# taz.de -- Neue Zerreißprobe auf dem Balkan: Offener Machtkampf im Kosovo | |
> Die Annäherung an die EU mag noch mehrheitsfähig sein. Doch aufgezwungene | |
> Privilegien für die serbische Minderheit empören die Opposition. | |
Bild: Im Parlament in Prishtina zünden Abgeordnete am 23. Oktober Tränengas, … | |
SARAJEVO taz | Zwar muss das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der | |
EU mit Kosovo noch vom EU-Parlament gebilligt werden, doch es ist sehr | |
wahrscheinlich, dass es noch im ersten Halbjahr 2016 in Kraft treten kann. | |
Damit verpflichtet sich Kosovo, EU-Standards bei der Regierungsführung und | |
für die Zivilgesellschaft einzuhalten. | |
Die Justiz soll reformiert, die Korruption und organisierte Kriminalität | |
sollen bekämpft, demokratische Standards wie die Menschenrechte sollen | |
eingehalten werden. Das Land hofft nun auch auf ausländische Investitionen | |
und ein Handelsabkommen. | |
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini war nach der Unterzeichnung des | |
Abkommens am Dienstag in Straßburg voll des Lobes und erklärte, das | |
Abkommen sei „ein wichtiger Beitrag für Stabilität und Wohlstand in Kosovo | |
und in der Region als Ganzes“. | |
Der kosovarische Regierungschef Isa Mustafa sieht sein Land jetzt schon auf | |
dem Weg in „Richtung Mitgliedschaft“ in der EU und hofft auf die Aufhebung | |
des Visazwangs. Doch dazu müssen noch große Hindernisse für Kosovo | |
beseitigt werden. | |
## Sechs Prozent der Bevölkerung sind Serben | |
Obwohl sich im Land noch immer europäische Truppen (Eufor) und dazu die | |
Rechtstaatsmission Eulex mit ihren 1.700 Mitarbeitern befinden, ist es | |
bisher nicht gelungen, eine tragfähige Visaregelung für Kosovo zu | |
erreichen. Fast acht Jahre nach der formellen Unabhängigkeitserklärung des | |
Landes von Serbien im Februar 2008 und der seither erfolgten diplomatischen | |
Anerkennung von mehr als 100 Staaten der Welt darf die 1,8 Millionen | |
Menschen zählende Bevölkerung nur mit Visa in das Europa der EU reisen. Bei | |
allen anderen Ländern des westlichen Balkan wurde in den letzten Jahren | |
sukzessive der Visazwang aufgehoben. | |
Doch angesichts der Flüchtlingskrise und der Tatsache, dass fünf EU-Staaten | |
– Griechenland, Rumänien, Spanien, die Slowakei und Zypern – und der | |
wichtigste Nachbar Serbien das Land nicht diplomatisch anerkannt haben, | |
wird es in Brüssel schwierig werden, diese Forderung umzusetzen. Überdies | |
hat die EU die Regierung Kosovos gezwunge, ein Abkommen mit Serbien zu | |
schließen, das der serbischen Minderheit im Lande mit einer ganz | |
überwiegend albanischen Bevölkerung große politische und territoriale | |
Rechte einräumt. | |
So kontrollieren die 6 Prozent Serben über 23 Prozent des ohnehin winzigen | |
Territoriums. Die verstreut liegenden serbischen Gemeinden haben das Recht, | |
sich zu einem Verbund zusammenzuschließen, der über ein eigenes Parlament | |
verfügen soll. Die territorialen und politischen Konzessionen, die den | |
Kosovaren mit Hilfe der EU bei den Verhandlungen mit Serbien abgerungen | |
wurden, bilden nun den Zündstoff für harte innenpolitische | |
Auseinandersetzungen. | |
## Heftige Proteste im Parlament | |
Regierungschef Mustafa mußte Ende September im kosovarischen Parlament eine | |
Rede abbrechen, weil er mit Eiern beworfen wurde. Die Opposition | |
organisierte militante Demonstrationen, hat erst am letzten Freitag und | |
Samstag das Parlament mit Tränengas lahmgelegt, Demonstranten warfen Steine | |
auf die Polizei und steckten Autoreifen in Brand. Nur unter Polizeischutz | |
konnte ein Rumpfparlament zu einer improvisierten Nachtsitzung in einem | |
Nebenraum zusammenkommen, um das Abkommen zu beschließen. | |
An der Notsitzung nahmen lediglich die Abgeordneten der Regierungsparteien | |
teil. Die Opposition will damit die Regierung zwingen, das Abkommen über | |
die serbischen Gemeinden im Lande zurückzuziehen. Triebkraft der Opposition | |
ist die Partei Vetevendosje „Selbstbestimmung“, die in der Hauptstadt | |
Prishtina den Bürgermeister stellt und drittstärkste Partei im Parlament | |
ist. | |
Die Bewegung von vorwiegend jungen Leuten unter der Führung des ehemaligen | |
Studentenführers Albin Kurti fürchtet die Etablierung einer serbischen | |
Teilrepublik wie in Bosnien und Herzegowina. Verstärkt wird Vetevendosje | |
jetzt durch die Anhänger der in Westkosovo verankerten Partei AAK des | |
ehemaligen UCK-Guerrilla Kommandeurs Ramush Haradinaj, der nun offen mit | |
seinem alten Rivalen, dem ehemagigen UCK-Führer und jetzigen Aussenminister | |
Hashim Thaci, abrechnen will. | |
29 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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