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# taz.de -- Depeche-Mode-Konzert in Berlin: Hohepriester im Glitzerhemdchen
> Depeche Mode feiern bei ihrem Berliner Konzert eine Stadionmesse mit
> ihren treuen Fans. Die Liturgie folgt der Dramaturgie ihres neuen Albums.
Bild: Ungewohnte Buntheit: Depeche Mode im Olympiastadion.
Dass sich in den achtziger Jahren viele junge Leute kleideten und
frisierten wie die britischen Synthiepopper Depeche Mode, hielt ich für
einen modischen Mainstream-Ausrutscher – jedoch nicht für weiter
bemerkenswert. Spannt man doch in meiner Heimatstadt Hamburg traditionell
den Schirm auf, wenn es in London regnet – jeder in seiner eigenen Szene.
Den düster-elektronischen Sakralpop von Depeche Mode brauchte ich damals
jedenfalls nicht. Obwohl ich die Band als Typ auch irgendwie gut fand. Doch
ich hing mit Freunden aus der katholischen Jugend fröhlich in besetzten
Häusern rum, hörte britischen Elektropunk und, wenn ich mal weich war: The
Smiths. Deren Sänger Morrissey sagte 1982: „Depeche Mode sind vielleicht
nicht die langweiligste aller Bands, die je diesen Planeten betreten haben,
aber sie gehören auf jeden Fall zu den heißesten Anwärtern.“
Etwas später schafften Depeche Mode mit „Music for the Masses“ den
internationalen Durchbruch und gelten nach einigen Krisen inzwischen als
die erfolgreichste Popband der Welt. Für über 200.000 verkaufte Exemplare
ihres aktuellen Studioalbums „Delta Machine“ erhielten sie vor einigen
Tagen Platin.
Am Sonntagabend traten sie vor 66.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion
auf. Schon Stunden zuvor waren die Fans in das massenspektakeltaugliche
Stadion geströmt, um sich beim Bier schon mal die schwarzen Klamotten und
Frisuren einregnen zu lassen. Bei einem Durchschnittsalter von 45 war von
einer viel beschriebenen „dritten Generation“ nur wenig zu sehen.
## Glaubensgemeinschaft aus Walhalla
Herbert Grönemeyer erscheint eine halbe Stunde zu spät: „Ist das hier Reihe
1?“ Die Ränge des Stadions füllen sich plötzlich, als wäre das Publikum
eine wild gewordene Masse von Waldameisen. Mich freut es, dass sich drei
heitere Briten mit The-Smiths-Band-T-Shirts neben mich gesellen. Manche
sagen, Depeche Mode haben ihren Erfolg vor allem der engagierten Fanpflege
zu verdanken. Und so gleichen ihre Anhänger auch mehrheitlich einer in die
Jahre gekommenen religiösen Glaubensgemeinschaft aus Walhalla, der neben
Andrew Fletcher vor allem Martin Gore und Dave Gahan als charismatische
Vereinsgründer vorstehen.
Ihre Mitglieder haben die Häuser fertig gebaut und können nun noch mal ganz
große Stadionmessen feiern. Die Frage des Abends lautet natürlich: Wie gut
klappt es mit dem Hüftschwung? Das wird deshalb von Dave Gahan auch gleich
zu „Precious“ demonstriert und lautstark goutiert, als wäre dieser Move
abgesprochen.
Überhaupt folgen die Applaussalven, Kreischkonzerte und Arm-hoch-Wellen
einer festen Liturgie, die meist von Dave Gahan regiert wird, mit den
Soloeinlagen und der feinen Stimme Martin Gores von Zeit zu Zeit jedoch in
wahre Herzensmomente umschlägt.
## Sternenhimmel aus Smartphones
Bei „Higher Love“ hält dieser nach wenigen Takten für eine Weile inne und
genießt, die Arme erhoben, die Magie eines vollkommenen Augenblicks. Dann
singt er „But Not Tonight“, in seinem silbern glitzernden Hemdchen, und
lächelt dieses Lächeln, das er immer lächelt. Dies ist der erste große
Moment des Abends. Zu den letzten Takten erlischt das Licht im Stadion und
der Sternenhimmel scheint in die Arena gefallen zu sein, als Tausende
Smartphones darin aufblitzen.
Gore dirigiert nach gefühlt minutenlanger Stille die Massen zu einem
ozeanischen „oh oh“ in den feinen Schlussakkord Andrew Fletchers hinein,
bis Dave Gahan leise wieder das Zepter übernimmt. Im Februar schon Platz
zwei der Single Charts in Deutschland: „Heaven“.
In dieser Kultfeier, die Depeche Mode routiniert herunterspielen,
weitgehend an der Dramaturgie ihres neuen Albums orientiert und vor den
Zugaben nur wenige alte Hits einstreuend, hat Dave Gahan wie immer das
letzte Wort. Zu „Enjoy The Silence“ spielt Gore sein legendäres
Gitarrenriff, Christian Eigner rollt mit dem Schlagzeug nach vorne, doch
die Menge tobt, als Gahan endlich seine nackte Brust zeigt.
Mit „Goodbye“ ist der Abend beim Blues angelangt. Die Videoperformance des
holländischen Regisseurs Anton Corbijn zeigt an dieser Stelle Gore, Gahan
und Fletcher nebeneinander in einer Landschaft sitzend. Und zumindest hier
hat jeder der drei mal den Hut auf. War schon schön.
10 Jun 2013
## AUTOREN
Antonia Herrscher
## TAGS
Olympiastadion
Berlin
Konzert
New Wave
Schwimmbad
Unter Schmerzen
Berlin Music Week
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