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# taz.de -- Neues Bleibe- und Abschieberecht: Schneller und mehr ausweisen
> Der Bundestag beschließt Änderungen im Bleibe- und Abschieberecht. Der
> Bundesgerichtshof hatte Neuregelungen gefordert.
Bild: Hier der Gesetzestext im Wortlaut.
Berlin taz | Die schwarz-rote Regierung in Berlin verschärft die
Aufenthaltsbedingungen Tausender in Deutschland lebender Flüchtlinge und
Migranten: Mit zahlreichen gesetzlichen Neuregelungen will die Koalition am
Donnerstag das Bleibe- und Abschieberecht neu regeln. Die Folge: Bestens
integrierte Ausländer können künftig mit einigen Erleichterungen im
Bleiberecht rechnen. Vor allem aber können die Behörden in Zukunft
wesentlich leichter und umfassender gegen jene Ausländer vorgehen, die
keinen gültigen Aufenthaltstitel haben.
Hintergrund der Neuregelung ist laut Bundesinnenministerium ein
„erhebliches Vollzugsdefizit“ bei der Aufenthaltsbeendigung. Übersetzt:
Bislang schieben Behörden nicht fleißig genug ab. Laut
Bundesinnenministerium ist es rechtsstaatlich unbefriedigend, dass im
Moment nur „bei einem sehr kleinen Teil der vollziehbar Ausreisepflichtigen
die Ausreisepflicht auch tatsächlich durchgesetzt wird“.
Im Juni 2014 hatte der Bundesgerichtshof weite Teile der in Deutschland
praktizierten Abschiebehaft für rechtswidrig erklärt. Seitdem sind die
Abschiebegefängnisse wesentlich leerer. Die Bundesregierung behauptet nun,
die damals entstandene Lücke jetzt schließen zu wollen. Kritiker sehen in
dem Gesetz jedoch auch erhebliche Verschärfungen.
So sollen Ausländerbehörden künftig etwa mit einem neu geschaffenen
„Ausreisegewahrsam“ Flüchtlinge zu deren einfacherer Abschiebung bis zu
vier Tage lang festnehmen können. In der Vergangenheit durften Ausländer,
die nicht von den Behörden „geduldet“ sind, im Rahmen der Abschiebehaft
auch schon festgesetzt werden. Allerdings mussten dafür weitere Gründe
vorliegen. Hierbei wurde zumeist das Argument der Fluchtgefahr
herangezogen.
## Mehr Wiedereinreiseverbote
Mit dem neu geschaffenen Ausreisegewahrsam entfallen solche weiteren
Gründe. Hier reicht es im Wesentlichen, dass die Ingewahrsamnahme die
Abschiebung vereinfachen kann.
Die Koalition argumentiert u. a. damit, dass damit künftig die – von vielen
Flüchtlingsinitiativen als unmenschlich bezeichneten – Nachtabholungen von
Familien vermieden werden könnten.
Zahlreiche weitere Regelungen sollen Flüchtlingen ohne gesicherten
Aufenthaltsstatus das Leben schwerer machen. So können etwa Datenträger von
Ausländern ausgewertet werden, um deren Identität und Staatsangehörigkeit
zu ermitteln. Die Behörden sollen etwa Zugriff auf Handys und Smartphones
von Ausländern erhalten, um Hinweise auf deren Herkunftsländer zu bekommen
– zum Beispiel, indem sie die Telefonverbindungen auswerten dürfen. Auch
soll die Abschiebung erleichtert werden, indem Staatsanwaltschaften künftig
bei bestimmten Ermittlungen außen vor gelassen werden sollen: Ermittlungen
aufgrund aufenthaltsrechtlicher Straftaten braucht die Staatsanwaltschaft
nicht mehr zuzustimmen.
Wiedereinreiseverbote sollen ebenfalls leichter ausgesprochen werden
können. Damit sollen Menschen effektiver daran gehindert werden, wiederholt
angeblich aussichtslose Asylanträge in Deutschland zu stellen. Das richtet
sich etwa gegen „Personen aus Staaten des Westbalkans“, wie es beim
Innenministerium heißt. Gemeint sind vor allem Sinti und Roma.
Besonders hart dürfte nicht geduldete Flüchtlinge jedoch die äußerst weit
gefasste Neubestimmung von Indizien treffen, anhand deren eine Fluchtgefahr
erkannt werden soll. Dabei geht es um Hinweise darauf, dass sich der oder
die Abzuschiebende entziehen will. Liegt eines dieser Indizien vor, können
Behörden nach richterlicher Zustimmung Ausländer künftig wesentlich
leichter als derzeit in Abschiebehaft nehmen.
## Vereinfachungen im Bleiberecht
Ein solches Indiz für eine Fluchtgefahr sieht die Regierung etwa darin,
dass Flüchtlinge zuvor Geld an einen Schleuser gezahlt haben. Ihre Annahme:
Wer viel Geld in die Reise nach Europa investiert, „werde sich der
Abschiebung entziehen, damit die Aufwendungen nicht vergeblich sind“, wie
es in einem erklärenden Papier des Bundesinnenministeriums heißt.
Weitere Indizien für eine Fluchtgefahr sollen das Fehlen eines Reisepasses,
unvollständige Angaben gegenüber Behörden oder die Umgehung von
Grenzkontrollen bei der Einreise sein. Flüchtlingsinitiativen rechnen daher
mit einem signifikanten Anstieg der in Abschiebehaft befindlichen
Flüchtlinge.
Das neue Gesetz sieht jedoch nicht nur Schlechterstellungen vor.
Vereinfachungen im Bleiberecht zielen vor allem auf jüngere und besonders
gut integrierte Ausländer ab, die bislang nur geduldet wurden. Sie sollen
künftig ein Bleiberecht erhalten können, wenn sie etwa unter 27 Jahre alt
sind und mindestens 4 Jahre eine deutsche Schule besucht haben. Bislang
mussten sie 6 Jahre Schulbesuch nachweisen.
Auch Familien, die für sich selbst aufkommen können, die ihre Treue zum
Grundgesetz bekennen und mit einem Kind seit mindestens 6 Jahren in
Deutschland wohnen, können ein Bleiberecht erhalten. Früher mussten es 8
Jahre sein.
Irreführend sind Meldungen, wonach die Ausbildung migrantischer
Jugendlicher künftig erleichtert werden soll: Schon heute können
Jugendliche in Ausbildung eine zeitlich befristete weitere Duldung
erhalten. Daran ändert sich künftig nichts – es wird nur gesetzlich
„klargestellt“.
1 Jul 2015
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
Abschiebung
Asylrecht
Abschiebung
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Flüchtlinge
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Rassismus
Otto Schily
Landkreis Cuxhaven
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