# taz.de -- Pegida und Anti-Pegida: Dresdner Interventionen | |
> Hier nahm Pegida ihren Anfang. Warum tun sich die Dresdner so schwer, ihr | |
> etwas entgegenzusetzen? Erkundungen in der linken Szene. | |
Bild: Sie demonstrieren versteckt. Aus Gründen, aus traurigen | |
DRESDEN taz | Auf dem Neumarkt, direkt gegenüber der Frauenkirche, | |
betrachtet Felix Riedel nachdenklich eine Werbetafel, die über ein | |
Neubauprojekt informiert. „Wie hoch wird die wohl sein, sechs, sieben | |
Meter?“, fragt er leise. In 24 Stunden werden sich auf diesem Platz wieder | |
Tausende Anhänger der extrem rechten Pegida-Bewegung treffen – und Felix | |
Riedel will das nicht unkommentiert lassen. Oben auf dem Werbeschild möchte | |
er noch in dieser Nacht ein fünf mal drei Meter großes Transparent | |
verbergen, um es am nächsten Abend zu entrollen; direkt vor den Augen der | |
„Besorgniserregenden“, wie er die Pegida-Anhänger nennt | |
Bald darauf hat Riedel in einem Ledersessel im ersten Obergeschoss eines | |
Cafés in der Neustadt Platz genommen. Unten trifft sich die Alternativ- und | |
Hipsterszene, doch oben sitzt fast niemand, hier fühlt Riedel sich sicher. | |
Außerdem kann er hier rauchen, eine nach der anderen. | |
Die Pegida-Bewegung hat er von Anfang an beobachtet. Sieben, acht Stunden | |
täglich sitzt der Endzwanziger vor dem Computer, liest und speichert alles | |
Relevante, was die rechten Gruppierungen in ihren sozialen Netzwerken | |
verbreiten. Seine Erkenntnisse veröffentlicht Riedel auf der Facebook-Seite | |
[1][Pegida#watch], zu deren Administratoren er gehört – 50.000 Nutzer | |
folgen. | |
Nach einem ganzen Jahr, in dem er sich in die Strukturen der rechten Szene | |
vertieft, in dem er nahezu jeden Aufmarsch besucht hat, ist er für seine | |
Gegner immer noch ein Unbekannter. Und er hat großes Interesse daran, dass | |
das so bleibt. Daher ist Riedel auch nicht sein richtiger Name. | |
## Der große Frust | |
Seit Mitte Oktober des vergangenen Jahres gehen die „Patriotischen Europäer | |
gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) auf die Straße. Die linke | |
Szene brauchte drei, vier Wochen, um zu reagieren. Dann fanden jeden Montag | |
Gegenproteste statt. Im Dezember 2014 gelang es mehr als 1.000 Aktivisten, | |
eine Pegida-Demonstration zu blockieren. Doch Pegida ließ sich nicht | |
stoppen, sie machte – erfolgreich – weiter. Im April entschied das Bündnis | |
„Dresden Nazifrei“, die wöchentlichen Proteste einzustellen. Seitdem sind | |
die rechten Aufmärsche ohne vernehmbaren Widerspruch geblieben. Warum? | |
„Frustrierend“ sei es gewesen, Woche für Woche nichts zu erreichen, sagt | |
Riedel. Einige Pegida-Gegner hätten wohl insgeheim die Hoffnung gehegt, | |
dass sich die rechten Spaziergänger ohne Gegenprotest zu Tode langweilen. | |
Dies sei, meint Riedel, „voll in die Hose gegangen“. Während sich die | |
Akteure in Leipzig durchgängig Gegenprotesten ausgesetzt sahen, seien die | |
Dresdner immer selbstbewusster geworden, weil sie sich völlig ungestört | |
durch die Stadt bewegen konnten. „Sie reden schon von Machtübernahme“, sagt | |
Felix Riedel, „und das spiegelt sich auch auf den Straßen wider.“ | |
Seit Deutschland bewusst Flüchtlinge aufnimmt, hat sich die Stimmung in | |
Dresden und den kleineren Ortschaften im Umland deutlich verschlechtert. | |
Freital, Heidenau, täglich finden Angriffe auf Flüchtlinge und ihre | |
Unterkünfte statt. Pegida sei von einer „Erweckungsbewegung“ zu einer | |
„Ermächtigungsbewegung“ geworden, konstatiert Riedel. Bei seiner Analyse | |
gerät er nicht einen Moment ins Stocken; er versteckt sich nicht hinter dem | |
soziologischen Vokabular – man merkt, er weiß genau, wovon er spricht. | |
„An verschiedenen Ecken regt sich aber jetzt Widerstand“, sagt Riedel | |
hoffnungsfroh. Auch ihm, der das ganze Jahr dabeigeblieben ist, reicht es | |
schon längst nicht mehr, volksverhetzende Sprüche oder die Vergangenheit | |
von Pegida-Gründer Lutz Bachmann aufzudecken. | |
## Der Spendenlauf | |
Das andere, so oft schweigende Dresden bewegt sich an diesem Sonntag im | |
Großen Garten. 3.500 Menschen joggen, radeln oder skaten eine sechs | |
Kilometer lange Runde um den Park. Volksfestatmosphäre. Für den Spendenlauf | |
„Run and Roll“ hat jeder von ihnen 10 Euro Startgebühr entrichtet. Davon | |
wird die Uniklinik der TU Dresden eine Stelle finanzieren, durch die eine | |
schnelle medizinische Versorgung für Flüchtlinge sichergestellt werden | |
soll. Organisiert hat das Ganze das Netzwerk „Dresden für alle“. | |
Eric Hattke, ein Sprecher der Initiative, strahlt über das ganze Gesicht, | |
als die letzten Läufer die Startlinie überquert haben. „Ich habe ein Jahr | |
lang mein normales Leben ausgesetzt: Studium, Familie, Freunde“, sagt der | |
23-Jährige, der mit seinen blonden Locken, den bartlosen weichen | |
Gesichtszügen und einer Zahnspange deutlich jünger aussieht. In dieser Zeit | |
hat das Netzwerk, das gute Kontakte zur Stadtpolitik hat, viel auf die | |
Beine gestellt. Ein großes Gastmahl für Flüchtlinge haben sie organisiert, | |
Konzerte, Unterstützung in den Erstaufnahmeeinrichtungen und anfänglich | |
auch Proteste gegen Pegida. | |
Hattke ist keiner, der sich den Nazis und aggressiven Bürgern an vorderster | |
Front entgegenstellt. Dennoch wird er bedroht, seine Familie versucht man | |
einzuschüchtern. Kürzlich hat jemand unter seinem Namen die Polizei | |
angerufen und erzählt, er habe seine Freundin umgebracht. Daraufhin rückten | |
Polizisten bei ihm zu Hause an. Schnell kommt Hattke auf etwas anderes zu | |
sprechen, überhaupt wägt er seine Sätze sorgfältig ab. „Zeichen setzen | |
reicht schon lange nicht mehr“, sagt er. Er möchte die nichtrechte Mehrheit | |
der Dresdner organisieren, „konstruktive Dinge schaffen“. An diesem Tag | |
sieht man, sein Wort hat Gewicht; viele Dresdner wollen etwas tun. | |
Silvio Lang hält einen kurzen Moment inne, womöglich überrascht von der | |
Frage, ob er sich den Pegida-Aufmarsch am Abend angucken werde. Dann findet | |
der Sprecher des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ seine Sprache wieder und | |
sagt entschieden: „Nein! Die kennen ja mein Gesicht. Den Gefallen werde ich | |
ihnen nicht tun.“ Seit 2011 steht Lang öffentlich für den Versuch ein, | |
Naziaufmärsche in Dresden durch Massenblockaden zu verhindern. Der einst | |
größte Aufmarsch, der jährlich am Jahrestag der Bombardierung Dresdens am | |
13. Februar 1945 stattfand, ist seit 2012 nach drei erfolgreichen Blockaden | |
endgültig Geschichte. | |
## Knappe Ressourcen | |
In Übigau, im Nordwesten der Stadt, will er sich ein Bild von jenen | |
Anwohnern machen, die seit Tagen den Eingang zu einer Sporthalle besetzt | |
halten, um den Einzug von Flüchtlingen zu verhindern. Doch ein Blick aus | |
dem Auto muss Lang genügen. Näher an die skurrile Szenerie, bestehend aus | |
einem Dutzend Gestalten, die auf Hockern in Schwarz-Rot-Gold Präsenz | |
zeigen, will er nicht heran. Die Polizei ist nicht vor Ort, dafür kam | |
Oberbürgermeister Dirk Hilbert schon zum Dialog. Sächsische Verhältnisse. | |
Nachmittags sitzt Silvio Lang auf der Elbwiese. Er trägt eine Mütze mit | |
allerlei Buttons mit durchgestrichenen Hakenkreuzen, der Aufschrift | |
„Dresden stellt sich quer“, dazu Sonnenbrille und ein schwarzes Halstuch. | |
Das Protestbündnis „Dresden nazifrei“ reicht von autonomen Antifagruppen | |
bis hin zu kirchlichen Kreisen; der harte Kern besteht aus etwa 30 | |
Ehrenamtlichen. Die Ressourcen sind knapp, berichtet er: Als man sich | |
entschied, nicht mehr auf die Straße zu gehen, war bereits viel Geld | |
verbraucht und das Blockadekonzept gescheitert. | |
„Jetzt hat Pegida wieder so ein Ausmaß angenommen, dass wir nicht mehr | |
zugucken können“, sagt Lang. Zum Jahrestag am 19. Oktober – vor einem Jahr | |
fand die erste Pegida-Versammlung statt – ruft sein Bündnis erstmals wieder | |
zu Protesten auf. „Herz statt Hetze“ heißt die Kampagne, die Tausende auf | |
die Straße bringen will. Auch Hattkes Netzwerk hat sich ihr angeschlossen. | |
Nach wenigen Tagen haben sich auf Facebook schon mehr als 4.000 Menschen | |
angemeldet. Vier Demonstrationszüge sind geplant, Busse aus Leipzig und | |
Berlin organisiert. Vielleicht wird es sogar zu einer Blockade reichen. | |
„Dresden Nazifrei“ habe hinsichtlich der Gedenkpolitik der Stadt rund um | |
das Bombardement von Dresden viel erreicht, sagt Lang. „Aber Pegida hat den | |
Erfolg wieder zunichtegemacht.“ Auch er ist sich sicher, dass eine | |
Eskalation unmittelbar bevorsteht. „Hier laufen trockene Heuballen durch | |
die Straßen. Da muss nur noch jemand ein Streichholz reinwerfen.“ Lang | |
berichtet von Pegida-Anhängern um die Ex-AfD-Frau Tatjana Festerling, die | |
kürzlich versucht haben sollen, Waffenscheine zu erwerben. „Bis Ende des | |
Jahres reden wir hier über Tote.“ | |
## Ewiger Opfermythos | |
Ist das Alarmismus? Viele, die sich in Dresden gegen Pegida engagieren, | |
sagen momentan solche Sätze. Einige gehen noch weiter und befürchten | |
bürgerkriegsähnliche Zustände. Sie sagen das ganz nüchtern. | |
Aber warum zeigt sich gerade in Dresden so offen die Fremdenfeindlichkeit? | |
Lang hält einige Antworten dafür bereit: DDR-Vergangenheit ohne Ausländer; | |
25 Jahre CDU-Herrschaft in Sachsen; eine Polizei, die keinen Willen zur | |
Strafverfolgung zeigt; soziale Probleme; die Frustration der einst | |
staatstragenden bürgerlichen Eliten, die in der Bundesrepublik nicht | |
richtig mitgestalten dürfen. Dresdens ewiger Opfermythos. | |
Am Montagabend füllen etwa 8.000 Menschen den Neumarkt. Junge sportliche | |
Männer, zurechtgemachte ältere Damen und viele, die zur Wendezeit ihre | |
Jugend gerade hinter sich hatten. Hunderte Fahnen wehen in der | |
Abenddämmerung, immer wieder schallt es „Volksverräter“ und „Widerstand… | |
durch die Menge. Lutz Bachmann steht auf der Ladefläche eines Lasters und | |
redet sich in Rage. Am Wochenende wurde bekannt, dass eine Klage wegen | |
Volksverhetzung gegen den Pegida-Begründer läuft. „Hört zu, ihr ganzen | |
links-grün-faschistischen Spinner“, keilt er aus, „ihr werdet auch mich | |
nicht mundtot machen.“ Die Menge johlt. | |
Es wäre der ideale Moment für Felix Riedels Intervention. Doch nichts | |
passiert. Nicht in diesem Moment und auch nicht bei der zweiten Rede des | |
Abends. Das Transparent hat sich verheddert. | |
„Dann machen wir das eben ein anderes Mal“, sagt Riedel unverzagt. Er steht | |
am Rande der Zugstrecke. Etwa 300 Menschen sind ganz spontan zur ersten | |
Anti-Pegida-Kundgebung seit April gekommen.Die Zeit, in der Pegida das Feld | |
in Dresden kampflos überlassen wurde, ist vorbei. | |
15 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://www.facebook.com/pegidawatch | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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