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# taz.de -- Kiel wirft Roma aus Unterkunft: Ungewollte Allianz
> 140 Roma aus Bulgarien in einem Haus in Kiel-Gaarden sind der Stadt
> zuviel. 100 sollen ausziehen. Eine Forderung, der sich die Rechten gern
> anschließen.
Bild: In diesem Wohnhaus in Kiel-Gaarden leben 140 Menschen. Das ist der Stadt …
KIEL taz | Der Hitler-Gruß wurde Bewohnern des Eckhauses im Kieler
Kirchenweg gezeigt. Am Telefon wurde ihnen gedroht, man werde ihr Haus im
Stadtteil Gaarden in die Luft jagen, wenn sie nicht bis zum 15. September
auszögen, berichten Nachbarn. Die Rechten hängen sich mit ihren Drohungen
an eine Forderung der Stadt. Die hatte den rund 140 Hausbewohnern Mitte
August mitgeteilt, dass ab dem 15. September nur noch 40 Menschen in dem
Eckhaus leben dürften.
„Wir verurteilen die dumpfen Anfeindungen von rechts und stehen auf der
Seite der Bewohner“, sagt jetzt Arne Gloy, Sprecher der Stadt Kiel. Er
bedauere die Drohungen und betont, die Bewohner hätten das Recht, hier zu
wohnen und zu arbeiten. „Wir schicken niemanden in die Obdachlosigkeit“,
sagt Gloy.
Das klang in dem Schreiben der Stadt an Hausbewohner noch etwas anders.
Zögen die Mieter nicht binnen vier Wochen aus, werde ein Zwangsgeld von 200
Euro fällig, hieß es in der Duldungsanordnung. Die Stadt müsse alleine
wegen der Gefahrenabwehr im Falle eines Brandes die Bewohnerzahl von rund
140 auf 40 reduzieren, sagt Gloy. „Hier stehen wir auch rechtlich in der
Pflicht.“ Alternativen Wohnraum hat die Stadt bislang nicht angeboten. Nur
eine Familie wurde am vergangenen Freitag in einem Hotel untergebracht.
„Die Bewohner sind sehr verunsichert“, sagt Melanie Groß. Sie ist
Professorin am Fachbereich Soziale Arbeit an der Fachhochschule in Kiel und
leitet ein Gartenprojekt für ein besseres Miteinander im Kirchenweg. Sie
weiß, dass die Bewohner überwiegend Roma aus Bulgarien sind, „die jetzt
wegen ihrer prekären Lebenssituation und der ethnischen Ressentiments
befürchten, mit ihren Familien obdachlos zu werden“.
Am 10. Juli hatte die Initiative „Gaarden Wohnwert“ von rund 140
Hauseigentümern im Stadtteil eine Petition an die Stadt geschickt. In der
forderten sie die Stadt auf, die Bewohnerzahl des Hauses im Kirchenweg zu
reduzieren. Am 14. August bekamen die Bewohner besagte Post vom
Bauordnungsamt. „Wir hatten nicht erwartet, dass die Stadt so schnell
reagiert“, sagt Sönke Bergemann von der Initiative. Aber Gloy will nicht
bestätigen, dass die Stadt erst nach der Petition aktiv wurde.
Seit Jahren besteht im Haus und drumherum eine „besondere Situation“, sagt
Bergemann. Es dürften zwar einzelne Zimmer vermietet werden, doch es sei
verheerend, wenn in jedem Zimmer drei bis vier Menschen wohnen, schlafen,
kochen und waschen. Alleine aus Platzmangel wichen die Bewohner in die
Eingänge benachbarter Häuser aus. Die Gegend vermülle und der Sperrmüll
werde durchwühlt. Durch diese Situation falle der Wert mancher Häuser. „Wir
wollen keine Gentrifizierung des Stadtteils betreiben. Gaarden ist seit
Jahrzehnten ein multikultureller Stadtteil und soll es bleiben“, sagt
Bergemann.
Erst im Februar übernahm der jetzige Eigentümer das Objekt im Kirchenweg.
Binnen weniger Monate investierte er rund 60.000 Euro, sagt Erik Währum von
der Hausverwaltung. Müll wurde entsorgt, Ratten bekämpft. Er verteidigt das
Mietkonzept. Die Bewohner, die ihren „Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs
auf dem Bau, als Putzkräfte oder durch Flaschensammeln bestreiten“, könnten
nur durch den familiären Zusammenhalt ihren Lebensunterhalt bestreiten und
die Miete bezahlen.
„Der Wille, an Sprachkursen teilzunehmen, ist durchweg gegeben, nur das
nicht vorhandene Angebot bremst diesen Lernwillen aus“, sagt Währum. Der
Initiative hält er vor, sie wolle nur, dass die Menschen wegzögen und seien
nicht am Wohl der Bewohner interessiert. „Wir sehen die Verbesserungen,
aber das Mietkonzept ist das Problem“, sagt Bergemann.
Die Situation im Haus will auch Melanie Groß nicht beschönigen. Es sei aber
gut, dass jetzt immer ein Übersetzer dabei sei, wenn Vertreter der Stadt
ins Haus kämen. Heute gibt es eine Infoveranstaltung für die Bewohner. Zu
spät, sagt Groß. Und wichtiger wäre, Alternativen zum Kirchenweg anzubieten
– das blieb bislang aber aus.
25 Aug 2015
## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
Kiel
Wohnraum
Roma
Bulgarien
Kunstwerk
Hamburg
Berlin
Schwerpunkt Armut
Flüchtlinge
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trotzdem nicht - denn in Bulgarien ging es ihnen noch schlechter.
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