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# taz.de -- Kommentar Gauck und Flüchtlingspolitik: Das alte Leid
> Schuld ohne Sühne: Der Bundespräsident spricht von Empathie und löst das
> Leid von Menschen aus jedem historischen und politischen Kontext.
Bild: Joachim Gauck – ein Spezialist in Leidens- und Empathiefragen
Was aus der deutschen Geschichte zu lernen sei, fragt Joachim Gauck in
seiner [1][Rede zum Weltflüchtlingstag], der hierzulande zum Gedenktag für
die Opfer von Flucht und Vertreibung ausgeweitet wurde. Seine Antwort: Die
Erinnerung an die deutschen Opfer der Vertreibungen soll die Empathie
steigern für jene, die heute vertrieben und auf der Flucht sind.
„Mit politische Thesen“, sagt der Bundespräsident mit Blick auf die eng
verwobene Debatte um deutsche Schuld und Vertreibung, „blockieren wir die
uns mögliche Empathie“. Er hat in gewisser Weise recht, denn wer kein Haus,
kein Essen, keine Heimat hat, braucht keine Belehrungen über
politisch-historische Zusammenhänge, sondern unmittelbare Hilfe.
Aber so wie Gauck betont, dass Flüchtlingspolitik im größeren Rahmen
gedacht werden sollte, als Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik
etwa, also gerade vom Individuum weg, so sollte er wissen, dass
Geschichtspolitik aus mehr als der Meditation über von jeder Vorgeschichte
getrenntes individuelles Leid besteht.
Gauck gesteht immerhin ein, dass Deutschland die Schuld am Weltkrieg trug,
löst dann aber die Leidensgeschichte der vertriebenen Individuen aus diesem
Kontext und hebt sie in einen Rang mit dem Leid der Kriegsflüchtlinge aus
Syrien. Das ist, auf dem Umwege einer Enthistorisierung und
Entpolitisierung der Erinnerung an den von Deutschland über die Welt
gebrachten Krieg, der Versuch eines rhetorischen Schlussstrichs.
Dazu passt, dass Gauck sich auch in Richtung des rassistischen Mobs
verneigt. Er wirbt um Verständnis für jene, die wegen der großen „Zahl der
Flüchtlinge und Zuwanderer in Ballungszentren“ und aus zu großer
„kultureller Distanz“ keine Solidarität mit Flüchtlingen zeigen wollen. Es
stellt sich die Frage, ob der Bundespräsident wirklich um Empathie für
Leidende werben will, oder am Ende nicht doch nur für die allezeit an ihrem
Schicksal leidenden Deutschen.
21 Jun 2015
## LINKS
[1] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015…
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
Vertriebene
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Joachim Gauck
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Flüchtlinge
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