# taz.de -- Flüchtlinge im Michel: Der organisierte Hilferuf | |
> Eine Gruppe von Roma sucht Kirchenasyl im Hamburger Michel, um der | |
> Abschiebung zu entgehen. Bis Sonntag wird sie in der Kirche geduldet. | |
Bild: Rund 40 Roma - Erwachsene und Kinder - fordern im Michel ein Bleiberecht … | |
HAMBURG taz | Eine Gruppe von Roma hat sich am Donnerstag in Hamburgs | |
Hauptkirche Michel zu einem Protest gegen ihre drohende Abschiebung | |
versammelt. Mehr als 20 Familien hätten von der Ausländerbehörde einen | |
Bescheid für ihre Abschiebung nach Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina | |
und in den Kosovo innerhalb der nächsten Woche erhalten. | |
Sie forderten ein Bleiberecht für ihre Familien in Deutschland, sagte ein | |
Sprecher der Gruppe, die im Michel Hilfe suchte. 14 Roma seien am Mittwoch | |
bereits aus Hamburg abgeschoben worden. | |
Etwa 50 Menschen, Roma und Unterstützer, hielten im Kirchenschiff des | |
Michels Transparente hoch. „Das hier ist eine schöne und starke Aktion“, | |
sagte Isen Asamovski. Er ist Mitglied im Netzwerk „Romano Jekipe ano | |
Hamburg“, das sich für die Rechte der Roma in Hamburg einsetzt. | |
In den vergangenen Tagen hätten einige Mitglieder des Netzwerkes | |
Abschiebebescheide bekommen, sich aber geweigert, in ihre Herkunftsländer | |
zu fliegen. „Deutschland ist gut für uns, wir wollen nicht zurück“, sagt | |
er. Die Kirche könne ihn und seine Landsleute vor einer Abschiebung in die | |
Balkanstaaten beschützen, so die Hoffnung. | |
Asamovski kündigte an, dass sie sich so lange in der Kirche aufhalten | |
werden, bis es eine Lösung gebe. Die Michel-Pastoren Alexander Röder und | |
Hartmut Dinse waren schnell vor Ort und zogen sich mit Mitgliedern der | |
Gruppe ins angrenzende Gemeindehaus zurück, um über mögliche Lösungswege zu | |
beraten. | |
Dort verbrachten die 40 Roma, die einen Abschiebebescheid erhalten haben, | |
auch die Nacht. Sie wurden von der Kirche und UnterstützerInnen mit | |
Lebensmitteln, sowie Hygiene-Artikeln und Kleidung versorgt. Am heutigen | |
Freitag berät der Kirchengemeinderat über das weitere Vorgehen. Bis Sonntag | |
ist die Gruppe Roma in den Räumen der Kirche geduldet. Laut Isen Asamovski | |
kündigten die Pastoren zudem an, das Gespräch mit der Ausländerbehörde | |
suchen zu wollen, um über einen möglichen Abschiebestopp zu verhandeln. | |
Norman Paech ist emeritierter Professor für Verfassungs- und Völkerrecht | |
der Universität Hamburg und hat für die „Rom und Cinti Union“ ein | |
juristisches Gutachten erstellt. Der Verein setzt sich seit den | |
1980er-Jahren „für den Schutz gegen Verfolgung und zur Förderung von Rom | |
und Cinti als nationale Minderheit“ ein. | |
Paech war gestern auch im Michel, um den Familien ihre juristischen | |
Möglichkeiten zu erklären. „Ich habe alle drei Balkanstaaten in meinem | |
Gutachten analysiert“, sagt er. Das Ergebnis sei eindeutig: Der Beschluss | |
der Bundesregierung zu den sicheren Herkunftsstaaten für Roma sei | |
verfassungswidrig. | |
Im vergangenen November erklärte die Bundesregierung Serbien, Mazedonien | |
und Bosnien-Herzegowina zu eben solchen sicheren Herkunftsstaaten. Das | |
Asylverfahren bei der Flüchtlingsgruppe aus diesen Staaten wird seitdem | |
beschleunigt durchgeführt. Flüchtlinge, deren Anträge abgelehnt werden, | |
können innerhalb von vier Wochen in ihre vermeintlich sicheren | |
Herkunftsstaaten geschickt werden. | |
Doch gerade für die Roma seien diese Staaten eben keine sicheren | |
Herkunftsländer, sagt Isen Asamovski. Denn die Roma hätten dort unter | |
Rassismus der Bevölkerungsmehrheit und von Seiten des Staates zu leiden, | |
sie seien außerdem Opfer von Diskriminierung, Benachteiligung, Gewalt und | |
werden systematisch verfolgt. | |
„Wir unterstützen die Roma daher seit Jahren und fordern einen | |
Abschiebestopp“, sagt Hermann Hardt vom Hamburger Flüchtlingsrat. Viele | |
Roma wurden in der Vergangenheit bereits aus Hamburg abgeschoben. | |
Seit Mai ist die Gruppe „Romano Jekipe Ano Hamburg“ wieder aktiv und setzt | |
sich für die Belange der Roma ein. Jeder Mensch habe das individuelle Recht | |
auf Asyl, erklärt Hardt. „Sichere Herkunftsstaaten sind Blödsinn, denn sie | |
klammern diese verfolgten Menschen aus.“ | |
18 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Fabio Kalla | |
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