| # taz.de -- Spaltung der Unterstützerszene: Muttis kleine Helfer? | |
| > Helfen die Flüchtlingshelfer am Ende vor allem dem Staat, der sich um | |
| > seine Aufgaben drückt? Die Frage wird in Hamburg heiß diskutiert. | |
| Bild: Politisch oder nicht? Hilfe in der Kleiderkammer in Hamburg | |
| Hamburg taz | Das Bild täuscht. Punks und Perlenohrringträgerinnen, Antifas | |
| Seite an Seite mit bürgerlichen GutverdienerInnen, schmieren zusammen | |
| Brötchen, sortieren Kleider, kaufen Zugtickets und übersetzen für | |
| Flüchtlinge. Alle für die gemeinsame Sache? Nicht ganz. Ein Riss geht durch | |
| die UnterstützerInnen. | |
| Sie spalten sich an der Frage: Ist das, was wir hier machen, eigentlich | |
| politisch? „Nein, wir wollen nur helfen“, sagen die einen. „Politik | |
| interessiert uns nicht.“ „Quatsch, Helfen ist an sich politisch“, sagen d… | |
| anderen. „Wer die politischen Umstände aus den Augen lässt, richtet mehr | |
| Schaden an, als dass er hilft.“ | |
| Es geht dabei um mehr als nur Befindlichkeiten. Es geht um Geld. Um | |
| Glaubwürdigkeit. Und um Deutungsmacht. An der einen Frage hängen viele | |
| weitere: Mit wem kooperieren wir? Wie treten wir nach außen auf, wie den | |
| Flüchtlingen gegenüber? Was sind unsere Aufgaben, wo liegen die Grenzen? | |
| Wie gehen wir mit behördlichen Auflagen um? Und die Frage aller Fragen: Wem | |
| helfen wir eigentlich? | |
| „Wer die politische Dimension ausblendet, hilft gerade auch dem Senat“, | |
| sagt Niels Boeing, aktiv im Hamburger Netzwerk „Refugees Welcome | |
| Karoviertel“, kurz: RW Karo. „Weil man sonst nur die Folgen der verfehlten | |
| Senatspolitik abfedert und signalisiert, dass alles so bleiben kann, wie es | |
| ist.“ Boeing fürchtet: „Das wird der Senat einkalkulieren und nächstes Mal | |
| noch weniger leisten.“ | |
| Boeing koordiniert die Arbeitsgruppen des Netzwerks. Deren Ansatz: | |
| Flüchtlinge willkommen heißen und das mit politischen Forderungen | |
| verbinden. Als die Hamburger Messehallen mit Flüchtlingen belegt wurden, | |
| hat die Gründungsversammlung RW Karo eine Resolution verabschiedet, mit | |
| Forderungen wie unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt für alle | |
| Flüchtlinge, sofortige Umwandlung von Leerstand aller Art zu Wohnraum für | |
| Flüchtlinge – und letztlich: „Bleiberecht für alle“. | |
| ## „Wir wollen hier keine Politik machen“ | |
| Doch nicht alle der 20 AGs unter dem Dach von RW Karo sehen das so. Da ist | |
| zum Beispiel die Kleiderkammer – die größte und, wenn man so will, | |
| erfolgreichste Arbeitsgruppe. Die Kleiderkammer war in der Tagesschau, im | |
| Spiegel, Stern und Focus. Bei Facebook hat die Gruppe 19.000 Likes. „Wir | |
| wollen hier keine Politik machen“, hat Mitgründer Moritz Heisler immer | |
| betont. | |
| „Wir wollen einfach nur die Leute, die nichts haben, mit dem Nötigsten | |
| versorgen“, sagte er in einem Fernsehinterview. Und dann noch einen Satz, | |
| den viele Linke gar nicht gerne hören: „Nicht Freital und Heidenau sind | |
| Deutschland – das hier ist Deutschland.“ Das verträgt sich nicht mit den | |
| Ansichten der autonomen Antifa oder der Recht-auf-Stadt-Bewegung, aus der | |
| Niels Boeing kommt. | |
| „Diese Position ist grundfalsch“, findet er: „Das ist der nationalistische | |
| Appell, ideologische und politische Differenzen zu vergessen, um das | |
| Merkelsche ‚Wir schaffen das‘ umzusetzen. In Notsituationen soll die | |
| Gesellschaft zusammenrücken wie eine große Familie, egal ob man sich | |
| gestern beim Abendbrot noch gezofft hat.“ | |
| Eine solche Argumentation blende die Ursachen für die Flucht aus – die | |
| Waffenexporte, die Ausbeutung, und die menschenfeindliche Asylpolitik | |
| Europas. Boeings Fazit: „Dann hat man plötzlich die Bild-Zeitung an seiner | |
| Seite.“ | |
| Bild steht nicht auf der Liste der Kooperationspartner der Kleiderkammer. | |
| Wohl aber die Polizei Hamburg, der HSV, H&M, die Sparkasse, Ikea und die | |
| Stadt Hamburg. Die Kleiderkammer kriegt so viele Spenden, dass sie schon | |
| mehrmals einen Aufnahmestopp verhängt hat. Simone Herrmann war auch von | |
| Anfang an dabei. | |
| ## „Da könnte man sicher vieles besser machen“ | |
| Zur Hamburger Flüchtlingspolitik sagt sie: „Da könnte man sicher vieles | |
| besser machen. Wichtig ist, dass sich beide Seiten, also der Senat und die | |
| Helfer-Szene, mit Wertschätzung begegnen.“ Herrmann glaubt, dass der | |
| rot-grüne Senat wertschätzt, was die HelferInnen leisten. | |
| Was sie nicht glaubt, ist, dass die Politik sich darauf verlässt und die | |
| Gratis-Leistung einkalkuliert. Herrmann ist der Meinung: „Miteinander reden | |
| würde helfen, die Entscheidungen des Senats besser nachzuvollziehen.“ Dass | |
| manche HelferInnen das gar nicht wollen, versteht sie nicht: „Muss man denn | |
| immer gleich schreien?“, fragt sie. „Was wir machen, hat ja auch | |
| Auswirkungen, aber wir machen das nicht laut. Wir organisieren keine Demos | |
| und wir schreien nicht.“ | |
| Die Flüchtlinge aus den Messehallen sind längst umverteilt. Die | |
| Kleiderkammer aber ist noch da und darf auch vorerst bleiben. Dafür ist die | |
| Kleiderkammer bei RW Karo raus. „Wir haben uns eigentlich nie als Teil von | |
| RW Karo verstanden“, erklärt Simone Herrmann. „Wir haben gar nicht diesen | |
| politischen Backround.“ VertreterInnen des RW Karo-Netzwerks sagen dazu | |
| nichts. Außer, dass gerade viel diskutiert wird. Es klingt sehr | |
| diplomatisch. | |
| Den AktivistInnen vom Hamburger Hauptbahnhof kommt das alles ziemlich | |
| bekannt vor. Es ist das gleiche Problem: Menschen, die sich vorher nicht | |
| kannten und unterschiedliche Ansprüche haben, sollen plötzlich zusammen | |
| Politik machen. Oder eben keine Politik – das ist die Frage, über die sich | |
| die UnterstützerInnen-Szene auch hier zerlegt. So richtig aussprechen will | |
| das aber auch hier niemand. | |
| ## „Wir sind eben ein heterogener Haufen“ | |
| „Ein großer Teil zieht sich gerade zurück“ – so formuliert es Taro. Er … | |
| einer von denen, die versuchen, der ehrenamtlichen Hilfe eine Struktur zu | |
| geben. Sie haben ein Büro eingerichtet. Von dort aus telefonieren sie mit | |
| AktivistInnen in Lübeck, Flensburg oder Kiel – für viele Flüchtlinge die | |
| nächsten Stationen auf ihrem Weg nach Skandinavien. | |
| Als es darum ging, für die Gruppe am Hauptbahnhof eine Facebook-Seite | |
| einzurichten, gab es Streit um den Namen. Die einen wollten „Antira Hbf | |
| Support“, den anderen war „Antira“ zu abschreckend. „Wir sind eben ein | |
| heterogener Haufen. Wer sich am politischen Aktivismus stört, sieht eher | |
| den humanitären Aspekt. | |
| Der ist auch wichtig“, versucht Taro zu vermitteln. „Nur ändert man so | |
| nichts daran, dass Menschen gezwungen werden, durch ganz Europa zu Fuß zu | |
| laufen, und dann hier noch nicht mal als Flüchtlinge anerkannt werden.“ | |
| Als einige HelferInnen Balkan-Flüchtlingen, die schon länger in Hamburg | |
| waren, kein Essen geben wollten, eskalierte der Streit. Der „politische | |
| Flügel“, wie Taro es nennt, zog sich zurück. „Ein Grund ist schlicht | |
| Überforderung“, meint er. | |
| „Weil sie ihren Anspruch, über das Humanitäre hinaus etwas zu leisten, | |
| nicht umsetzen können.“ Manche sind nach zwei Monaten Refugees-Welcome-Hype | |
| auch schlicht ausgebrannt. 30 Stunden-Schichten und 80 Wochenstunden | |
| ehrenamtlicher Arbeit fordern Tribut. Da kann es auch helfen, zur Ruhe zu | |
| kommen und das eigene Tun zu reflektieren. Und dann geht‘s weiter. | |
| 10 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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