| # taz.de -- Merkel besucht Heidenau: Unfreundlicher Empfang | |
| > Angela Merkel besucht Flüchtlinge in der sächsischen Kleinstadt. | |
| > Heidenauer und andere Dumpfbacken nutzen das, um ihre Meinung | |
| > loszuwerden. | |
| Bild: Warten auf Merkel: Flüchtlinge und Security-Mitarbeiter in Heidenau | |
| Heidenau taz | Der Empfang von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem zur | |
| Flüchtlingsunterkunft umgerüsteten ehemaligen Baumarkt im sächsischen | |
| Heidenau glich nicht eben einem Heimspiel. Etwa 250 Schaulustige und | |
| aufgebrachte Bürger, aber auch bekannte Pegida-Aktivisten, protestierten | |
| mit Buhrufen. | |
| Diesen Einwohnern gelten Merkel und sie begleitende Politiker als | |
| „Volksverräter“. Entsprechende Plakate wurden gezeigt, ein geworfenes Ei | |
| erreichte die Wagenkolonne allerdings nicht. Auf der nahen Bundesstraße | |
| vorbeifahrende Autos hupten demonstrativ, ihre Insassen wurden mit Beifall | |
| bedacht. | |
| Unbeirrt entstieg Merkel ihrer schwarzen Limousine, lächelte dennoch und | |
| winkte routiniert. Länger als eine Stunde sprach sie anschließend mit | |
| Flüchtlingen und Helfern in der hermetisch abgesicherten Unterkunft. Nach | |
| Berichten von Teilnehmern äußerte Merkel, dass es keine Toleranz gegenüber | |
| jenen geben dürfe, die die Würde des Menschen nicht achteten. Sie sprach | |
| sich dafür aus, Außenstellen des Bundesamtes für Migration ortsnah zu | |
| platzieren, um Verfahren zu beschleunigen. | |
| Nachdem ihr vorgeworfen worden war, in einem Fernseh-Interview das | |
| ehrenamtliche Engagement für Flüchtlinge nicht ausreichend gewürdigt zu | |
| haben, war sie nun offensichtlich um Anerkennung bemüht. So hörte sie neben | |
| den Fluchtgeschichten vor allem den Berichten von Mitarbeitern des | |
| Deutschen Roten Kreuzes und freiwilligen Helfer zu. | |
| ## Flut von Beschimpfungen und Unterstellungen | |
| Im anschließenden improvisierten Pressestatement betonte die | |
| Bundeskanzlerin das Recht der Flüchtlinge auf faire Behandlung und ein | |
| Asylverfahren. Auch öffentlich dankte sie noch einmal allen | |
| Hilfsorganisationen und den Kommunalpolitikern, die oft Hass ertragen | |
| müssten. „Wir haben eine riesige Herausforderung, die wir nur gemeinsam | |
| bewältigen können“, sagte Merkel. Zugleich stellte sie mehr Bundesmittel | |
| für die Flüchtlingsunterbringung in Aussicht. | |
| Einem direkten Gespräch mit Bürgern stellte Merkel sich jedoch nicht. Das | |
| hatte vor ihrer Ankunft Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) | |
| mit einer Gruppe von etwa 40 wartenden Bürgern mutig versucht – und war | |
| gescheitert. In einer Flut von Beschimpfungen und Unterstellungen kam er | |
| kaum zu Wort. „Wir zahlen hier die Steuern und füttern die Asylanten | |
| durch“, riefen Umstehende empört. Es handle sich bei den Flüchtlingen um | |
| Wohlstandstouristen, die weder arbeiten könnten noch wollten, hieß es. | |
| Angeblich werde ihre Einwanderung durch Sonderverträge, wie mit Tunesien, | |
| staatlich gefördert, kursierten Verschwörungstheorien. | |
| Dem sächsischen Ministerpräsidenten entgleisten angesichts der Behauptungen | |
| und offenbarten Haltungen wiederholt die Gesichtszüge. Eine Woche zuvor | |
| hatte er bei der Vorstellung eines neuen Unterbringungskonzepts für | |
| Flüchtlinge noch an die Sachsen appelliert, „ihre Herzen zu öffnen“. Als | |
| Tillich nun dazu aufforderte, in Flüchtlingen auch Menschen zu sehen, | |
| widersprach ihm ein Heidenauer Bürger: „Das kann ich nicht, wenn sie aus | |
| niederen Beweggründen kommen und hier nur durchgefüttert werden wollen.“ | |
| Ressentiments gegen Künstler und andere Prominente, die sich für | |
| Menschlichkeit einsetzen, kamen zum Vorschein. „Wir brauchen keine | |
| Schauspieler, sondern Leute, die die Toiletten sauberhalten“, grummelte ein | |
| älterer Mann, offenbar auf Til Schweigers Engagement bezogen. | |
| Besonders lauten Protest erntete der Ministerpräsident, als er | |
| zurückfragte, warum Einwohner von Heidenau mit dem rechtem „Pack“ – so d… | |
| Formulierung von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei seinem Besuch in | |
| Heidenau – gemeinsam demonstrierten. „Wir sind keine Nazis!“, rief eine | |
| ältere Frau. Gewalttätige Ausschreitungen schrieben sie und andere | |
| ausschließlich „linken Antifa-Chaoten“ zu. Die würden dafür heimlich von | |
| der Landesregierung bezahlt. | |
| ## „Nachwehen von Honecker“ | |
| Aber auch eine Frau aus dem benachbarten Pirna war angereist, um sich bei | |
| der Kanzlerin für die Fluthilfe von 2013 zu bedanken. Sie habe erfahren, | |
| wie man in Notsituationen auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Eine | |
| rigorose „Therapie“ für die Sachsen verlangte indessen ein Mitarbeiter der | |
| Welthungerhilfe aus Köln, der seinen Namen nicht nennen wollte. Man solle | |
| die Leute hier mal ein bisschen „auf Entzug setzen“. Ihr Verhalten sei | |
| „eine Schande für Deutschland“ und nur mit „Nachwehen von Honecker“ zu | |
| erklären. | |
| Als die Kanzlerin unter erneuten Pfiffen und einem Hupkonzert bereits zu | |
| einem weiteren Termin in Glashütte weitergereist war, wurden selbst | |
| Interviews von Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) durch Zwischenrufe gestört. | |
| Das sei nun einmal Demokratie, rechtfertigte sich einer der Rufer. | |
| Erstaunliche Gelassenheit zeigte einer der wenigen Flüchtlinge, die | |
| außerhalb der Unterkunft anzutreffen waren. Der Marokkaner fühlt sich trotz | |
| der Attacken wohl in Deutschland. „Ich fürchte mich nicht“, antwortete er | |
| auf Englisch auf Fragen nach dem mehr als unfreundlichen Empfang in | |
| Sachsen. | |
| 26 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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