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# taz.de -- Kolumne Zumutung: Kein Text über Wellness
> Statt Runen-Tattoos in der Sauna zu zeigen, zünden Nazis nachts Häuser
> an. Bimssteine mit Luffa-Schwämmen zu vergleichen, ist da unangebracht.
Bild: Gute Gesellschaft?
Eigentlich wollte ich über Wellness schreiben. Über Wellness – und wie das
ganze Spaßsaunieren und Partnermassieren, der knalllustige Bademeister und
die seltsamen Salzrituale aus einer intimen Körperveranstaltung ein nach
Vanille duftendes Event mit Daueranimation gemacht haben. Ich wollte
fragen, wie das denn passieren konnte, und anschließend ein Loblied singen
auf die gute alte Kellersauna, die graue Kachel und den Eiswassereimer. Auf
das Einfache eben.
Aber wie kann ich das, wenn ich morgens mein Küchenradio anschalte,
zwischen Teekessel und Müslischale hin- und hertrotte und als erste
Nachricht des Tages erfahre, dass irgendwelche Schwachköpfe eine Turnhalle
niedergebrannt haben, in der Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Wie
kann ich da noch Luffa-Schwämme mit Bimssteinen vergleichen?
In diesem Land läuft gerade etwas gewaltig schief. Statt in die Sauna zu
gehen und dort ihre Runen-Tattoos zu präsentieren, latschen die Nazis
nachts durch die Gegend und zünden Wohngebäude an. Sie tun das immer öfter,
das Jahr 2015 scheint jenes zu sein, in dem sie davon ausgehen, sich nicht
mehr verstecken zu müssen. Kräftigen Gegendruck aus der Bundespolitik
hatten sie bislang nicht zu befürchten. Und die paar linksgrünen
Gutmenschen vor Ort können ihnen schon mal gar nix.
Es sind Leute, die in den sozialen Netzwerken schäumen, dass der deutsche
Rentner/das deutsche Kind/die deutsche Mutter einer Hungersnot nahe sind,
weil das schöne deutsche Geld den
Asylbetrügern/Armutsflüchtlingen/Sozialschmarotzern und ihren Trilliarden
Kindern hinterhergeworfen wird. Diese Leute brennen lieber die Turnhalle
ihres Heimatortes ab, als dass dort Flüchtlinge unterkämen. Die scheinen
einer mit Feuerzeugen ausgestatteten Unterabteilung des Ku Klux Klan
anzugehören. Nur mit anderen Tattoos.
## Merkel in Heidenau
Mittwochmittag wird Angela Merkel nach Heidenau fahren. Sie soll sich dort
zeigen. „Zum Ende des Besuchs, 13.15 Uhr, gibt die Bundeskanzlerin ein
Pressestatement vor der Unterkunft, ehemaliger Praktiker Baumarkt,
Hauptstraße“, steht in der Terminankündigung des Bundespresseamtes.
Nun ist es so, dass ich derlei eigentlich ablehne: Schaufenster-,
Symbolpolitik, bestellte Bilder. Ich komme aus Ostberlin. Dort habe ich als
Kind viele Male an der Protokollstrecke gestanden und jedes Fähnchen
geschwenkt, das mir in die Hand gedrückt worden war. Unter den bejubelten
Staatsgästen waren auch ein paar fiese Diktatoren, später, als Erwachsene,
habe ich mich für meinen Jubel geschämt.
Diesmal ist es anders. Ich wünsche mir sehr, dass die wichtigste
Politikerin dieses Landes Bilder produziert. Ich wünsche mir, dass sie mit
eigenen Augen sieht, wie eingeschüchterte Menschen in dieser „Unterkunft,
ehemaliger Praktiker Baumarkt, Hauptstraße“ auf ein bisschen Sicherheit
hoffen müssen. Und dass sie ihnen sagt, dass dieses Land sich um ihre
Sicherheit kümmert. Und dass sie jenen Mut macht, die das jeden Tag
versuchen.
Und wenn das wirklich passiert ist, könnte ich vielleicht doch noch über
Wellness schreiben.
26 Aug 2015
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Schwerpunkt Angela Merkel
Schwerpunkt Flucht
Nazis
Unterbringung von Geflüchteten
Heidenau
Flüchtlinge
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