# taz.de -- Pro & Contra Asyl im Osten: Wohin mit den Heimen? | |
> Darf man angesichts der eskalierenden Gewalt noch Asylsuchende in den | |
> Osten Deutschlands schicken? Ein Pro & Contra. | |
Bild: Der Bürger informiert sich: Ein Mann guckt in Heidenau hinter den Absper… | |
Ja, darf man, sagt Martin Reeh: | |
Gut gemeint ist meist das Gegenteil von gut. Das gilt auch für die | |
Aktivisten, die die Verlegung von Flüchtlingen von Leipzig-Connewitz nach | |
Heidenau blockiert haben. Den Nazis und den „besorgten Bürgern“ von | |
Heidenau dürfte die Aktion in die Hände gespielt haben. | |
Man muss an Hoyerswerda 1991 erinnern, um zu verstehen, warum eine solche | |
Aktion falsch ist. Nach tagelangen Krawallen räumte die Polizei damals zur | |
Freude von Anwohnern und Rechtsextremisten die Flüchtlingsunterkunft. Die | |
sächsische Stadt wurde für Nazis zum Symbol: Was hier geht, geht auch | |
anderswo. Im Jahr danach tobte der Mob in Rostock-Lichtenhagen, nur durch | |
Zufall gab es dabei keine Toten. Bei Brandanschlägen auf Wohnhäuser in | |
Mölln und Solingen starben acht Menschen. | |
Es gibt in Deutschland keine absolut sicheren Flüchtlingsunterkünfte. Das | |
ist bitter, aber kurzfristig nicht zu ändern. Heidenau ist auch kein | |
Einzelfall: Überall in Sachsen haben im letzten Jahr „Nein zum | |
Heim“-Initiativen demonstriert. Wird Heidenau flüchtlingsfrei, stehen die | |
„besorgten Bürger“ morgen im Erzgebirge wieder vor den Heimen. Und würden | |
die Flüchtlinge um ganz Sachsen – vielleicht mit Ausnahme von | |
Leipzig-Connewitz – einen Bogen machen, demonstriert der rechte Mob bald | |
jubelnd in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern – und | |
vermutlich auch im Westen Deutschlands. | |
Connewitz, Berlin-Kreuzberg oder Freiburg-Vauban sind nicht groß genug, um | |
die für dieses Jahr erwarteten 800.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Es geht | |
daher nicht anders: Menschen, die möglicherweise traumatisiert sind vom | |
Krieg in Syrien oder Libyen oder ihrer Flucht, müssen zumindest | |
vorübergehend in Orten wie Heidenau untergebracht werden. Wer Deutschland | |
sicherer für Flüchtlinge machen will, darf Nazis nicht durch die | |
Kapitulation vor ihnen ermutigen. Das scheinen die sächsischen Behörden – | |
und mit deutlichen Abstrichen auch die Polizei – aus Hoyerswerda gelernt zu | |
haben. Ausgerechnet die Leipziger Flüchtlingsaktivisten treten nun den | |
Rückwärtsgang an. | |
Nein, darf man nicht, sagt Pascal Beucker: | |
Der Staat hat dem gewalttätigen rassistischen Mob mit allen ihm zur | |
Verfügung stehenden Mitteln entschlossen entgegenzutreten. Und: Er darf auf | |
keinen Fall den Neonazis und anderen „besorgten Bürgern“ den Erfolg | |
bescheren, die Aufnahme von Geflüchteten in ihrer Gegend verhindert zu | |
haben. Zwei Sätze, die eine Selbstverständlichkeit sein sollten, ja sein | |
müssen. Aber: Trotzdem haben Flüchtlinge, die – wie am Montag in Leipzig | |
geschehen – sich dagegen wehren, in eine Gemeinde wie Heidenau verlegt zu | |
werden, alle Unterstützung verdient. Ein Widerspruch? Eine Frage der | |
Perspektive. Und ein Dilemma. | |
Auch wenn es ein gemeinsames Interesse sein muss, dass dem „Pack“ (Gabriel) | |
keinerlei Raum gegeben wird, darf das nicht zu einer staatlichen | |
Instrumentalisierung der Menschen führen, die Not und Elend nach | |
Deutschland gebracht hat. Es ist zynisch, Geflüchtete gegen ihren Willen zu | |
Werkzeugen zur Durchsetzung der Staatsräson zu machen. Sie haben ein Recht | |
darauf, in der Bundesrepublik ohne Bedrohungen zu leben und zur Ruhe zu | |
kommen. Dazu reicht es jedoch nicht, ein Flüchtlingsheim wie eine | |
hermetische Festung zu sichern. Denn das macht es de facto zu einem | |
Gefängnis. Damit würden die Falschen eingesperrt. | |
So unzumutbar die Lebensbedingungen in vielen Notunterkünften ohnehin sind: | |
Geflüchtete sollten wenigstens die Möglichkeit haben, sich in der | |
jeweiligen Ortschaft frei zu bewegen – ohne die Angst haben zu müssen, an | |
der nächsten Ecke beschimpft, bespuckt oder tätlich angegriffen zu werden. | |
Das lässt sich jedoch in bestimmten Regionen, nicht nur, aber besonders in | |
Sachsen immer noch nicht gewährleisten. | |
Fast ein Vierteljahrhundert nach dem Pogrom von Hoyerswerda kommen solche | |
Zustände einem Offenbarungseid gleich. Aber dieses Staatsversagen darf | |
nicht auf Kosten der Geflüchteten gehen: Sie können zu Recht verlangen, | |
dass in solchen unwirtlichen Gegenden endlich erst einmal zivilisatorische | |
Grundstandards durchgesetzt werden, bevor sie dort untergebracht werden. | |
26 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
Pascal Beucker | |
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