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# taz.de -- Verschärfung des Asylrechts: „Es ist ein Anti-Roma-Gesetz“
> Rudko Kawczynski vom „Rom und Cinti Union e.V.“ über die drei neuen
> sicheren Herkunftsstaaten, eine mögliche Klage und deutsche
> Vernebelungstaktiken.
Bild: „Jeder Mensch, der aus triftigen Gründen seine Heimat verlässt, hat n…
taz: Herr Kawczynski, die Bundesregierung will jetzt weitere Balkan-Länder
zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklären, namentlich Albanien, Montenegro
und das Kosovo. Was halten Sie davon?
Rudko Kawczynski: Wir werden dagegen klagen und, wenn es sein muss, bis vor
das Verfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
ziehen. Denn damit wird die Genfer Flüchtlingskonvention ausgehebelt.
Welchen Unterschied macht es, wenn ein Land zum sicheren Herkunftsstaat
erklärt wird? Kann man gegen einen abgelehnten Asylentscheid nicht immer
noch Widerspruch einlegen?
Die Leute, die über die Asylanträge entscheiden, sind keine Richter, sie
handeln nach Vorschrift. Indem sie das Verfahren auf diese Weise verkürzt,
will die Bundesregierung verhindern, dass unabhängige Gerichte diese
Entscheidungen kontrollieren und überprüfen – und eventuell zu einem
anderen Ergebnis kommen.
Die Bundesregierung argumentiert, dass aus diesen Ländern kaum jemand
Anspruch auf Asyl habe, die vielen Antragsteller aber die Behörden
überlasten und man den Platz für andere Flüchtlinge brauche. Ist das nicht
nachvollziehbar?
Nein. Wir schaffen ja auch nicht die Polizei ab, wenn sie überlastet ist.
Jeder Mensch, der aus triftigen Gründen seine Heimat verlässt, hat nach der
Genfer Flüchtlingskonvention ein Anrecht auf Schutz. Das neue Gesetz
erlaubt, willkürlich bestimmte Gruppen auszusieben und nur die Gruppen
dazubehalten, die genehm sind. Es gibt bei den Anhörungen meistens keine
Übersetzung in Romanes. Diese Verfahren sind völkerrechtswidrig. Es ist ein
Anti-Roma-Gesetz, auch wenn das keiner so offen sagt. Man redet vom
westlichen Balkan, aber meint die Roma. Das ist reine Vernebelungstaktik.
Aber darin sind wir Deutschen traditionell gut.
Asylbewerber sollen künftig bis zu ihrer Abschiebung in den
Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben und dort nur noch Sachleistungen
erhalten. Die Bundesregierung erhofft sich davon einen Abschreckungseffekt:
dass weniger Flüchtlinge kommen, die keine Aussicht auf Asyl haben. Ist das
realistisch?
Alle internationalen Organisationen – ob OSZE, Europarat oder Amnesty
International – berichten über die institutionelle Diskriminierung und
rassistische Verfolgung der Roma, insbesondere in Osteuropa. Doch statt
Druck auf diese Länder auszüben, stellt Deutschland ihnen jetzt einen
Persilschein aus. Und es zwingt Länder wie Mazedonien und Serbien dazu,
ihre Roma an den Grenzen gezielt auszusieben und dafür zu sorgen, dass sie
nicht aus ihren Ländern ausreisen – das ist ein neuer Eiserner Vorhang,
aber nur für eine bestimmte Gruppe. Wenn das keine politische Verfolgung
ist, was dann?
Die EU hat diverse Strategien entwickelt, um die Lage der Roma in ihren
Herkunftsländern zu verbessern. Warum haben sie so wenig gebracht?
Deutschland hat mitgewirkt an der Zerstörung Jugoslawiens. Nach dem Krieg
sind dort lauter ethnisch definierte Nationalstaaten entstanden, zuletzt im
Kosovo. Schon damals hätte Deutschland aufstehen und fragen müssen, was mit
den vier Millionen Roma ist – wie sie gleichberechtigt und in vernünftigen
Positionen an der Regierung beteiligt werden. Was wir erleben, sind die
Nachwehen dieser Geschichte. Bis heute versuchen diese Staaten, ihre Roma
loszuwerden.
Muss Deutschland deshalb alle Roma aus Osteuropa aufnehmen?
Der Umgang mit den Roma ist ein Lackmustest dafür, ob die Deutschen aus
ihrer Vergangenheit gelernt haben oder nicht. Aber die deutsche
Vergangenheitsbewältigung ist schizophren. In Deutschland gab es einmal
Abschiebezentren für Juden aus Osteuropa. Jetzt gibt es in Bayern ein
Abschiebelager für Roma. Die Roma sind die größte Minderheit in Europa.
Aber sie haben keinen eigenen Staat und darum keine Lobby. Das ist das
Problem.
Welche Möglichkeiten hätte Deutschland denn, Druck auf diese Länder
auszuüben, die Rechte ihrer Roma-Minderheiten zu achten?
Wo Menschenrechte verletzt werden, muss das angeprangert werden. Und die
Roma-Organisationen müssten politisch und finanziell unterstützt werden,
damit sie in ihren Ländern politische Verantwortung übernehmen können. Hier
eine kleine Schule und da ein kleines Projekt fördern – das sind nur
Tropfen auf den heißen Stein. Aber wenn wir diesen Staaten jetzt quasi
einen Persilschein ausstellen, indem wir sie „sicher“ nennen, sagen wir:
Das Problem ist nicht, dass die Roma in diesen Ländern ausgegrenzt werden.
Wir sagen: die Roma sind eben integrationsunfähig und selbst schuld an
ihrem Schicksal. Das ist ein tödliches Signal. Wir sollten diesen Staaten,
die um Aufnahme in die EU bitten, sagen: so lange ihr die Roma ausgrenzt,
so lange kommt ihr nicht in die EU - aber wir nehmen die Roma auf, die ihr
verfolgt. Statt dessen passiert das Gegenteil.
Überschätzen sie nicht die Möglichkeiten der EU, Druck auf diese Länder
auszuüben? Selbst in Bulgarien und Rumänien, die inzwischen zur EU gehören,
ist die Lage der Roma beklagenswert.
Im Zuge der Aufnahmeverhandlungen dieser Länder gab es positive Ansätze –
Roma haben sich politisch organisiert, die Regierungen haben hingehört.
Aber das wurde nicht konsequent weiter verfolgt. Und kaum, dass ihre
Staaten in der EU waren, hat sich das Blatt für die Roma wieder gewendet:
Ihre Grundstücke wurden enteignet und sie wurden aus den Stadtzentren
vertrieben – um die Innenstädte aufzuwerten, wie es hieß. So sind sie
gezwungen, nach Deutschland auszuwandern, wo sie zu Hungerlöhnen für
Sklavenarbeiten heran gezogen werden. Und die deutsche Wirtschaft
profitiert davon.
16 Oct 2015
## AUTOREN
Daniel Bax
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Sinti und Roma
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