# taz.de -- Flüchtlingshelfer an der Belastungsgrenze: Wer hilft eigentlich we… | |
> Erfüllen ehrenamtliche Flüchtlingshelfer das Diktum der Bundeskanzlerin | |
> oder tun sie, was getan werden muss? Die Unterstützerszene ist gespalten. | |
Bild: Immer willkommen: freiwillige Helfer am Hamburger Hauptbahnhof | |
HAMBURG/BREMEN taz | Seit Wochen werden am Hamburger Hauptbahnhof neu | |
ankommende Flüchtlinge von ehrenamtlichen HelferInnen in Empfang genommen | |
und mit dem Nötigsten versorgt. In Bremen, Lübeck, Kiel – überall | |
engagieren sich Menschen Tag für Tag. Der Dank ist ihnen auch von | |
staatlichen Stellen sicher – und auch das Eingeständnis, dass ohne ihr | |
ehrenamtliches Engagement die Krise längst zum Chaos geworden wäre. | |
Total versagt hat jüngst der rot-grüne Hamburger Senat, als hunderte | |
Geflüchtete zu einer leeren, total verdreckten Baumarkthalle gekarrt worden | |
sind. Hier versuchten Ehrenamtliche vergeblich, das Chaos in den Griff zu | |
bekommen, sie konnten nicht verhindern, dass Flüchtlinge auf dem Boden | |
schlafen mussten. Überall sind es Helferinnen und Helfer, die Unterstützung | |
da auf die Beine stellen, wo der staatlich organisierte Hilfe auf der | |
Strecke bleibt. | |
Wer also hilft hier eigentlich wem? Ist die aktuelle Unterstützung richtig | |
oder trägt man so dazu bei, als soziales Pflaster einer Politik zu | |
fungieren, die grundsätzlich abzulehnen ist? | |
Unter AktivistInnen und ehrenamtlichen HelferInnen ist eine Diskussion | |
entbrannt: Nach Wochen der Nothilfe sind viele an ihren Grenzen, können | |
nicht mehr. Doch vielerorts ist die ehrenamtliche Hilfe auch in Bereichen | |
der Grundversorgung wie selbstverständlich eingeplant, und wenn Freiwillige | |
sich zurückziehen, entsteht eine Lücke. | |
Mindestens diskursiv mussten sich die HelferInnen nicht zuletzt von | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel (“Wir schaffen das“) vor den nationalen | |
Karren spannen lassen. Fast vergessen wurde dabei, gegen die aktuelle | |
Asylrechtsverschärfung zu protestieren – die einen populistischen Backlash | |
offenbart: Verlängerung der Zwangsunterbringung in Erstaufnahmelagern, | |
verschärfte Grenzkontrollen, Ausweitung des Sachleistungsprinzips und | |
Herabsenkung der Leistung für Flüchtlinge unter das menschenwürdige | |
Existenzminimum. | |
Dazu kommt die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten: Indem der | |
Blick – aller beschworenen Willkommenskultur zum Trotz – auf die | |
vermeintlich unbegründeten Asylanträge der Flüchtlinge aus den westlichen | |
Balkanstaaten gelenkt wird, werden diese für die Überlastung verantwortlich | |
gemacht. | |
Laut Spiegel sollen sich 44 Prozent aller Deutschen an der Flüchtlingshilfe | |
beteiligt haben – durch Spenden oder eigenes Engagement. Was würde | |
passieren, würde nur ein Teil von ihnen etwa gegen die | |
Asylrechtsverschärfung auch auf die Straße gehen? | |
Den Protest nachgeholt haben mindestens in Bremen am vergangenen Wochenende | |
2.000 Demonstranten: Sie forderten, statt das Asylbewerberleistungs-Gesetz | |
zu verbessern, Sondergesetze ganz abzuschaffen, die sich gegen Geflüchtete | |
richten. Auch Hamburg zieht nun nach, eine Demonstration gegen die | |
Asylrechtsverschärfung ist für nächsten Donnerstag geplant. | |
Doch der Aufstand gegen das Totalversagen etwa des Hamburger Senats, der es | |
nicht einmal mehr schafft, Betten und Toiletten aufzustellen, bleibt aus. | |
Vielleicht deswegen, weil die Leute, die das Thema am meisten bewegt, zu | |
beschäftigt sind? | |
Andererseits: Ist die Kritik an Mängeln staatlicher Organisation nicht bloß | |
ein unhinterfragter linker Reflex? Ist das empathische Engagement und die | |
Beteiligung so vieler, die sich bislang wenig interessierten, nicht zu | |
begrüßen als positive Entwicklung, die zeigt, dass sich die 1990er Jahre | |
nicht einfach so wiederholen? Konterkariert wird das Bild durch 490 | |
Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte, die es bislang in diesem Jahr gab. | |
Wie technisch kalt es anmutet, wenn bei der Ankunft von Flüchtlingen am | |
Bahnhof alles staatlich organisiert wird, mag eine Anzeige der Stadt | |
Laatzen bei Hannover verdeutlichen: Dort wurden in der vergangenen Woche | |
Dolmetscher gesucht, die bei der Ankunft von Flüchtlingen am Messebahnhof | |
helfen sollten. Eine „Verteilstation für Flüchtlinge“ solle eingerichtet | |
werden, Dolmetscher sich beim „Team Sicherheit und Ordnung“ melden. | |
Spenden-Gelegenheiten gebe es im Übrigen nicht, der Bahnhof werde | |
abgesperrt. | |
Die SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel fordern jetzt | |
im Spiegel, die Zuwanderung zu begrenzen. Deutschland könne nicht dauerhaft | |
mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen – die beispiellose | |
Hilfsbereitschaft dürfe nicht überfordert werden. Diese Argumentation | |
zeigt, was passiert, wenn Ehrenamt und Hilfsbereitschaft zum Maß für | |
Zuwanderung und Asylanerkennung werden. | |
Bleibt Asyl ein Grundrecht – wie Angela Merkel es betont – so kann es schon | |
juristisch keine Obergrenze für Flüchtlinge geben, weil dies das | |
individuelle Schutzrecht beschneiden würde. Asyl ist eine Frage des | |
Rechtsanspruchs und des politischen Willens, nicht eine der Großzügigkeit. | |
Den ganzen Schwerpunkt über den Zwiespalt der freiwilligen Helfer und die | |
Verantwortung des Staates bei der Versorgung von Flüchtlingen lesen Sie in | |
der gedruckten Norddeutschland-Ausgabe der taz.nord oder [1][hier]. | |
9 Oct 2015 | |
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Jean-Philipp Baeck | |
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