| # taz.de -- Kolumne Unter Schmerzen: Fuck the pain away | |
| > Es ist alles nicht so einfach mit dem Schmerz. Wusste auch schon Freud. | |
| > Zum Glück gibt es Popmusik, die auch was zur Sache sagt. | |
| Bild: Der Meister und seine Lampe. | |
| Es ist gut, es wird besser. Macht weiter, es tut weh. Höre ich ein Lied, | |
| das das Wort „Schmerz“ in all seinen Übersetzungen enthält, höre ich | |
| mittlerweile genauer hin. „[1][Fuck the pain away]“, davon hatte ich es | |
| hier schon. „Will you take the pain I will give to you again and again and | |
| will you return it?“, Depeche Mode, [2][Strangelove], auch ein schönes | |
| Beispiel. Überhaupt: große Schmerzbesinger. | |
| Jetzt, da ich den Schmerz kenne, weiß ich aber auch: Der echte, konkrete | |
| Schmerz ist da oft gar nicht gemeint, sondern nur der Schmerz im | |
| übertragenen Sinne. Der aber, nächster Gedanke, zu einem echten Schmerz | |
| werden kann. Jederzeit. Hallo, Psychosomatik. | |
| Es gibt auch im Alltag ein paar schöne Formulierungen, die tiefer blicken | |
| lassen: Mein Vater zum Beispiel beklagt sich über unnötige Geldausgaben | |
| gern mit den Worten: „Das tut mir weh.“ Eine sehr geläufige Formulierung | |
| ist: „Ich habe Rücken.“ Rücken zu haben wiederum lässt zu achtzig Prozent | |
| (Quelle: privat) auf psychische Ursachen schließen. „Gibt es Probleme mit | |
| dem Kindsvater oder ist sonst was im Argen, geht sie am Stock.“ | |
| Tatsächlich: Die Mittelschichtsfrau kann sich tags drauf nicht mehr | |
| bewegen. Sie hat Rücken. | |
| Vulgärfreudianismus? Aber ja doch. Eine meiner Lieblingsstellen bei Freud | |
| geht so: „Die Menschen (werden) neurotisch erkranken, wenn ihnen die | |
| Möglichkeit benommen ist, ihre Libido zu befriedigen.“ Triebstau macht also | |
| aua, könnte man platt ins Hier und Jetzt übersetzen: „(…) und dass ihre | |
| Symptome eben der Ersatz für die versagte Befriedigung sind“. Also wird mir | |
| als neurotisch Erkranktem etwas wehtun, weil mir irgendein Leid getan wird, | |
| ober besser gesagt, weil ich da nicht zum Zug komme, wo ich es mir so | |
| dringlich gewünscht habe. Wobei: Es muss da gar nicht um Sex oder die Liebe | |
| gehen, denn auch Dinge wie Arbeit, Erfolg, Anerkennung können „libidinös“ | |
| besetzt“ sein. Aber: „[3][Das Maß von unbefriedigter Libido], das die | |
| Menschen im Durchschnitt auf sich nehmen können, ist begrenzt.“ | |
| ## Ich und die Sexualität | |
| Kompensation könnte ein Weg sein. Das Problem ist nur: „Der Konflikt wird | |
| durch die Versagung heraufbeschworen, indem die ihrer Befriedigung | |
| verlustige Libido nun darauf angewiesen ist, sich andere Objekte und Wege | |
| zu suchen. Er hat zur Bedingung, dass diese anderen Wege und Objekte bei | |
| einem Anteil der Persönlichkeit ein Missfallen erwecken, sodass ein Veto | |
| erfolgt, welches die neue Weise der Befriedigung zunächst unmöglich macht.“ | |
| Kurzum: „Es bleibt also beim Konflikt zwischen Ich und Sexualität.“ Schöne | |
| Scheiße. | |
| Es ist alles nicht einfach. Es ist auch nicht so einfach, eine | |
| Schmerzkolumne zu schreiben. Auch wenn Kollege [4][Arzt] (sic!) meinte, mir | |
| brauche nur irgendetwas wehzutun und, schwupp, sei der nächste Text fertig. | |
| Die Kunst besteht darin, sich vom eigenen Leid abzuheben. Es beschreibend | |
| auf eine andere, allgemeinverständliche Ebene zu kommen. Aber das geht nur, | |
| indem man Ursachenforschung betreibt. Womit wir wieder bei Freud wären. | |
| Oder, um mit Depeche Mode zu schließen: „Pain! Will you return it? I‘llsay | |
| it again: pain!“ | |
| 3 Sep 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=GmFp0I8AZqw | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=JIrm0dHbCDU | |
| [3] http://gutenberg.spiegel.de/buch/vorlesungen-zur-einfuhrung-in-die-psychoan… | |
| [4] /Kolumne-Millionaer/!5221132/ | |
| ## AUTOREN | |
| René Hamann | |
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