wäre, dass ein | |
Enttäuschungshass sich im Menschen verdichtet, und dass der Mensch diesen | |
nach außen bringen muss, damit er davon frei werden kann. | |
Also letztlich der Hass über das eigene Ungenügen? | |
Genau, da wo wir enttäuscht sind von uns, aber auch von den anderen. Und wo | |
die anderen auch als versagend erlebt werden. Jedes Kind erwartet, dass da | |
ein Vater mit Väterlichkeit ist und eine Mutter mit Mütterlichkeit. Wenn es | |
das nicht bekommt, wird es enttäuscht sein. Und eine Wut, und im Extremfall | |
einen Hass auf die Eltern entwickeln. | |
Was haben die Eltern falsch gemacht? | |
Wenn Eltern etwas falsch machen können – denn jedes Kind wird mal | |
enttäuscht werden, und es ist auch richtig, dass wir hassen lernen – aber | |
wenn Eltern was falsch machen, ist es, dass sie nicht anerkennen, dass | |
etwas falsch gelaufen ist. Das ist das Schlimmste: Dass Eltern nicht zu | |
ihrem eigenen Versagen stehen können. Denn erst dann kann man darüber | |
reden. | |
Welche Rolle spielt Schuld? | |
Das kann ein transgenerationeller Konflikt sein: die Schwierigkeit, wenn | |
Menschen zu uns kommen und ein unbewusstes Schuldgefühl haben, gegenüber | |
ihren eigenen Eltern, die in der Heimat geblieben sind. Das kann auch an | |
die Kinder weitergegeben werden: Das Gefühl „Wir haben die Heimat | |
verraten.“ Und dann gerade ein Kämpfer, ein besonders idealistischer | |
Vertreter des eigenen Volkes zu werden versucht. | |
Geht es auch um Rache oder Neid? | |
Um Rache mit Sicherheit: Es geht ja darum, eine Beziehung von Ohnmacht und | |
das Gefühl von Ungerechtigkeit umzudrehen. In eines, wo man auch die Macht | |
hat, ungerecht zu sein. Ohne dass der andere das verdient hat: also wahllos | |
zu töten. Das nenne ich eine Pervertierung von Gewalt, die etwas sehr | |
Anziehendes hat. Was man auch bei Anders Breivik finden kann: ein | |
gottähnliches Gefühl, weil man Herr über Leben und Tod anderer ist. Da wird | |
das Destruktive auf einmal als etwas ganz Lustvolles besetzt. Das ist auch | |
eine Rache für Erlebnisse, wo man sich so gefühlt hat, als würde man | |
überhaupt nichts zählen. | |
Und die Welt muss dann dafür büßen, dass man diese Ungerechtigkeit | |
empfindet. | |
In gewisser Weise ja. Aber das ist ein langer Prozess, der sich oft durch | |
einen Rückzug ankündigt. Es sind keine Kurzschlusshandlungen. Die Täter | |
ziehen sich aus der kulturellen und familiären Welt zurück und kreieren | |
sich eine eigene Welt, wie Breivik, oder gehen eben in die terroristische | |
Alternativkultur. Sie eignen sich eine Weltsicht an, wo sie die Guten sind. | |
Da ist dann kein Raum mehr da, zu reflektieren „Was tun wir da?“. Und auch | |
kein Raum für die anderen als Menschen. Auch Breivik hat sich eine Welt | |
geschaffen, in der er ein Held ist und Norwegen rettet. Insofern ist es | |
immer auch ein verzweifelter Versuch, eine Innenwelt zu retten. | |
Tun Ihnen die Täter leid? | |
Mitleid mit den Tätern zu haben, fällt schwer. Aber als Analytiker kann man | |
einen Bezug dazu haben, dass hinter dieser Pervertierung des Destruktiven | |
zu etwas Gutem, Liebevollen, eine ganz tiefe Verzweiflung steht. Die sie | |
uns spüren lassen, wenn wir von ihren Taten hören. Und das ist etwas, das | |
mich erreicht: die tiefe Verzweiflung, die in diesen Menschen gesteckt | |
haben muss. | |
1 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
## TAGS | |
Psychoanalyse | |
Sigmund Freud | |
Attentäter | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Terror | |
Psychoanalyse | |
Anders Breivik | |
Anders Breivik | |
Psychoanalyse | |
Psychoanalyse | |
Unter Schmerzen | |
Gleichberechtigung | |
Religion | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Therapie im Selbstexperiment: „Ich mach mich doch nicht zum Obst!“ | |
Eine Familie kommt zusammen, um nach Jahren der Abstinenz wieder ‚„Therapy�… | |
zu spielen. Früher gab das regelmäßig Streit. Dabei sind die Eltern | |
AnalytikerInnen. | |
Norwegischer Attentäter Anders Breivik: Provokation mit Hitlergruß | |
Der Rechtsextremist Anders Breivik will bessere Haftbedingungen einklagen. | |
Beim Verfahren wandte er sich Journalisten zu und erhob den rechten Arm. | |
Prozess von Anders Breivik: Massenmörder fühlt sich isoliert | |
Der Rechtsextreme klagt in Norwegen gegen seine Haftbedingungen. Er hat | |
kaum menschliche Kontakte, weil er immer noch als gefährlich gilt. | |
Psychoanalytiker Arno Gruen: Mitgefühl war sein Lebensthema | |
Arno Gruen hoffte auf die sozialen Bewegungen, auf die Kritik an der Schere | |
zwischen Arm und Reich. Diese Woche ist er gestorben. | |
Die Psyche einer Spitzelin: „Hier die Guten, dort die Bösen“ | |
Wie Schauspieler schlüpfen sie in Rollen, tun auch Dinge, die sie ablehnen. | |
Spitzel müssen spalten können, sagt die Psychoanalytikerin Iris | |
Schipkowski. | |
Kolumne Unter Schmerzen: Fuck the pain away | |
Es ist alles nicht so einfach mit dem Schmerz. Wusste auch schon Freud. Zum | |
Glück gibt es Popmusik, die auch was zur Sache sagt. | |
US-Psychoanalytiker erfanden Gefühle: Die Normierung der Liebe | |
Homosexualität und weibliche Lust durfte es nicht geben – also erfanden | |
Analytiker die Liebe. Und hinterließen eine Spur der Verwüstung. | |
Psychologin über Blutrache: „Eine grandios-narzisstische Geste“ | |
Womit wird die Selbstjustiz gerechtfertigt? Die Direktorin des | |
Sigmund-Freud-Instituts über Gerechtigkeit und kollektive Kränkungen. |