| # taz.de -- Geflüchtete im Pfadfinderheim: Drei kostbare Stunden Schlaf | |
| > Viele Flüchtlinge stranden auf dem Weg nach Schweden in Hamburg. Eine | |
| > Gruppe Pfadfinder aus Wandsbek kümmert sich um sie – jede Nacht, trotz | |
| > Schule. | |
| Bild: Zeit für ein bisschen Schlaf: Flüchtlinge im Pfadfinderheim | |
| Hamburg taz | Eine Frau sitzt auf dem Boden und drückt ihr erschöpftes Kind | |
| an ihre Brust. In der Wandelhalle am Hauptbahnhof ist es ruhig. Die Züge | |
| aus München und Wien haben Verspätung. Nur wenige Flüchtlinge harren vor | |
| den Geschäften auf Decken und Isomatten aus. Heute Nacht geht kein Zug mehr | |
| in Richtung Skandinavien. Zwangspause. | |
| Deshalb sind Tobias Zimmermann und seine Begleiter hier. Die Jungs sind | |
| Pfadfinder vom [1][Wandsbeker Stamm „Mizar Alkor“.] Schon seit vergangener | |
| Woche öffnen sie für 30 Flüchtlinge ihr Pfadfinderheim – jede Nacht, trotz | |
| Arbeit und Schule. | |
| „Ich wollte meiner Sippe zeigen, dass wir alle helfen können“, sagt | |
| Zimmermann. Der 20-Jährige betreut sechs Kinder – seine Sippe. In der | |
| Schule lernten die Kinder nur Fakten über Flucht und Migration. Zimmermann, | |
| der lieber mit seinem Pfadfindernamen „Moeby“ angesprochen wird, reicht das | |
| nicht. „Ich wollte, dass sie die Menschen selbst kennenlernen.“ | |
| Neben einem improvisierten Infopunkt in der Wandelhalle haben sich ein paar | |
| Flüchtlinge versammelt. Zimmermann zählt durch: 13 Menschen. Sie haben kaum | |
| mehr als einen Rucksack und ein paar Plastiktüten dabei. Er winkt und geht | |
| mit ihnen zur S-Bahn. Eine Uniform oder das blau-gelbe Tuch trägt der | |
| Abiturient nicht, sondern einen schwarzen Pulli, Alltagsklamotten. | |
| Die ehrenamtlichen Dolmetscher vom Bahnhof kommen nicht mit. „Wir | |
| verständigen uns jetzt mit Händen und Füßen“, sagt Zimmermann. Zum Glück | |
| sprechen einige der Flüchtlinge Englisch. | |
| „Das kann ich auch“, sagt der 12-jährige Luca Kehnscherper. Der Schüler | |
| unterhält sich gern mit den Flüchtlingen. „Sie haben mir von Aleppo erzählt | |
| und von ihrer Flucht“, sagt er. Bei den Pfadfindern heißt Luca „Lemoi“. … | |
| führt er die Gruppe auf dem kurzen Fußmarsch von der Bahnstation zum | |
| Pfadfinderheim an. | |
| Es ist längst nach Mitternacht. Eigentlich ist der Schüler noch von der | |
| vergangenen Nacht müde. Trotzdem hilft er wieder. „Die Leute haben sich so | |
| gefreut im Warmen schlafen zu können“, sagt er. | |
| Das Pfadfinderheim ist ein großes, rot gestrichenes Holzhaus. Schwedisches | |
| Flair. Drinnen riecht es ein bisschen nach Käsefüßen. Alle ziehen im Flur | |
| die Schuhe aus. Auf einer Kommode stehen Zahnpasta, Duschzeug und Windeln. | |
| Die Pfadfinder haben Spenden gesammelt. Morgen früh können die Flüchtlinge | |
| duschen. | |
| Über eine abgenutzte Holztreppe geht es in den ersten Stock. Die Etage ist | |
| ein einziger großer Raum. An einer Seite türmt sich ein Berg aus Kissen und | |
| Decken. Ein dick gepolstertes Uralt-Sofa steht neben einem Kamin. Der Boden | |
| ist mit weichen orientalischen Teppichen ausgelegt. Betten gibt es nicht. | |
| Die 22-jährige Duaa sitzt in einer Ecke des Raumes auf einem großen Kissen. | |
| Sie sieht erschöpft aus und jung. Wenn sie lächelt, zeigt sie ihre | |
| Zahnspange. Seit acht Tagen ist die Syrerin auf der Flucht. „Ich habe kaum | |
| gegessen und geschlafen“, sagt sie. In Hamburg hat sie ihren Bruder | |
| Mohammed wieder getroffen. Er hat in Hamburg Asyl beantragt und begleitet | |
| sie in dieser Nacht. Es ist ein kurzes Treffen. Ein anderer Bruder wartet | |
| in Malmö, deshalb will Duaa morgen nach Schweden weiterreisen. „Ich werde | |
| sie besuchen“, verspricht Mohammed. | |
| Die Pfadfinder hängen gerade die großen schwarzen Stoffbahnen ihrer Zelte | |
| als Raumteiler auf. Männer und Frauen wollen getrennt voneinander schlafen. | |
| Im Erdgeschoss weint ein Baby. Eine zweite Gruppe Flüchtlinge ist | |
| angekommen – zwölf Kinder sind dabei. „So viele Familien haben noch nie | |
| hier übernachtet“, sagt der Pfadfinder Danial Ernesto Schirojan, alias | |
| „Marley“. Es wird voll. | |
| Oben haben es sich die Männer auf Decken bequem gemacht. Einigen fallen | |
| schon die Augen zu, andere wischen noch auf ihren Smartphones herum. Kinder | |
| toben zwischen ihnen. Sie sind die einzigen, die von der langen Reise nicht | |
| völlig überwältigt sind. | |
| An anderen Abenden haben die Pfadfinder Nudeln mit Tomatensoße gekocht. | |
| „Wir saßen dann noch im Kreis zusammen und haben geredet“, sagt der | |
| 12-jährige Luca. Heute ist es zu spät. Ein schwarzer Tee genügt den | |
| Ankömmlingen. In der Küche ist sowieso kein Platz. Auch hier bauen sich | |
| Leute ihre Betten. In der Spüle und auf der Arbeitsfläche steht das | |
| schmutzige Geschirr von gestern. | |
| In einer kleinen Werkstatt nebenan schlafen die Pfadfinder selbst auf einem | |
| schmutzigen beigen Teppich. Ihre Schlafsäcke liegen noch da von der | |
| vergangenen Nacht. Der Boden ist kalt, das Zimmer chaotisch. | |
| Schraubenzieher und Sägen hängen an den Wänden. Die Jungs haben es | |
| ungemütlicher als ihre Gäste. | |
| Als Ruhe einkehrt, ist es schon kurz nach zwei. Zimmermann macht das Licht | |
| aus. Um fünf klingelt der Wecker. Die Leute wollen weiter, endlich | |
| ankommen. Um sechs fährt der nächste Zug in Richtung Schweden. | |
| 20 Sep 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andrea Scharpen | |
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