# taz.de -- Ein Streitgespräch über Menschlichkeit: „Die Angst sucht sich e… | |
> Sollen sich Politiker bei Flüchtlingsthemen an Bürgerbedenken | |
> orientieren? Otto Schily und Carolin Emcke diskutieren. | |
Bild: Emcke und Schily sprechen über Rassismus und Mitgefühl, Abwehr und Luft… | |
taz: Frau Emcke, Herr Schily, die Anzahl der Flüchtlinge in Deutschland | |
steigt. Schätzungen gehen von mindestens 400.000 Asylanträgen in diesem | |
Jahr aus. Macht Ihnen das Angst? | |
Otto Schily: Nein. Wir müssen uns keine große Sorgen machen. Wir hatten | |
schon ganz andere Stresssituationen, zum Beispiel während der Balkankrise. | |
Carolin Emcke: Mir macht das keine Angst. Die Zahl der Asylanträge kann und | |
sollte man ins Verhältnis zu zwei Bezügen setzen: 400.000 Asylanträge sind | |
nicht viel im Verhältnis zu den Kriegen und Krisen, aus denen Menschen | |
fliehen müssen. Und 400.000 Asylanträge sind nicht viel im Verhältnis zu | |
uns, als Aufnahmegesellschaft. Es wird ja ohnehin nur ein geringer | |
Prozentsatz genommen. Mir scheint eher, da sucht sich eine Angst in den | |
Flüchtlingen nur ein Objekt. Man muss also aufpassen, dass man nicht einer | |
Verschiebung aufsitzt. | |
Welcher? | |
Emcke: Manche Milieus sind über den eigenen sozialen Status verunsichert. | |
Das hat vermutlich mehr mit der Finanzkrise oder anderen Erfahrungen der | |
Destabilisierung zu tun als mit Flüchtlingen. Zudem wird auch eine | |
identitäre Verunsicherung artikuliert … | |
Mit Hilfe der vermeintlichen Islamisierung des Abendlandes zum Beispiel. | |
Emcke: Wie instabil muss die eigene Identität, der eigene Glaube sein, wenn | |
sie sich durch die bloße Existenz von Menschen anderer Herkunft oder | |
Religion in Frage stellen lassen? | |
Schily: Die Situation ist regional ja völlig verschieden. Es kommt darauf | |
an, wer woher zu uns kommt, welche Konfliktparteien sich wo ansiedeln, wie | |
homogen die Zuwanderung an einer bestimmten Stelle ist. Manche Menschen | |
sehen eine Konkurrenz um ihre Lebensverhältnisse. Ich nehme mal ein | |
Beispiel aus Italien, das mir vertraut ist. Dort hat ein kleiner Ort eine | |
starke Zuwanderung von Muslimen aus dem Balkan – hohe Geburtenrate, keine | |
Arbeit –, die aus der öffentlichen Fürsorge bezahlt werden. Sie kriegen den | |
Kindergartenplatz umsonst, die anderen bekommen keinen Platz oder müssen | |
für ihn bezahlen. Da entstehen Spannungen. | |
Emcke: Natürlich ist es richtig zu differenzieren und zu schauen, ob eine | |
Kommune logistisch und finanziell überfordert ist. Das ist legitim. Aber | |
das lässt sich nun wirklich nicht behaupten an Orten in Sachsen, wo die | |
Situation absolut tragbar, die Abwehr aber trotzdem vorhanden ist. Es gibt | |
mancherorts schlicht und ergreifend Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, die | |
sich als Sorge maskieren. Man muss sich fragen, ob der Diskurs über Angst | |
nicht einfach ein Etikett ist, das es Ressentiments erlaubt, | |
gesellschaftsfähig zu werden – wie bei Pegida. | |
Aber es geht nicht nur um Pegida. Wenn in ihrer Nachbarschaft ein | |
Flüchtlingsheim entsteht, machen sich Teile der linksliberalen | |
Mittelschicht auch Gedanken darüber, dass der Wert ihrer Grundstücke sinkt | |
und ob es nicht zu gefährlich ist, wenn die Kinder auf dem Schulweg an dem | |
Heim vorbeimüssen. | |
Schily: Das ist mir nicht bekannt. Aber wahrscheinlich ist das vergleichbar | |
mit der Haltung mancher Eltern, die der Ansicht sind, ihre Kinder sollten | |
nicht mit zu vielen Migrantenkindern zur Schule gehen. Um Pegida haben wir | |
ja viel Aufhebens gemacht, aber das waren nicht viele Menschen, ganz im | |
Gegenteil. Pegida ist nur dort groß aufgetreten, wo die Menschen aus der | |
früheren DDR einige Umwälzungen zu bewältigen hatten. Jetzt kommt nochmal | |
eine neue Situation. Vielleicht sind die Menschen in der ehemaligen DDR | |
viel deutscher als im Westen. | |
Meinen Sie deutsch im Sinne von fremdenfeindlich? | |
Schily: Multikulti ist ihnen noch immer fremd. | |
Emcke: Ich fand, es waren erstaunlich viele Menschen, die Pegida | |
zugesprochen haben. Mir war jeder einzelne, der diesen Slogans | |
hinterhergelaufen ist, einer zu viel. Interessant scheint mir, dass es | |
gerade in den Regionen besonders fremdenfeindlich zugeht, in denen es wenig | |
„Fremde“ gibt. Auch der Antisemitismus war historisch dort besonders stark, | |
wo es wenig Juden gab. Wenn es wenige reale Beispiele gibt, die Vorurteile | |
widerlegen können, erfindet man sich das Objekt des Hasses leichter. | |
Schily: Frau Emcke, das ist keine gute Parallele. | |
Emcke: Was denn? | |
Schily: Ihr Vergleich mit den Juden. Man darf die Menschen doch nicht | |
gleich alle als Rassisten bezeichnen und in die Nähe von Antisemitismus | |
bringen. | |
Emcke: Mein Vergleich war strukturell. Ich setze nicht per se | |
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus gleich, sondern sage, dass das | |
Auftreten von Fremdenfeindlichkeit in Gegenden, in denen es ganz wenig | |
Zuwanderer gibt, strukturell ähnlich ist wie der starke Antisemitismus in | |
Gegenden, in denen es kaum Juden gab. | |
Frau Emcke, ist Angst in diesem Zusammenhang also überhaupt eine sinnvolle | |
Kategorie? | |
Emcke: Wie gesagt: Mich macht das ganze Gerede über Angst auch leicht | |
nervös. Das ist auch eine Art ideologisches Product-Placement von | |
Populisten, die es schaffen, die „Angst vor Flüchtlingen“ zu einem allseits | |
akzeptierten Motiv zu machen. Aber trotzdem darf man diskutieren, ob | |
bestimmte Ansprüche Menschen überfordern. In der Moralphilosophie gibt es | |
auch die Kategorie der moralischen Zumutbarkeit. Natürlich müssen Ansprüche | |
auch zumutbar und umsetzbar sein. | |
Was heißt das für die augenblickliche Situation? | |
Emcke: Ich denke, dass die Diskussion nur aus moralischer Perspektive nicht | |
zu führen ist. Es gibt auch ökonomische Fluchtgründe, so wie es ökonomische | |
Gründe gibt, die Menschen hier dankbar aufzunehmen. Nicht nur, weil sie uns | |
brauchen, sondern auch wir sie. Aber wir müssen auch über ein anderes | |
Gefühl sprechen: über Scham. Es gibt eine ungeheure Scham darüber, wie | |
Flüchtlinge im Mittelmeer sterben. Menschen wollen nicht in einem Europa | |
leben, das sich an diesem Massensterben mitschuldig macht. | |
Schily: Das ist eine völlig falsche Diskussion, die Sie da anfangen. Die | |
Schuld am Sterben dieser Menschen im Mittelmeer liegt bei den skrupellosen | |
Schleppern. Wir stehen vor der schwierigen Frage, was wir da tun sollen. | |
Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das lange zurückliegt. Ein bekannter | |
DDR-Anwalt, der Menschen freikaufte, die in der DDR in Haft saßen, hat mich | |
einmal gefragt: Soll ich das weitermachen? Besorge ich nicht das Geschäft | |
derjenigen, die die Leute einsperren? Denn je mehr Menschen ich zur | |
Freiheit verhelfe, desto mehr blüht das Geschäft auf der anderen Seite. Ich | |
bin dafür, um auf heute zurückzukommen, dass wir die Menschen aus Seenot | |
retten. Aber wir spielen den Menschenhändlern natürlich in die Hände. | |
Emcke: Die bloße Kriminalisierung der Schleuser und Schlepper ist grotesk. | |
Ihr Beispiel macht doch deutlich, was für eine ambivalente Frage es ist: | |
davon zu profitieren, dass Menschen aus Verzweiflung fliehen müssen. Aber | |
Sie unterschätzen vor allem, wie viele Menschen die gegenwärtige | |
Flüchtlingspolitik als unverzeihlich empfinden. Für viele zeigt sich im | |
Umgang mit den Flüchtlingen, wer wir sein wollen. Viele, die sich in | |
Initiativen engagieren, wissen, dass Europa an den Fluchtursachen | |
mitschuldig ist. | |
Schily: Ich glaube nicht, dass das etwas mit Scham zu tun hat, sondern mit | |
Empathie. Das ist etwas ganz anderes. Wir sehen die Schreckensbilder aus | |
Syrien und haben Mitgefühl. Ich habe damals vorgeschlagen, in Nordafrika | |
Aufnahmezentren der EU einzurichten, wo die Flüchtlinge einen Asylantrag | |
stellen können oder ein Zuwanderungsgesuch. Das ist besser, als wenn sie in | |
kaputte Boote steigen. | |
Solche Aufnahmelager fordert auch der derzeitige Bundesinnenminister Thomas | |
de Maizière. Sie würden die allermeisten Flüchtlinge aus Europa fernhalten. | |
Frau Emcke, ist das besser, als sie in gefährliche Boote steigen zu lassen? | |
Emcke: Das scheint mir irgendwo zwischen kosmetisch und zynisch. | |
Kosmetisch, weil damit die Not der Flüchtlinge unsichtbar würde. Zynisch, | |
weil doch jeder um die katastrophalen Zustände in einem zerfallenen Staat | |
wie Libyen weiß. | |
Die Alternative wäre, Flüchtlingen humanitäre Visa auszustellen, damit sie | |
sicher über das Mittelmeer reisen und dann einen Asylantrag stellen können. | |
Damit wäre auch Rechtsstaatlichkeit garantiert. | |
Schily: Wir könnten natürlich sagen, jeder Notleidende in der Welt hat das | |
Recht, dass wir prüfen, ob wir ihn aufnehmen. Aber das wäre doch vor allem | |
ein riesiger Verwaltungsapparat. Und was heißt denn Rechtsstaatlichkeit | |
garantieren? Wir brauchen eine Politik, die nicht alles verrechtlicht. Die | |
nicht alles bürokratisiert, sondern auf die Menschen zugeht. Und dabei geht | |
es nicht um ein Gnadenrecht, sondern um Empathie. Es könnte doch sein, dass | |
in einer Asylbewerberstelle für die EU in Nordafrika jemand sitzt und sagt, | |
gut, das ist jetzt ein Fall, in dem wir dafür sorgen müssen, dass die | |
Flüchtlinge bei uns aufgenommen werden. | |
Emcke: Wissen Sie, warum mit dem Recht argumentiert wird? Weil man schon | |
davon ausgeht, dass Europas Haltung eine abwehrende ist. | |
Schily: Sie müssen aber auch einsehen, dass wir begrenzte Möglichkeiten | |
haben und uns nicht übernehmen dürfen. Was ich kritisiere, ist etwas ganz | |
anderes: dass wir ein starres System haben, das nicht differenziert und das | |
nicht flexibel ist. Wir haben leider kein Zwei-Türen-System, das einem | |
Flüchtling erlaubt, anstelle eines aussichtslosen Asylgesuchs schlicht | |
einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis zu stellen. Es gibt Mangelberufe in | |
Deutschland, warum kann man Menschen mit einer solchen Qualifikation nicht | |
einfach durchwinken? Oder die Flüchtlinge aus Syrien, die ja einen | |
Asylgrund haben. | |
Emcke: Aber die Syrer müssen erst einmal bis hierher kommen. Wir haben | |
schließlich die europäische Regelung, Dublin III … | |
… die besagt, dass das EU-Land, in das ein Flüchtling zuerst eingereist | |
ist, für den Asylantrag dieses Flüchtlings zuständig ist. Das | |
Vorläuferabkommen haben Sie, Herr Schily, mitverhandelt. | |
Emcke: Genau. Und da ist die Situation für diejenigen, die in Griechenland | |
oder Bulgarien landen, eben anders, als wenn sie in Schweden oder | |
Deutschland ankommen. | |
Schily: Das ist natürlich eine heikle Frage, das gebe ich gern zu. Ich war | |
immer dafür, Asylhopping zu vermeiden … | |
Emcke: Bitte was? Was ist denn „Asylhopping“? Es geht doch darum, dass | |
Dublin III suggeriert, es sei rechtlich gleich, ob jemand in Ungarn oder in | |
Deutschland zuerst landet. Das ist es eben nicht. | |
Schily: Aber ich war und bin durchaus offen für einen freiwilligen | |
Ausgleich, zum Beispiel ein Pledging-Verfahren, das hat bei den | |
Balkan-Flüchtlingen gut funktioniert. Wir haben seinerzeit mehrere | |
hunderttausend Menschen aufgenommen, aber wir sind ja auch ein relativ | |
großes, relativ reiches Land, das sich das leisten konnte. Und wir haben | |
gleichzeitig gesagt, dass sie wieder zurückmüssen, wenn der Krieg vorbei | |
ist. Wir machen das, weil wir meinen, dass wir helfen müssen, wenn | |
außerhalb unserer Grenzen Not herrscht. Das ist der richtige Ansatz, aber | |
derzeit geschieht das in sehr kleinen Größenordnungen, etwa indem wir | |
Kontingente aus Syrien aufnehmen oder aus dem Irak. | |
Emcke: Die Grundlage für Dublin müsste ein standardisiertes europäisches | |
Asylrecht sein, aber das gibt es nicht. Die Griechen prügeln die Leute auf | |
die türkische Seite zurück. In Bulgarien gibt es kaum Unterkünfte … | |
Schily: Sollen wir sie alle zu uns nehmen? Ich bin davon überzeugt, dass | |
wir uns keine offenen Grenzen leisten können. | |
Emcke: Aber was sagen Sie denn zu den ungleichen Standards in Europa? | |
Schily: Es gibt im Moment in der Tat keine ausgeglichenen Verhältnisse in | |
Europa. Die Italiener schicken die Leute wieder auf die Straße und lassen | |
sie weiterreisen und dann landen sie bei uns. Das ist die Realität. Wir | |
brauchen eine aktive statt einer passiven Migrationspolitik. Wir könnten | |
diese schrecklichen Ereignisse auf dem Mittelmeer wenigstens mildern, in | |
dem wir bestimmte Kontingente aufnehmen. Wir machen das bisher in sehr | |
kleiner Zahl. Warum sagen wir nicht mal, der Libanon oder der Nordirak sind | |
total überlastet, also helfen wir mit einer Luftbrücke und nehmen die | |
Menschen auf? | |
In Ihrer Zeit als Innenminister hätten sie so etwas nicht unterstützt. Ende | |
der 90er Jahre, als die Flüchtlingszahlen deutlich niedriger waren als | |
heute, haben Sie gesagt: Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch | |
Zuwanderung ist überschritten. | |
Schily: Ich darf Sie daran erinnern, dass wir damals über eine Luftbrücke | |
eine große Zahl von Flüchtlingen nach Deutschland geholt haben. Meine | |
Äußerung im Jahr 1998 muss man historisch sehen. Ich war neu im Amt als | |
Innenminister der rot-grünen Regierung, die Debatte war hochgekocht. Die | |
Leute mussten merken, dass wir ein Verständnis dafür haben, dass es Grenzen | |
der Belastbarkeit gibt. Damit haben wir aber zugleich die Voraussetzungen | |
für tiefgreifende Reformen geschaffen. Wir haben das Zuwanderungsgesetz und | |
das Staatsbürgerschaftsrecht modernisiert. | |
Aber führen solche Aussagen nicht gerade dazu, dass Flüchtlinge von der | |
Bevölkerung abgelehnt werden und die Grenze der Belastbarkeit, wie Sie es | |
nennen, sinkt? | |
Schily: Nein, im Gegenteil. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir | |
Verständnis dafür haben müssen, dass es diese Grenzen gibt. Zwar sind wir | |
heute in der glücklichen Lage, dass es viel mehr Anti-Pegida-Demonstranten | |
als Pegida-Demonstranten gibt. Das ist eine gute Nachricht. Aber wir dürfen | |
den Bogen auch nicht überspannen. | |
Sehen Sie die Gefahr, dass wir wieder in eine ähnliche Situation wie Anfang | |
der 90er Jahre rutschen könnten – als die Flüchtlingszahlen ähnlich hoch | |
waren wie heute und es Pogrome wie in Rostock-Lichtenhagen gab? | |
Schily: Nein, wir sind eine viel weltoffenere Gesellschaft als damals. An | |
vielen Stellen im öffentlichen Leben, im Parlament, in den Medien, sind | |
Migranten sehr prominent vertreten. Der Bewusstseinswandel ist vollzogen, | |
und er ist nicht rückgängig zu machen. | |
Emcke: Das Bewusstsein, welche Vielfalt eine moderne Gesellschaft | |
beinhaltet, hat sich sicherlich verändert. Ich denke, dass die | |
Berichterstattung auch eine größere Nähe zu den aktuellen Konfliktregionen | |
vermittelt. Trotzdem gibt es eben auch populistische und nationalistische | |
Bewegungen wie etwa Marine Le Pen in Frankreich. | |
Schily: Wir haben in Deutschland keinen Front National. | |
Emcke: Nein, aber wir haben Pegida, auch in der AfD gibt es solche | |
Tendenzen. Und wir hatten den rechtsextremen NSU, der menschenverachtend | |
morden konnte. Wenn wir sagen, bei uns ist nach Rostock-Lichtenhagen alles | |
gut geworden, stimmt das leider nicht. Bei aller Freude über das Mehr an | |
Anerkennung bleibt eine markante Islamophobie, es bleiben Gegenden, in | |
denen Schwarze oder Juden oder Menschen, die so lieben wie ich, ab Einbruch | |
der Dunkelheit nicht entspannt auf der Straße laufen können. | |
Sie sprechen beide von einer deutlichen Wende zum Besseren. Dennoch scheint | |
sich die Politik immer noch an den Bürgern zu orientieren, die eine | |
abwehrende Haltung gegenüber Flüchtlingen haben. | |
Schily: Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung einen besonderen | |
Wahlerfolg erzielen würde, wenn sie jetzt sagen würde, wir holen 500.000 | |
Menschen aus dem Nahen Osten rein. | |
Emcke: Da sie sich ja schon mit 5.000 schwertun, wäre das auch eine | |
erstaunliche Wende zur Offenheit. | |
Schily: Sagen wir 100.000. | |
Emcke: Sie fürchten Abwehr? Das glaube ich nicht. Wenn die Bundesregierung | |
nicht nur entscheiden, sondern auch begründen würde: Wir wollen diese | |
Menschen, die im Libanon, in Jordanien, in Kurdistan in Zelten hausen, wenn | |
Angela Merkel auch die Autorität ihres Amtes und ihrer Person riskieren | |
würde für eine humanitäre Geste – das würde eine positive mediale | |
Aufmerksamkeit geben. | |
Schily: Von der taz gäbe es diese vielleicht, aber sonst von niemandem. | |
Emcke: Ich glaube, das würde selbst der Boulevard gutheißen. Ich wäre da | |
optimistisch. Ehrlich gesagt: Das hat auch mit diesem speziellen Konflikt | |
in Syrien zu tun. Bei Flüchtlingen aus Eritrea wäre die Reaktion vermutlich | |
anders. | |
Schily: Das stimmt, und die Erklärung ist nicht angenehm zu hören: Es hängt | |
oft schlicht von der Entfernung der Probleme ab. Je weiter weg von Europa | |
es den Menschen schlecht geht, desto geringer ist die Bereitschaft zur | |
Aufnahme. | |
Emcke: Ja, Nähe und Distanz spielen eine Rolle. Aber auch die rassistische | |
Abwehr gegenüber dunkelhäutigen Flüchtlingen. Und das hat wiederum auch mit | |
der Aufmerksamkeitsökonomie der Medien zu tun: Wenn es über Monate hinweg | |
Berichte über die Massaker in der Zentralafrikanischen Republik oder die | |
Verzweiflung in Eritrea gäbe, prägten auch andere Bilder und anderes Wissen | |
die Einstellung gegenüber den Menschen. Ich glaube, unsere Kinder und Enkel | |
werden uns nicht nur, aber auch nach unserer Haltung zu den Flüchtlingen | |
beurteilen. | |
21 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
Patricia Hecht | |
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Otto Schily | |
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