# taz.de -- Homophobie im Kosovo: Sie sind doppelt eingesperrt | |
> Im Kosovo gewährt die Verfassung Schwulen und Lesben viele Rechte. | |
> Tatsächlich können sie sich nicht einmal gefahrlos auf der Straße küssen. | |
Bild: Wie soll man im Kosovo Frühlingsgefühle entwickeln, wenn man als Frau F… | |
Adnan Rahmani hat sich frisch rasiert und einen guten Weißwein kühl | |
gestellt. Zur Sicherheit auch Apfelcider, denn er weiß nicht, was sein Date | |
gerne trinkt. Sie treffen sich heute zum ersten Mal. Seit einigen Tagen | |
haben sie sich bei Grindr geschrieben. „Top4Bottom“ nennt er sich in der | |
App, eine Anspielung auf seine sexuelle Vorliebe. | |
Alle drei Wochen lässt er einen anderen Mann in seine 3-Zimmer-Wohnung in | |
Prishtina. Seine Dates sind Routine. Die Kerzen im Wohnzimmer. Die Getränke | |
im Kühlschrank. Die Unsicherheit, ob der andere ganz anders aussieht als | |
auf den Fotos. Er trägt gerade sein Parfum auf, als es klingelt. Ein | |
letzter Blick in den Spiegel: kleine Statur, breite Nase und kurze, | |
gewellte Haare. Strickjacke zu Jeans. 33 Jahre alt, fünf Fremdsprachen, | |
Besserverdiener. In seiner Firma ist er der erfolgreiche Manager, der keine | |
Frau hat, weil er viel im Ausland unterwegs ist. Nur in seiner Wohnung ist | |
Adnan Rahmani schwul. | |
Gleichgeschlechtliche Liebe ist im Kosovo tabu. Selbst in der Hauptstadt | |
Prishtina gibt es keine einzige Schwulenbar, noch nie fand dort eine | |
Gay-Pride-Parade statt. Konservative und homophobe Denkweisen sind in der | |
Gesellschaft weit verbreitet. Das ist die eine Seite. | |
Die andere Seite ist die neue Verfassung. Als einzige in Osteuropa | |
verbietet sie die Diskriminierung wegen sexueller Orientierung. Was das | |
Kosovo zumindest auf dem Papier zu einem Vorzeigestaat für die sogenannte | |
LGBT-Community macht, also für Lesben, Schwule, Bisexuelle und | |
Transgender-Personen. | |
## Eine richtige Beziehung – und mehr Rechte | |
Wenn man in Prishtina den Widerspruch zwischen politischem Anspruch und | |
Lebenswirklichkeit ergründen möchte, trifft man auf schönfärbende | |
Polizisten, hoffnungsvolle Regierungsvertreter und LGBT-Aktivisten in | |
Angst. Man muss sich ins Nachtleben stürzen, Menschen in Hotelzimmern | |
treffen, auf Hausdächern, Kellerpartys und beim Spazierengehen. Viele sagen | |
ab, bevor es zu einem Treffen kommt. Sie rufen nie mehr zurück oder | |
blockieren einen auf Facebook. Andere reden zum ersten Mal ganz offen. Weil | |
die Betroffenen Angst haben, erkannt zu werden, sind ihre Namen in dieser | |
Geschichte geändert. | |
In Prishtina herrschen Frühlingstemperaturen, obwohl der März gerade erst | |
begonnen hat. Das Semester ist zu Ende, im Café Half and Half sitzt die | |
Gay-Clique der Stadt bei Espresso und Zigaretten zusammen und entspannt | |
sich von ihrer Prüfungswoche. Einige studieren Kunst, andere Soziologie | |
oder Grafikdesign. Sie sind beliebt, auf Facebook liken viele ihre neuen | |
Profilbilder. Aber ihr wahres Leben kennen die meisten nicht. | |
Alle, die hier draußen sitzen, sind ungeoutet. Da ist Tarik Kastrati, 21, | |
der seine muslimischen Eltern nicht enttäuschen will, die in einem Dorf, | |
eine Dreiviertelstunde von Prishtina entfernt, leben. Seine ruhige Art | |
scheint nicht zu seiner aufgedrehten besten Freundin zu passen. Sara | |
Rexhepi wird häufig von ihren Schwestern und Cousinen nach ihrem | |
Liebesleben gefragt. Dann lügt sie und behauptet, dass Tarik ihr fester | |
Freund sei. Ihre Exfreundin sitzt mit am Tisch. Deren Eltern wissen, dass | |
sie eine Affäre mit einer Schauspielerin hatte. Sie sind beruhigt, als sie | |
ihnen versichert hat, dass sie bisexuell ist. | |
Am Wochenende werden einige von ihnen zu ihren Eltern aufs Land fahren, | |
darüber reden sie jetzt. Sie werden sich wieder verstellen müssen. „Sie | |
werden mich mit Sicherheit wieder fragen, warum ich noch keine Frau habe“, | |
sagt Tarik Kastrati. „Manchmal wünsche ich mir, ich könnte meine Gefühle | |
löschen.“ | |
Das Café liegt direkt am Boulevard im Zentrum, eine etwa 500 Meter lange | |
Fußgängerzone, mit hellen Steinen neu gepflastert. Das spiegelverglaste | |
Regierungsgebäude glitzert in der Sonne. Das Zentrum wirkt ziemlich chic im | |
Vergleich zu den Randbezirken. In den dunkelbraunen Betonbauten rund um den | |
Boulevard, die für die Interimsverwaltung errichtet wurden, sitzen heute | |
Mitarbeiter von EU, Nato und UN. Ein Reiterdenkmal aus Bronze erinnert an | |
den blutigen Konflikt zwischen Serben und Albanern. | |
## Einfach mal weg, das ist nicht möglich | |
Viele Familien sind wegen des Krieges ins Ausland geflüchtet. Die jungen | |
Erwachsenen, die geblieben sind, wollen nach europäischen Werten leben – | |
und sie wollen reisen. Aber für einige Monate einfach so nach Berlin oder | |
Wien fahren ist nicht drin. Kosovo ist das einzige Land auf dem Balkan ohne | |
Visumliberalisierung. Die Jugend fühlt sich von westlichen Politikern | |
bevormundet und gleichzeitig von Europa isoliert. Wer homosexuell ist, | |
fühlt sich doppelt eingesperrt: im eigenen Land und in der Scheinwelt, die | |
man der Familie vorspielt. | |
Die Gay-Clique im Café unterscheidet sich in zwei Punkten von Adnan | |
Rahmani, dem Mann, der auf Grindr nach anderen Männern sucht: Sie wollen | |
eine richtige Beziehung. Und sie wollen, wenn auch zaghaft, für ihre Rechte | |
kämpfen. Deswegen haben sie auch etwas von CEL gehört, dem Center for | |
Equality and Liberty. Es ist eine von drei NGOs in Prishtina, die sich für | |
die LGBT-Community einsetzt, finanziert von einer schwedischen | |
Bürgerrechtsorganisation. Ihr Büro ist ein geschützter Ort, an dem man | |
offen über seine Probleme sprechen kann. Aus Angst vor Anfeindungen wird | |
die Adresse nicht im Internet veröffentlicht. Kommt man zum ersten Mal | |
vorbei, fühlt es sich an, als tue man etwas Illegales wie Drogen kaufen. | |
Vom Balkon schaut eine Frau herunter auf die Straße. „3. Stock, letzte | |
Tür“, sagt ihre Stimme am Telefon. Rajmonda Sylbije heißt sie, sie ist eine | |
von sieben festen Mitarbeitern in der hellen 3-Zimmer-Wohnung. Ein | |
Alarmknopf ist hier installiert, mit dem man direkt die Polizei rufen kann. | |
Zudem tragen einige Mitarbeiter Armbanduhren, die im Notfall Signale an die | |
Partnerorganisation in Stockholm sendet. Sie haben Angst. | |
Angst, dass noch einmal so etwas passiert wie im Dezember 2012. Prishtina | |
wurde damals von mehreren homophoben Attacken erschüttert. Das | |
Gesellschaftsmagazin Kosovo 2.0 beschäftigte sich in einer Ausgabe mit | |
homosexuellen Lebensweisen. Dass die Release-Party öffentlich angekündigt | |
wurde, war ein Fehler. Hooligans und radikale Islamisten stürmten die | |
Veranstaltungen, zerstörten die Einrichtung, verfolgten Mitglieder der | |
LGBT-Community bis zu ihrer Haustür und verprügelten sie. | |
Rajmonda Sylbije findet, dass man sich trotzdem nicht verstecken darf. Sie | |
ist eine der wenigen Mitarbeiter, die auch in öffentlichen Diskussionen | |
dazu steht, dass sie lesbisch ist. Jeden Nachmittag von Montag bis Freitag | |
sitzt sie in der Küche und hilft jungen Leuten bei ihrem Outing. „Das | |
größte Problem“, sagt sie, „ist nicht die Politik, sondern die eigene | |
Familie.“ | |
## Homosexualität sei importiert, glauben viele | |
Die Großfamilie stellt im Kosovo, wo die Jugendarbeitslosenquote 60 Prozent | |
beträgt und der Sozialstaat wenig ausgebaut ist, das wichtigste soziale und | |
finanzielle Netz dar. „Vor allem für Männer besteht ein hoher | |
gesellschaftlicher Druck, ab einem gewissen Alter verheiratet zu sein“, | |
sagt Rajmonda Sylbije. Sie und ihre Kollegen kennen viele homosexuelle | |
Männer, die unglücklich mit Frauen verheiratet sind, statt offen mit ihrer | |
Familie zu sprechen. | |
In einer Studie hat die NGO untersucht, wie das nahe Umfeld von Menschen | |
auf ihr Outing reagieren würde. Das Ergebnis ist ziemlich homophob. Fast | |
die Hälfte der Befragten würde versuchen, ihr Kind zu heilen. Denn, so die | |
Ansicht, eine „normale Familie“ könne keine homosexuellen Kinder | |
hervorbringen. | |
„Kennt ihr eigentlich Queer as Folk?“, fragt Rajmonda Sylbije in der Küche | |
ihrer NGO. „Das ist eine schwul-lesbische Serie aus Kanada, die es 2005 in | |
einigen Läden von Prishtina zu kaufen gab. Damals ging das Gerücht, dass es | |
die DVD nur ins Kosovo geschafft habe, weil hier amerikanische | |
Nato-Soldaten stationiert sind.“ Homosexualität, glaubt gut ein Drittel der | |
Kosovaren, wurde aus dem Wesen importiert. | |
Prominente Schwule oder Lesben, seien es Sportler, Politiker oder Sänger, | |
gibt es im Kosovo nicht. Dafür aber ein klassisches Rollenbild, geprägt von | |
männlicher Dominanz und Sexismus. In jedem Bus und jedem Café laufen | |
Musikvideos, in denen halb nackte Frauen mit zu kurzen Röcken und zu viel | |
Make-up um posierende Männer tänzeln. | |
Die gesellschaftliche Tabuisierung führt dazu, dass Übergriffe auf die | |
Community nicht bei der Polizei angezeigt werden. Bis heute kam es nur | |
einmal zu einem Gerichtsverfahren, und zwar im Fall des Magazins Kosovo 2.0 | |
im Jahr 2012. „Die Menschen haben kein Vertrauen in Kosovos korrupte | |
Justiz“, sagt Rajmonda Sylbije. Sie weiß von vielen Betroffenen, die | |
herumgeschubst, als „Pederr“, „dreckige Schwuchtel“, beschimpft und | |
geschlagen wurden. Und die dann nicht zur Polizei gehen, weil dann nur die | |
Familie dumme Fragen stellt. | |
## Dunkelziffer? Davon will er nichts wissen | |
Der Mann, der die LGBT-Fälle betreut, stellt sich als Captain Salih | |
Dragidela vor. Er ist um die 50, ein kleiner und glatzköpfiger Polizist, | |
der schon bei der jugoslawischen Polizei gearbeitet hat und seit 2007 | |
LGBT-Beauftragter der städtischen Polizei ist. „Vor zehn Jahren“, sagt er, | |
während er die Türe zum Verhörzimmer öffnet, „hat mein Chef in der | |
Öffentlichkeit gegen Schwule gewettert.“ Das sei heute im Polizeiapparat | |
nicht mehr geduldet, betont er stolz. | |
Er holt zwei zusammengeheftete DIN-A4-Seiten aus einer Mappe: Auf diesen | |
sind alle LGBT-feindlichen Taten seit 2012 vermerkt. 14 Fälle. Bei der | |
Hälfte geht es um Onlinemobbing. In einem wurde Vandalismus angezeigt, zwei | |
dokumentieren Fälle von physischen Übergriffen. Ansonsten geht es um Fotos, | |
die zur Erpressung an Eltern weitergeschickt werden. Dunkelziffer? Davon | |
will Dragidela nichts wissen, das Kosovo sei ein fortschrittliches Land. | |
Die Gesellschaft mag in der Tradition verharren, die Strafverfolgung | |
lahmen, aber zumindest die Politik hat erkannt, dass sich etwas ändern | |
muss. Seit Ende 2013 arbeitet Habit Hajredini im Zimmer 602 des | |
spiegelverglasten Regierungsgebäudes mit Blick über die Plattenbauten, | |
Moscheen und die schiefen Strommasten der Stadt. Auf seinem Schreibtisch | |
steht ein Hochzeitsfoto, das ihn mit seiner Frau im roten Kleid zeigt. | |
Nach den Angriffen auf das Magazin Kosovo 2.0 wurde der | |
Regierungsmitarbeiter so etwas wie der oberste LGBT-Lobbyist in der | |
Politik. Er ist Direktor der Abteilung „Good Governance“, so steht es auf | |
seiner Visitenkarte, dem Premierminister unterstellt. Gerade arbeitet seine | |
Abteilung an einer Kampagne, die erstmals Männer mit Männern und Frauen mit | |
Frauen zeigen soll. Das Büro 602 hat viel mit der NGO CEL gemein: Hier wird | |
zaghaft und vorsichtig gearbeitet. | |
Mit all seinen wirtschaftlichen Problemen sei das Kosovo einfach noch nicht | |
reif für die Homo-Ehe, sagt Hajredini. Wichtiger sei es jetzt, die | |
Gesellschaft stückchenweise mit einer neuen Realität vertraut zu machen, so | |
wie man einen bissigen Straßenköter mit Häppchen füttert. Mit | |
TV-Diskussionen und Märschen gegen Homophobie zum Beispiel. „Und Bildung“, | |
sagt Hajredini, „spielt die wichtigste Rolle“. Tarik Kastrati, der zum | |
Übersetzen mitgekommen ist, hebt eine Augenbraue. „Kennen Sie das Buch | |
‚Kriminologija?‘ “ fragt er. Wer an der Universität Prishtina Jura | |
studiert, bereitet sich damit auf seine Prüfungen vor. Der Professor, der | |
es geschrieben hat, bezeichnet Homosexualität in diesem Werk als Krankheit. | |
„Und das ist das Standardwerk im Studium“, sagt Tarik. „Ich weiß“, sagt | |
Hajredini und wirkt plötzlich ein wenig hilflos. | |
## Ist die Homo-Ehe nun erlaubt? | |
Eines steht zweifellos fest: Homosexualität ist im Kosovo legal. Ob die | |
Homo-Ehe erlaubt ist, da gehen die Interpretationen aber auseinander. Die | |
Verfassung von 2008 spricht von einer Ehe zwischen zwei Individuen. Demnach | |
dürfen also auch Homosexuelle heiraten. Aber das vom Parlament bereits im | |
Jahr 2006 verabschiedete Familiengesetz erlaubt die Homo-Ehe explizit | |
nicht. Das ist der Grund, warum heute kein einziges gleichgeschlechtliches | |
Paar in einer eingetragenen Partnerschaft oder Ehe lebt. | |
Das Familiengesetz ist also nicht verfassungskonform. Man könnte es | |
anfechten und müsste notfalls bis zum Europäischen | |
Menschenrechtsgerichtshof ziehen. Der Präsident des kosovarischen | |
Verfassungsgerichtshofs sagte kürzlich auf einer Konferenz, dass man einen | |
solchen Kampf nur gewinnen könne. Probiert hat es noch niemand. | |
„Wir alle warten auf das erste homosexuelle Paar im Standesamt“, sagt | |
Petrit Selimi in seinem Büro im Außenministerium. Er hat die Hände in | |
seinem grauen Anzug vergraben, auf dem Schreibtisch steht ein Roboter aus | |
Legosteinen. Selimi ist stellvertretender Außenminister, sein Vorgänger | |
Hashim Thaçi wurde vor Kurzem zum Präsidenten gewählt, deshalb führt | |
Selimi, gerade 36 Jahre alt, jetzt die Amtsgeschäfte. Er betont gern die | |
liberale Seite seines Landes. | |
Sein Ministerium hat eine Broschüre herausgebracht: „It’s okay to be gay in | |
Kosovo“, steht darin. Auf Twitter schreibt er, wie offen das Kosovo mit | |
Homosexualität umgeht. Am Tag gegen Homophobie etwa, als das | |
Regierungsgebäude in den Regenbogenfarben erstrahlte. Er nahm als einer von | |
wenigen Politikern an einer Demo gegen Homophobie teil. | |
Selimi ist Teil der Generation die sich zwischen Sozialismus, Krieg und | |
Europa ihren Platz erkämpfen musste. Er findet, dass die LGBT-Community | |
dasselbe für ihre Rechte tun muss: Kämpfen! Er spricht aus, wovor Habit | |
Hajredini sich drückt: Die aktuelle Regierung wird das Familienrecht nicht | |
an die Verfassung angleichen. „Denken Sie, dass man mit so etwas im Kosovo | |
Stimmen gewinnt?“, fragt Selimi. Die Realpolitik ist weit weniger | |
fortschrittlich als seine wohlklingenden Tweets. | |
## „Hallo, ich würde gerne heiraten“ | |
Sara Rexhepi findet, dass man die Diskussion gar nicht auf die Frage der | |
Homo-Ehe verengen darf. „Ich weiß nicht einmal, ob ich heiraten will“, sagt | |
sie und zieht ihre Kapuze über die roten Haare. Es ist Samstagabend. Kalte | |
Luft stößt ihr entgegen, während sie mit Tarik aus dem Dachbodenfenster | |
klettert. Die Stadt treibt vor ihnen wie ein Lichtermeer. Bei Nacht sehen | |
Prishtinas Plattenbauten wie Luxuswolkenkratzer aus. „Fast wie die Skyline | |
von New York“, witzelt Tarik Kastrati. | |
Er hat dort für einen Sommer gelebt, aber ist froh, wieder hier zu sein. | |
„Wegen des Essens“, sagt er, „aber auch wegen der Geselligkeit, die es im | |
Kosovo gibt.“ Hier in Prishtina ist man immer unter Menschen – und trotzdem | |
allein. Über seine Zukunft mit einem Mann spricht er nur mit Sara und nicht | |
mit den Mitbewohnern, die vier Stockwerke unter ihnen Playstation zocken. | |
Beide haben die Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, einen Partner zu | |
finden, gerade wenn man keine Lust auf Dating-Apps hat. „Morgen Abend zum | |
Beispiel“, sagt Sara Rexhepi, „schmeißen wir eine Party und müssen uns | |
verstellen, weil auch viele Kommilitonen kommen oder Freunde aus den | |
Dörfern, wo unsere Eltern wohnen.“ Ein einziger Kuss könnte die Fassade | |
zerstören. | |
Am Montag darauf regnet es ohne Unterlass. Tarik Kastrati ist verkatert. Er | |
hat nach der Party bis früh am Morgen im „Megaherz“ getanzt, einem | |
angesagten Club, Sara Rexhepi hat Pillen eingeworfen, MDMA, und vor allen | |
Gästen ein Mädchen geküsst. Alle haben applaudiert. Frauen haben es im | |
Kosovo viel leichter als Männer. Wenn sich zwei Frauen küssen, ist das | |
heiß. Wenn zwei Männer miteinander tanzen, ist das abnormal. | |
Während Sara Rexhepi den Tag im Pyjama verbringt, stapft Tarik Kastrati auf | |
das Standesamt der Stadt zu. Gegen zwanzig vor zehn zieht er die Nummer | |
0166. Er wartet zwischen vielen anderen Menschen. Er ist nervös, obwohl die | |
Aktion nur ein Experiment ist. Am Schalter Nummer eins sagt er: „Hallo. Ich | |
würde gerne heiraten“. Die Beamtin mustert seinen männlichen Begleiter. Sie | |
ist irritiert, blickt hilfesuchend zu den Kollegen. „So etwas“, sagt sie, | |
„ist im Kosovo nicht möglich.“ | |
17 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Franziska Tschinderle | |
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