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# taz.de -- Depeche-Mode-Konzert in Berlin: Keine Frage der Lust
> Depeche Mode gelingt im Berliner Olympiastadion die choreografisch und
> klangtechnisch anständige Massenbespaßung.
Bild: Der lustvoll Gekreuzigte: Dave Gahan, im Glitzerjackett.
Heute gehört ihnen Deutschland und morgen die ganze Welt. Diesmal gilts.
Depeche Mode sind am Mittwoch im Berliner Olympiastadion aufgetreten,
nachdem sie bereits am Montag in Leipzig nach einer unfreiwilligen
Unterbrechung ihre "Tour Of The Universe" wieder aufgenommen hatten. Das
eigentliche Auftaktkonzert ihrer monströsen Welttournee hatte schon im Mai
in Tel Aviv stattgefunden. Im Anschluss musste sich Sänger Dave Gahan einer
Operation unterziehen, nachdem ein Blasentumor festgestellt worden war.
Bis Anfang 2010 stehen für die Band, die im nächsten Jahr ihr 30. Jubiläum
feiern wird, knapp 90 weitere Konzerte in Europa sowie Süd- und Nordamerika
auf dem Programm. Hoffentlich hat Gahan sich richtig auskuriert. Den
entsprechenden Eindruck machte er. Vor einem fast ausverkauften Stadion,
befüllt mit sage und schreibe 68.000 Menschen primär der Jahrgänge 1965 bis
1975, hielt er in Berlin exakt zwei Stunden durch und absolvierte sein
performatives Soll souverän.
Geschmeidiges Hohlkreuz
Schmissig entledigte er sich nach dem zweiten Lied seines Glitzerjacketts,
fein säuberlich war die tätowierte Brust rasiert, der Bauch gut in Form,
grazil kamen die Balletttänzer-Armbewegungen, beim derwischartigen Kreiseln
kannte er keine Gleichgewichtsstörungen, und geschmeidig ins Hohlkreuz
gedrückt warf er sich wiederholt in die klassischste seiner Posen - nennen
wir sie: den lustvoll Gekreuzigten.
Das sollen ihm andere 47-jährige, gerade erst vom OP-Tisch gesprungene
dreifache Väter, die in ihrer Vita auch schon einen zweiminütigen,
drogenbedingten klinischen Tod stehen haben, erst mal nachmachen. Der
Auftritt dieser neben U2 und den Pet Shop Boys einzig verbliebenen
männlichen Popsupergroup der Achtzigerjahre war insgesamt sehr anständig.
Gahan kehlig und sportiv, nur intonationstechnisch nicht immer astrein,
Andrew Fletcher hinter seinen Gerätschaften versteckt, ein zusätzlicher
Keyboarder sowie Schlagzeuger, der Sound für ein Stadion durchaus okay, 16
Oldiegoldies und sechs Stücke vom neuen, recht ich-stark betitelten Album
"Sound Of The Universe" (in 21 Ländern inklusive Deutschland Charteinstieg
auf Platz 1). Trumpf aber war Martin Gore, lange Jahre alleiniger
Songwriter und seit zwei Alben von Gahan als Auch-Kompositeur
herausgefordert (allerdings noch nicht wirklich gefährlich).
Es war Gore, der einen ersten Höhepunkt herbeiführte, als er in seinem
silbrigen Einteiler und seiner seit je so herrlich immergleichen
blondierten Löckchenfrisur "A Question of Lust" zum Piano schmelzte. Ganz
wunderbar auch das gerade frisch als Single ausgekoppelte "Peace". Was für
eine Hymne!
Maden im Einmachglas
Und wie hübsch rhythmisiert in den Visuals verschiedene fliegende
Kampfgeräte gegen Archivbilder von für den Weltfrieden demonstrierenden
Massen geschnitten waren. Und dann suchten noch dicke Lichtfinger wie
Flakscheinwerfer den Nachthimmel ab: ergreifend in seiner überkitschten
Anti-Militanz. Nur das Mitsingen gelang hier nicht nach Gahans Gusto, was
daran lag, dass der Refrain für eine durchschnittliche Frauenstimme zu tief
zum Grölen ist. Der Roar klappte aber dann auf der Hits-Hits-Hits-Ziellinie
makellos ("Enjoy The Silence", "Never Let Me Down Again", "Personal Jesus"
etc.). Im Stadion schwangen abertausende weiße Arme im Gleichtakt. Es sah
aus wie ein riesiges Einmachglas voller Maden.
Wirkliche Ausreißer leisteten sich Depeche Mode nur in der Bebilderung. So
erschrak man gleich beim ersten Stück ("In Chains") über den billigen
Morphingeffekt, der aus einem schwarzen Knaben ein weißes Großväterchen
werden ließ, und entsetzt besah man sich auch das Video zu "Strangelove",
in dem eine Asiatin in SM-Outfit einer vor einem Kamin lümmelnden
Rothaarigen ausdauernd den großen Zeh lutschte. Insgesamt aber taugen
Depeche Mode mit ihrem seit je wuchtig zwischen euphorisierter Transzendenz
und bedröppelter Introspektion mäandernden Synthie-Stil, den sie live mit
tribalistisch rockender Perkussion aufpeppen, auf tatsächlich unpeinliche
Art zur Stadionbespaßung.
Wahnsinnig zukunftsweisend ist das nicht, macht aber natürlich, wie die
ausdauernd neben mir tanzende Dame mir zu schreiben befahl, "gute
Stimmung".
11 Jun 2009
## AUTOREN
Kirsten Riesselmann
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