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# taz.de -- Informationen über Gefängnis-Suizide: Schweigsame Behörde
> Die Hamburger Justizbehörde gibt keine Pressemitteilung mehr heraus, wenn
> sich ein Gefangener das Leben genommen hat. Das sorgt für Kritik.
Bild: Auch im Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis gab es schon Suiz…
Hamburg taz | Im vergangenen Jahr hat sich ein Gefangener in Hamburg das
Leben genommen. Er beging im Januar in der Untersuchungshaft in Billwerder
Suizid. Damals informierte die Hamburger Justizbehörde die Öffentlichkeit
noch am selben Tag mit einer Pressemitteilung über den Fall. Im April
beschloss sie dann, solche Mitteilungen nicht mehr herauszugeben. Seitdem
wird die Öffentlichkeit erst mit einiger Verzögerung über Suizide in
Haftanstalten informiert. Doch die Arbeitsgruppe zur Suizidprävention in
Haftanstalten empfiehlt ein anderes Vorgehen und andere Länder im Norden
setzen auf mehr Transparenz.
Künftig werden die Obleute des Hamburger Justizausschusses direkt über
Suizide informiert, sagt ein Sprecher der Justizbehörde zur taz. Dann komme
das Thema auf die Tagesordnung der nächsten Ausschusssitzung. „Die
öffentliche Ausschusssitzung ist dann auch die Gelegenheit für die
Vertreterinnen und Vertreter der Medien, Informationen zu bekommen“, so der
Sprecher.
Die Behörde begründet ihre Entscheidung mit zwei Argumenten. Zum einen
stelle eine Pressemitteilung einen Anreiz zur Veröffentlichung dar, der im
Widerspruch zum Pressekodex stehe. Durch den seien Journalist*innen
angehalten, nicht über Suizide zu berichten.
Kajo Döhring, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verbands,
überzeugt diese Argumentation nicht. „Das ist eine schnell erkennbare
Überdehnung des Pressekodexes“, sagt er.
Der Pressekodex besagt, dass in der Berichterstattung über Selbsttötung
Zurückhaltung geboten ist. Dies gilt insbesondere für die Nennung von
Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer
Begleitumstände. Laut Justizbehörde sind Pressemitteilungen aber nicht
geeignet, dieser Zurückhaltung gerecht zu werden. Für Döhring eine
„hanebüchene“ Aussage: „Die Behörde tut so, als sei sie in der
Verantwortung, den Pressekodex einzuhalten“, sagt er. Wie bei jeder anderen
Pressemitteilung sei es auch hier Aufgabe der Presse, adäquat damit
umzugehen.
Wichtiger ist der Justizbehörde nach eigener Aussage aber ihr zweites
Argument. „Wir befürchten, dass Presseberichterstattung zu Nachahmungstaten
– dem sogenannten Werther-Effekt führen könnte“, sagt der Sprecher. Die
Behörde trage die Verantwortung für die Menschen in den Haftanstalten und
wolle in jedem Fall negative Auswirkungen ausschließen. Sie wurde bei ihrer
Entscheidung von Peer Briken beraten, dem Direktor des Instituts für
Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Hamburger
Universitätsklinikum. Dieser halte das Vorgehen „für einen Schritt in eine
gute Richtung“. Für die taz war Briken nicht für eine Stellungnahme zu
erreichen.
Katharina Bennefeld-Kersten, Psychologin und frühere Leitern der JVA Celle
hat die Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention in Justizvollzugsanstalten
initiiert. Sie sieht den Werther-Effekt abhängig vom jeweiligen Kontext.
Bei Nachahmungstaten spiele die Vergleichbarkeit der Lebenssituation oder
die Identifikation mit einer Persönlichkeit eine Rolle. Und Mitgefangene
würden durch den Polizeieinsatz und einen Bestatter vor Ort ohnehin
mitbekommen, dass sich jemand das Leben genommen hat.
Ähnlich argumentiert Bernd Maelicke. Er ist Kriminologe und
Sozialwissenschaftler und war Sachverständiger beim neuen Hamburger
Resozialisierungs- und Opferhilfegesetz. Auch er sagt, dass sich Suizide in
den Gefängnissen blitzschnell herumsprächen. „Dafür braucht es keine
Berichterstattung der Medien.“ Tageszeitungen würden von den Gefangenen
kaum gelesen.
„Für die Rahmenbedingungen in den Gefängnissen sind die Justizbehörde und
die Anstaltsleitungen zuständig“, sagt er. Wenn es zu Suiziden komme, müsse
geklärt werden, ob eventuell Fürsorge- oder Aufsichtspflichten verletzt
wurden. „Da darf nicht der Eindruck der Vertuschung entstehen.“ Seiner
Meinung nach gehören Suizide genauso zur Bilanz der Freiheitsentziehung wie
Berichte über Erfolge.
Auch Bennefeld-Kersten hält das Vorgehen der Justizbehörde für fragwürdig.
„Suizide gibt es draußen und drinnen“, sagt sie. „Bevor ich mich angreif…
mache, würde ich eher offen mit den Fakten umgehen.“
Die Arbeitsgruppe Suizidprävention, in der Mitarbeiter*innen verschiedener
Disziplinen des Strafvollzugs zusammen arbeiten, empfiehlt die Herausgabe
einer Pressemitteilung. Es solle proaktiv mit einem Suizid umgegangen
werden, um nicht den Verdacht zu erwecken, etwas verschweigen zu wollen.
„Transparenz und Zusammenarbeit mit den Presseorganen ist hier, wie auch
bei anderen öffentlichkeitswirksamen Ereignissen erforderlich“, heißt es in
der Empfehlung.
Die schleswig-holsteinischen Haftanstalten veröffentlichen eine
Pressemitteilung, wenn sich ein Gefangener das Leben genommen hat. Das
trage zur Transparenz bei, sagt ein Sprecher des dortigen
Justizministeriums. Auch in Mecklenburg-Vorpommern werden solche Meldungen
veröffentlicht.
Das Niedersächsische Justizministerium berichtet nur auf Nachfrage. Über
jeden Fall würden der Unterausschuss Justizvollzug und Straffälligenhilfe
informiert, erklärt ein Ministeriumssprecher. Grund dafür sei unter anderem
die gebotene Zurückhaltung in der Berichterstattung über Suizide.
16 Jan 2019
## AUTOREN
Marthe Ruddat
## TAGS
Suizidversuch
Suizidhilfe
Suizid
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