| # taz.de -- Flüchtlingshilfe bei Wiener Festival: Das Beste, was passieren kon… | |
| > Ein Stadtplaner-Festival in Wien wird zum Flüchtlingscamp. Und aus der | |
| > Theorie der Kooperation wird spannende Praxis. | |
| Bild: „Flüchtlinge willkommen“: gilt in Wien und, wie hier, in Flensburg. | |
| Wien taz | Im Eck des Hofs glühen in einer Art Stahlwanne Holzkohlen. | |
| Mobile Pressspan-Möbel stehen herum, wer gerade einen Sitz braucht, schiebt | |
| ihn sich zurecht. Elke Rauth dreht sich eine Zigarette und erzählt mit | |
| immer noch staunendem Ton in der Stimme, wie sich, um das in | |
| milieutypischem Jargon zu formulieren, ihr Festival unter der Hand | |
| „umkuratiert“ hat. „Wir haben schon begonnen aufzubauen, da wurden wir | |
| informiert, dass in dem Haus eine Flüchtlingsunterkunft untergebracht | |
| werden soll. Festival absagen, das war unsere erste Reaktion. Doch dann hat | |
| das Rote Kreuz sofort gesagt: ‚Bleibt, das ist doch das Beste, was uns | |
| passieren kann!‘.“ | |
| Und so entstand eines der eigentümlichsten Projekte in diesen Wochen der | |
| „Flüchtlingswelle“ – ein Flüchtlingshaus, in dem Stadttheorie, Kunst, | |
| architektonische Praxis und humanitäre Hilfe zusammenwuchsen. | |
| Elke Rauth ist zusammen mit Christoph Laimer Leiterin des Festivals | |
| „Urbanize“, eines Projekts gesellschaftskritischer Stadtplaner und | |
| -theoretiker rund um die Zeitung Dérive. Dieses Jahr sollten sie ein leeres | |
| Bundesgebäude in der Vorderen Zollamtsstraße in Wien bespielen, da, wo der | |
| dritte Bezirk in die Innere Stadt übergeht. Nur einen Steinwurf entfernt | |
| ist die Universität für Angewandte Kunst, zum Stadtpark sind es bloß ein | |
| paar Meter weiter, die Redaktion der Tageszeitung Der Standard ist quasi im | |
| Nebenhaus. Fünf Stockwerke hat das Haus, das Erdgeschoss sollte | |
| Ausstellungsort, Begegnungszone, Raum für Workshops und Theoriedebatten | |
| sein. Doch dann kamen täglich bis zu 10.000 Flüchtlinge über die Grenze, | |
| und sie mussten alle irgendwo untergebracht werden. Oft nur für ein, zwei | |
| Tage. | |
| „Ich versuch‘ hier gerade einen Dienstplan zu schreiben“, sagt Martina | |
| Burtscher und beugt sich über ein großes Poster mit vielen Linien und | |
| Kästchen. Bis vor Kurzem hat die junge Vorarlbergerin für das Rote Kreuz in | |
| Flüchtlingslagern im Irak gearbeitet, jetzt ist sie die Einsatzleiterin | |
| dieses Notquartieres in der Innenstadt. 1.200 Feldbetten hat die | |
| Rettungsorganisation in den fünf Etagen aufgebaut. Mal platzt das Haus aus | |
| allen Nähten (bis zu 1.500 Leute können sich im Extremfall reinquetschen), | |
| mal sind nur 300 Flüchtlinge im Haus. Martina Burtscher hat tausend Dinge | |
| zu tun und dennoch alles im Griff. Schon wieder so eine tolle Heldin, wie | |
| man sie in diesen Tagen immer wieder trifft, denke ich. | |
| ## Freiwillige Helfer | |
| Dass überhaupt irgendetwas funktioniert, ist den vielen hundert | |
| freiwilligen Helfern zu verdanken. Wir stehen im Büro der Einsatzleiterin. | |
| In einem Vorraum sitzen Flüchtlinge und warten auf ihre erste, | |
| provisorische Registrierung – damit man überhaupt weiß, wer und wie viele | |
| Leute hier sind. „Ich kenne Sie aus dem Kreisky-Forum“, sagt ein Mann zu | |
| mir. Er ist aus dem Iran und hat sich als Farsi-Übersetzer zur Verfügung | |
| gestellt. | |
| Eine Minute später kommt eine Kollegin vom Standard mit ihrem Sohn zur Tür | |
| herein. Sie wird heute hier die Nachtschicht übernehmen, erzählt sie. Paula | |
| läuft vorbei – sie ist die Freundin meines Freundes Joachim, der vor ein | |
| paar Wochen zwei Tage in Bayern in Untersuchungshaft saß, weil er Refugees | |
| von Wien nach Passau chauffierte. Ein großes „Hallo, du auch da?“ ist das. | |
| Irgendwie schräg, denke ich mir – du sitzt im Flüchtlingsheim und kennst | |
| fast jeden. | |
| Mohammed, ein pensionierter Kunst- und Religionslehrer aus der Steiermark, | |
| der hier auch als freiwilliger Helfer arbeitet, klagt, dass man mit der | |
| Registrierung der Flüchtlinge heute kaum vorankäme. So viel Papierkram! | |
| Elke läuft schnell rüber ins Festivalbüro. Irgendwer aus der Kunstcommunity | |
| wird sicher Zeit haben, Mohammed zu unterstützen. Mohammed gefällt, was die | |
| Theoretiker und Architekten hier machen. Er selbst hat, erzählt er, vor | |
| Jahrzehnten in Kairo Design studiert. Er baut und bastelt gern. „Eure | |
| Werkstatt, das ist ja ein Paradies“, lacht er. | |
| Als die Urbanize-Leute erfuhren, dass ihr Festival dieses Jahr quasi Teil | |
| eines Flüchtlingscamps ist, haben sie sich viel ausgedacht, und nicht alles | |
| hat funktioniert. So haben sie sich vorgenommen, neben den Filmen, die zum | |
| offiziellen Festivalprogramm gehören, einfach auch arabischsprachige | |
| Spielfilme zu zeigen. Aber darauf hatte praktisch niemand Lust. Die meisten | |
| Flüchtlinge sind wochenlang unterwegs und hier nur eine Nacht – sie sind | |
| froh, einmal in einem Bett liegen zu können. Kino ist nicht ihr erstes | |
| Bedürfnis. | |
| „Die Flüchtlinge wollen natürlich auch die Aula des Hauses so wenig wie | |
| möglich verlassen. Diese Zone ist der Informationsumschlagplatz. Wenn der | |
| nächste Sonderzug nach München fährt, muss alles ganz schnell gehen. Keiner | |
| will das versäumen.“ | |
| ## Miteinander und Nebeneinander zugleich | |
| Dafür haben ein paar andere Dinge sehr viel besser funktioniert. Über 300 | |
| simple Hocker und Stühle haben Architekturstudenten zusammengeschraubt, | |
| dazu noch andere, sehr funktionale und hübsche Möbel. Die wandern so | |
| langsam durch das Haus. So dominieren nicht kahle Wände und simple | |
| Feldbetten, es entstehen ein paar hübsche Ecken. | |
| Ein Kunstkollektiv hat in zwei Räumen „Pop-up-Spielplätze“ eingerichtet �… | |
| das war eigentlich schon Teil des ursprünglichen Ausstellungskonzeptes, um | |
| zu zeigen, wie temporäre Spielplätze aussehen könnten. Jetzt tollen hier | |
| Flüchtlingskinder herum, die Installation bekommt unverhofft Sinn. | |
| Im Hof, auch das ist Teil des ursprünglichen Festival-Konzeptes, sollten | |
| neue urbane Spiele vorgestellt werden. Eine Art Minigolf etwa, | |
| zusammengestellt aus Trümmern, die man in jedem Baumüllcontainer findet. | |
| Flüchtlingsjungs vertreiben sich hier jetzt die Zeit gemeinsam mit | |
| Ausstellungsbesuchern. Dann baut ein Gruppe junger Leute den Hof zu einer | |
| „Fahrrad-Polo-Arena“ um. Buben aus Syrien jubeln bei jedem Tor. | |
| Am Vortag war im Festivalcafé Party, und es legte eine Wiener DJane mit | |
| libanesischen Wurzeln auf. Die Musik – eine Art Crossover von westlichem | |
| Pop bis arabischer Musik. Nach und nach seien junge Flüchtlingen rüber zur | |
| Künstlerparty gekommen. „Das war die beste Nacht, seitdem ich aus Syrien | |
| weggegangen bin“, sagte einer der jungen Männer. | |
| Es ist ein eigentümliches Miteinander und Nebeneinander zugleich. Der | |
| „Urbanize“-Trakt und der „Flüchtlingstrakt“ sind durch Doppelschwingt�… | |
| getrennt, und es ist natürlich keineswegs so, dass die einen zu den anderen | |
| „wie selbstverständlich“ rübergehen. Es gibt Schwellenangst oder auch so | |
| etwas wie Respekt vor dem Terrain der anderen. „Bewaffne deine Wünsche“ | |
| steht an der Wand in einem Raum, den ein Hamburger | |
| Stadtaktivisten-Kollektiv gestaltet hat. | |
| ## „Großartig ist das“ | |
| Kooperative und solidarische Stadtnutzung, das ist das große Thema des | |
| Festivals – Dérive hat ein eigenes Sonderheft zu „kooperativem Urbanismus�… | |
| herausgebracht. So ist die Praxis, Künstler und Flüchtlinge unter ein Dach | |
| zu bringen, in gewissem Sinn auch ein performativer Versuch, das Thema des | |
| Festivals in der Praxis zu erproben – auch wenn das so niemand geplant hat. | |
| „You Never Walk Alone“ steht an einer anderen Wand. | |
| „Großartig ist das“, sagt Alexander Tröbinger, der Sprecher des Wiener | |
| Roten Kreuzes. Dabei ist die Situation natürlich eine überfordernde. Das | |
| alte Amtshaus ist nicht dafür geeignet, so große Menschengruppen zu | |
| beherbergen. Solange das Haus allein als Notunterkunft für Leute diente, | |
| die nur ein, zwei Nächte hier verbrachten, ging das noch irgendwie. „Aber | |
| jetzt wurde beschlossen, dass zwei Etagen weiter als Notunterkunft, zwei | |
| Etagen aber als langfristige Unterkunft benutzt werden für Leute, die | |
| bereits im Asylverfahren sind.“ Wie will er hier denn schnell Duschen | |
| einbauen? Alexander Tröbinger guckt, selbst fragend: „Keine Ahnung. | |
| Irgendwie werden wir es schon schaffen.“ | |
| Grenzüberschreitung in vielerlei Hinsicht. Dazu zählt, dass das Festival | |
| jetzt offiziell zu Ende ist, aber auf eigentümliche Weise weitergeht. Die | |
| Studierenden der Technischen Universität bauen jetzt Möbel für | |
| Aufenthaltsräume, das Festivalcafé wird zum Teehaus. Die freien | |
| Radiomacher, die bisher „Radio Dérive“ gesendet haben, wollen jetzt mit | |
| jenen Flüchtlingen, die länger im Haus bleiben, Sendungen gestalten. „Ein | |
| Flüchtling, der in Syrien als Friseur gearbeitet hat, hat sich auch schon | |
| gemeldet“, sagt Elke Rauth. Für ihn richten die „kooperativen Stadtplaner�… | |
| jetzt ein Friseurzimmer ein. | |
| 25 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Misik | |
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