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# taz.de -- Abschiebung im Morgengrauen: „Integration erfolgreich vernichtet�…
> Trotz Integration und Arbeitsvertrag wird eine Familie aus Serbien zurück
> auf den Balkan geschickt. Dort drohen den Roma Diskriminierung und
> Gewalt.
Bild: Aleksandra (3. v. l.) im Kreise ihrer Freunde bei der Feuerwehr
HAMBURG taz | Sie wollte in Deutschland Berufsfeuerwehrfrau werden und
wurde von der Jugendfeuerwehr Ditzum sogar schon als Imageträger in einem
Werbefilm eingesetzt. Die 11-jährige Aleksandra hat in ihrer Schule viele
Freunde und spricht akzentfrei Deutsch. Sie und ihre Familie wurden Ende
Dezember trotzdem aus dem niedersächsischen Ditzum im Landkreis Leer nach
Serbien abgeschoben.
Bereits 2014 war die fünfköpfige Familie nach Deutschland gekommen, weil
die Roma in ihrem Heimatland diskriminiert wurden. Ihrem ersten Asylantrag
gab das Bundesamt für Migration nicht statt. Aus Angst vor der Rückkehr
nach Serbien tauchte die Familie in Deutschland zunächst unter, stellte
später aber einen Folgeantrag.
Sie durfte für die Dauer des Verfahrens bleiben. Weil Serbien seit 2014
jedoch als sicherer Herkunftsstaat gilt, wurde die Familie Ende Dezember im
frühen Morgengrauen abgeholt und in ein Flugzeug nach Serbien gesetzt.
## Klarer Fall für den Innenminister
Die Familie habe keinen Anspruch auf Asyl, sagte Niedersachsens
Innenminister Boris Pistorius (SPD) dem NDR. Nach „ganz klarer Rechtslage“
sei nichts anderes als die Abschiebung möglich gewesen. Gegenüber der taz
äußerte sich das Innenministerium bis Redaktionsschluss nicht.
Die niedersächsische Härtefallkommission, die in humanitären Notlagen ein
Bleiberecht von Asylsuchenden erteilen kann, bestätigte die Einschätzung
des Ministeriums. Die Abschiebung sei rechtlich korrekt und der Familie
zumutbar.
Die ethnische Zugehörigkeit der Romafamilie und die damit einhergehende
Diskriminierung durch staatliche Stellen und die Mehrheitsgesellschaft in
den Balkanstaaten bleibt unerwähnt.
## Familienmitglieder wurden angegriffen
Auch Familienmitglieder von Aleksandra wurden in Serbien angegriffen:
„Aleksandras Bruder hat körperliche Gewalt erfahren. Er hat Verbrühungen
und Narben von ausgedrückten Zigaretten an den Armen“, sagt Annelie van
Haren, die die Familie als Integrationslotsin über Monate begleitet hat.
Dabei bemühten sich die Roma in Ditzum darum dazuzugehören und lernten in
Eigeninitiative Deutsch. „Die Familie war gut integriert, die Jungs wollten
eine Ausbildung zum Bäcker absolvieren“, sagt Sven Friebel von der
Jugendfeuerwehr Ditzum, in der Aleksandra aktiv war. „Wir sind alle sehr
bestürzt. Hier wurde Integration erfolgreich vernichtet.“
Sogar ein unterschriebener Arbeitsvertrag als Reinigungskraft in einem
Hotel habe vorgelegen, so van Haren – das Ausländeramt des Landkreises Leer
habe dies jedoch ignoriert.
Dass die Familie aus Ditzum abgeschoben wurde, findet ein Sprecher der
Initiative „Alle bleiben“ vom Roma Center in Göttingen skandalös: „Roma
werden in Serbien attackiert, sie müssen um ihr Leben fürchten“, sagt der
Sprecher, der auch selbst aus Angst vor Anfeindungen seinen Namen nicht
nennen möchte. „Wir verstehen die Politik nicht mehr.“
Zudem sei es besonders schlimm, wenn zwischen integrierten Familien und
solchen, die unter sich blieben, nicht unterschieden werde.
## Härtefall spielt keine Rolle
Im Falle von Aleksandras Familie gibt es weitere Gründe, die gegen die
Abschiebung sprechen: Der taz liegen psychologische Gutachten für drei
Geschwister vor, die ihnen eine Rückkehrunfähigkeit attestieren.
Die zwei Jugendlichen und Aleksandra leiden an posttraumatischen
Belastungsstörungen – hervorgerufen durch ihre Erfahrungen in Serbien. Bei
einer Ausweisung, so heißt es in den Schreiben, bestehe die Gefahr „einer
Verschlechterung des seelischen Gesundheitszustands bis hin zu akuter
Suizidalität“.
Die Härtefallkommission und die Ausländerbehörde hätten den Fall der
Familie genauer prüfen müssen, kritisiert der Sprecher des Roma Centers.
„Dass der Rassismus in Serbien den Behörden nicht bekannt ist, heißt nicht,
dass es ihn nicht gibt.“
25 Jan 2016
## AUTOREN
Nils Reucker
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Niedersachsen
Abschiebung
Roma
Boris Pistorius
sichere Herkunftsländer
Abschiebung
Sinti und Roma
Roma
Sinti und Roma
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
Schwerpunkt Flucht
Abschiebung
Lesestück Recherche und Reportage
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