# taz.de -- Abschiebeknast in Eisenhüttenstadt: Geh mir aus dem Land | |
> In Eisenhüttenstadt steht die einzige Abschiebehaftanstalt | |
> Ostdeutschlands. Ein Besuch bei fünf Insassen und zwei deutschen | |
> Juristen. | |
Bild: 90 Minuten Ausgang pro Tag haben die Insassen, wenn es den Wärtern vorhe… | |
Eisenhüttenstadt taz | „Tür zum Hof aufschließen bitte“, funkt Haftleiter | |
Peter Wasim. Die Tür öffnet sich. Eintritt in den Durchgangsbereich. Noch | |
ein Funkspruch, wieder öffnet sich eine Tür, diesmal nach draußen. Vor dem | |
doppelt umzäunten Außenbereich wartet noch eine letzte Tür. Noch einmal | |
schließt der Wärter auf. Eintritt in den Hof. | |
Fünf Männer sitzen in der Abschiebehaft Eisenhüttenstadt. Ein Mann mit Bart | |
und Musik auf den Ohren dreht seine Runden auf den alten Betonplatten, die | |
in das nur spärlich gewachsene Gras eingelassen sind. Er starrt auf den | |
Boden, läuft und dreht nach wenigen Metern wieder um. Und wieder von vorn. | |
Rund zwanzig auf sechzig Meter unter freiem Himmel bleiben den Häftlingen, | |
täglich neunzig Minuten. Der Zaun um den Hof ist doppelt mit Stacheldraht | |
umwickelt. Dahinter bleibt in einiger Entfernung der Blick auf in die Jahre | |
gekommene Plattenbauten, zwischen denen das Herbstgrau aufs Gemüt drückt. | |
Auf der linken Seite des Hofs wird Federball gespielt. Das zerrissene Netz | |
hängt tief, der Ball bleibt nicht lange in der Luft. Ein breitschultriger | |
Mann mit kantigem Gesicht und einer alten Winterjacke aus Leder folgt dem | |
Treiben von der Seite. Ein anderer, schmächtiger, sitzt vor dem Spielfeld | |
auf der Lehne einer Bank, an der die Hälfte der Latten fehlt. Er trägt | |
einen Trainingsanzug, auf seinen nackten Füße stecken nur Flip-Flops. | |
Marzuq ist der Mann. Er hat ein schmales Gesicht, kurze lockige Haare und | |
tippt auf seinem Telefon herum, während er spricht. Eigentlich heißt Marzuq | |
anders, seinen echten Namen soll niemand wissen. Schließlich weiß nicht | |
einmal seine Familie in Marokko, dass er hier ist. Sie denken, er arbeite | |
in Schweden, wo er das letzte Jahr verbracht hat. Seine Bekannten dort | |
wähnen ihn in Italien. Da wollte er den Winter über arbeiten. Doch auf der | |
Durchreise zog ihn die Bundespolizei in Rostock aus dem Bus und schickte | |
ihn in Abschiebehaft. | |
## Durch Gittertüren zur Toilette | |
„Wenn du nach Marokko kommst, lade ich dich in mein Haus ein. Nicht ins | |
Gefängnis“, sagt er auf Englisch und lacht. „Sie sagen ja, es sei kein | |
Gefängnis. Aber das ist eins.“ Er deutet auf die Fassade hinter sich. Auf | |
zwei Etagen behindern Gitter den Blick durch die Fenster. „Wenn ich hier | |
draußen aufs Klo muss“, erzählt Marzuq, „dann laufe ich nicht einfach rei… | |
Ich sage dem Mann am Zaun Bescheid, der funkt nach drinnen, und die machen | |
dann die Türen auf.“ Marzuq schüttelt den Kopf. | |
Vier Kinder und seine Frau warten seit über einem Jahr in Marokkos | |
Hauptstadt Rabat auf den 45-Jährigen. Er hatte mal einen Schuhladen. Der | |
ging pleite, während Marzuq einem privaten Kreditgeber noch 3.000 Euro | |
schuldete. „Wenn ich jetzt zurückgehe, werde ich am Flughafen verhaftet“, | |
meint er. In Schweden verkaufte er gebrannte Mandeln. Weil er dort illegal | |
war, bekam er keine Sozialhilfe. Sein Gehalt ging für sein Zimmer drauf. | |
„Wie sollte ich denn nach Hause kommen, ohne irgendetwas in der Tasche?“ | |
Abgeschoben wird er Mitte November nach Schweden. Dort muss er Asyl | |
beantragen. Arbeiten kann er so erst einmal nicht. | |
Hier auf dem trostlosen Hof bei den Männern spürt man, wie ernst es einer | |
Gesellschaft mit dem Konzept eines Staates sein muss, auf dessen | |
Territorium nicht jeder willkommen ist. Auf der Straße vermutet man | |
Illegalität höchstens, wo fremd aussehenden Menschen nichts anderes bleibt, | |
als mit Drogen zu handeln. Hier drinnen aber fühlt der die Konsequenzen, | |
der nicht in dieses Land gehören darf. Auch draußen mag die | |
Arbeitserlaubnis gefehlt haben, das Gefühl, akzeptiert zu sein. Hier aber | |
fehlt die Freiheit, eine Toilette aufzusuchen. | |
## Ein Jurist voller Verantwortung | |
Während draußen Federball gespielt wird, führen Peter Wasim und der Leiter | |
der Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt, Frank Nürnberger, durch die | |
Hafträume. Wasim ist ein großer Mann mit kleinen Augen und rundem Gesicht. | |
Aus seinem Jackett ragt ein Einstecktuch. Weil die Auswirkungen der | |
Flüchtlingskrise das Asylrecht bedroht hätten, sagt der Jurist Wasim, hat | |
er Anfang des Jahres die Leitung hier übernommen. „Das Grundrecht auf Asyl | |
ist wichtig. Aber es funktioniert nur, wenn auch abgeschoben wird, wer kein | |
Anrecht darauf hat.“ | |
„Na ja, oder man schafft ein Einwanderungsgesetz, damit gar nicht jeder | |
Asyl beantragen muss“, widerspricht ihm prompt sein Vorgesetzter | |
Nürnberger, ebenfalls Jurist. Nürnberger hat eine Glatze, ist kleiner und | |
schmächtiger als Wasim. Wenn er spricht, stemmt er die Hände in die Hüften | |
und setzt zu langen Monologen an. „Sendungsbewusstsein“ nennt er das. Der | |
Wortschatz der beiden ist geprägt von ihrem Beruf. Rückführungsanordnungen | |
werden hier bearbeitet, Flugunwilligkeit festgestellt oder | |
Gepäcknachsendeanträge ausgefüllt. | |
Noch vor Betreten der Anlage hatte Nürnberger ihre Sinnhaftigkeit bereits | |
in Zweifel gezogen. „Mit Abschiebehaft kann man Migration nicht steuern. So | |
ein Makrophänomen kann ich nicht auf der Mikroebene lösen“, hatte er | |
gesagt, als wollte er kritischen Fragen Vorschub leisten. „Oft genug ist | |
das ein Spiel. Wir schieben ab, und die Leute sind kurz darauf schon wieder | |
hier.“ Man dürfe ihn aber nicht falsch verstehen, Abschiebungen seien | |
nötig. Und für schwere Fälle auch Abschiebungshaft. | |
## Ein juristisch komplizierter Vorgang | |
Im Schnitt saßen dieses Jahr nur sechs Menschen gleichzeitig und | |
durchschnittlich 16 Tage lang hier ein. Die Zahlen sind rückläufig. Weil | |
die meisten freiwillig oder begleitet ausreisen und weil die Rechtsprechung | |
„restriktiver“ geworden sei, wie Wasim sagt. Es kämen viel weniger | |
Haftanträge durch als früher. Abschiebehaft ist juristisch kompliziert und | |
voller Voraussetzungen. Die Amtsgerichte haben mit den Asylverfahren nichts | |
zu tun. Dennoch entscheiden sie über Haftanträge, die von der Polizei oder | |
der Ausländerbehörde gestellt werden, wenn der Verdacht besteht, dass die | |
Abschiebung sonst nicht zustande kommt. | |
2013 war Nürnbergers Behörde, die auf demselben Gelände die zentrale | |
Erstaufnahmestelle Brandenburgs betreibt, durch den Suizid eines | |
Flüchtlings und durch die rechtswidrige Inhaftierung eines anderen | |
aufgefallen. Aufgefallen war sie auch durch die enge Verzahnung der | |
Erstaufnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das direkt auf | |
dem Gelände Asylanträge bearbeitet, und der Abschiebehaft. Zeitweise hatte | |
die Bundespolizei Neuankömmlinge direkt vor dem Tor der umzäunten Anlage | |
aufgegriffen und in die Haft geschickt, noch bevor sie ihren Asylantrag | |
stellen konnten. „Diesen Beamten hätte ich den Vogel gezeigt“, erklärt | |
Nürnberger, der Mitte 2013 ins Amt kam. Und dass mittlerweile alles | |
verbessert, der psychosoziale Dienst beispielsweise massiv ausgebaut worden | |
sei. | |
Draußen rieselt ein leichter Regen herab. Augustin hat bis eben Federball | |
gespielt, jetzt steht er am Eingang des Hofs. Der 24-jährige Ghanaer ist | |
erst seit drei Tagen hier. Wie lange er schon in Deutschland sei? Er blickt | |
stumm zu Boden, schaukelt langsam vor und zurück und spielt mit seinen | |
Fingern nervös an einem gelben Schaumstoffball herum. Dann blickt er für | |
einen Moment auf, aus seinen Augen spricht Angst. „Ich erinnere mich nicht. | |
Zu viel Stress“, murmelt er auf Englisch. | |
## Station in Ludwigslust | |
Dann werden die Gefangenen hereingerufen, zehn Minuten früher als sonst. | |
Dem Wärter ist kalt. Augustin möchte drinnen Tischtennis spielen. Er spielt | |
gut, wirkt sicher in seinen Bewegungen, nichts erinnert an das verängstigte | |
Wesen vom Hof. Wo er in Deutschland gewohnt hätte? Augustin unterbricht das | |
Spiel. Plötzlich verkrampft er wieder und starrt auf den Boden. Lange kommt | |
keine Antwort. Dann ein kaum hörbares „Ludwigslust“. | |
Augustin ist ein Dublin-Fall. Er kam durch durch halb Afrika nach Libyen, | |
von wo er mit einem Boot nach Sizilien übersetzte. Dort wurde er | |
registriert. Deshalb soll er nach Italien abgeschoben werden, Mitte | |
November. „Ich habe keine Ahnung, was ich dort machen soll“, sagt er über | |
die Tischtennisplatte gebückt und so leise, als verrate er ein Geheimnis. | |
## Wo die Wände hallen | |
In dem kleinen Tischtennisraum kann man sich nur schwer unterhalten. Die | |
kahlen Wände werfen das gesprochene Wort zurück. Augustin läuft hinaus auf | |
den Flur und öffnet die schwere Stahltür zu seiner Zelle. | |
Drei Bettgestelle aus Metall stehen darin, doch Augustin schläft allein. | |
Durch das Gitter im Fenster blickt man in den Hof. Ansonsten stehen nur ein | |
Holztisch im Raum und drei Stühle. Auf dem Tisch: Joghurt, ein bisschen | |
Obst und Orangensaft. An der Wand darüber läuft deutsches Privatfernsehen. | |
Auf Augustins Kopfkissen liegt eine Bibel. „Nach der habe ich gefragt, und | |
sie haben sie mir gebracht.“ Was er heute noch vorhat? Er blickt aus dem | |
Fenster, wieder kommt lange keine Antwort. „Vielleicht lese ich noch ein | |
bisschen.“ | |
16 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Kristof Botka | |
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