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# taz.de -- Debatte Zentrum für Politische Schönheit: Herrschaftsdialog
> Die jüngste Aktion des Zentrums für Politische Schönheit war die bislang
> erfolgreichste. Doch auch dabei bleiben Geflüchtete ausgegrenzt.
Bild: Es protestierten vor allem: Weiße.
Die Politkunst-Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS), die
Berlin in der letzten Woche bewegten, waren ein Erfolg, da ist sich die
öffentliche Meinung einig. Doch die hiesige Refugee-Bewegung, die bis
zuletzt für das Bleiberecht der Flüchtlinge vom Berliner Oranienplatz
kämpfte und noch immer viele Illegale unterstützt, fand die Aktion „Die
Toten kommen“ vielfach eine Unverschämtheit und den Medienjubel
unerträglich. Die Ablehnung fällt harsch und total aus. Warum gelingt der
Brückenschlag nicht? Das Anliegen, Europas Grenzen für Schutzbedürftige zu
öffnen, ist doch beiden Initiativen gemeinsam.
Ein Grund könnte in der unterschiedlichen Adressierung liegen. Das ZPS ist
kein Sprachrohr der Geflüchteten und/oder von „People of Colour“.
Stattdessen stellen mehrheitlich weiße Männer aus einer weißen, deutschen
Perspektive Staatsträger für ihre Flüchtlingspolitik an den Pranger. Das
ZPS inszeniert mithilfe von AktivistInnen, Schaulustigen, Empörten und
MedienvertreterInnen eine Art alternativer Herrschaftsdiskurs, in dem
anerkannte Herrschaftsinsignien wie der Reichstag, das Kanzleramt und das
öffentlichen Gedenken, die öffentliche Betroffenheit, die Totenruhe usw.
symbolisch umgewidmet werden. So auch vergangenen Sonntag im Zuge des
initiierten „Marsches der Entschlossenen“. Das war die Abschlussaktion der
sich über eine Woche hinziehenden Beerdigungs- und
Gräberausheben-Kunst-Aktion unter besagtem Titel „Die Toten kommen“.
## Spontane Gräber
Bei dem Marsch wurden die rund 10.000 TeilnehmerInnen (die Polizei spricht
von 5.000) nicht zum Kanzleramt vorgelassen; sie orientierten sich also um
und liefen auf die nahe gelegene Grünfläche vor dem Reichstagsgebäude. Dort
wurde dann gegraben, es wurden Holzkreuze in den Boden gerammt, Kränze
abgelegt und Blumen gepflanzt, bis vielleicht 100 symbolische Gräber
entstanden. Die Polizei konnte die Aktion letztlich nicht verhindern.
Spontan entstand so doch das avisierte „Mahnmal für die Unbekannten
Einwanderer“, obgleich es völlig anders aussah, als es der Entwurf
vorgesehen hatte.
Natürlich hielt die Gräberwiese nur für ein paar Stunden dem Furor der
Berliner Polizei stand. Und die Politik dürfte das Grünflächenamt umgehend
angewiesen haben, das satte Grün lückenlos wiederherzustellen. Denn nur
sehr ungern lässt man sich daran erinnern, dass noch immer keine
konsistenten Ansätze für eine Migrations- und Friedenspolitik entwickelt
wurden und stattdessen das Mittelmeer als Todesstreifen genutzt wird.
Symbolische Gräber im Repräsentationszentrum empfindet man hingegen als
geschmacklos.
Doch ungerührt dieser kommoden Realitätsverzerrung zwingt das ZPS dem
Establishment nun schon zum fünften Mal eine unerwünschte Diskussion auf,
indem es mit Polemik und agressivem Kunst-Populismus versucht, die
Mächtigen zu Reaktionen zu provozieren. Diesmal ist das insofern gelungen,
als dass keines der hohen Tiere sich traute, die Aktion öffentlich zu
geißeln. Anders als beim vorangegangenen „Ersten Europäischen Mauerfall“
(2014) blieben sie stumm. Die hochrangigen Volksvertreter werden als Feinde
inszeniert, sind aber eben auch Ansprechpartner des ZPS. Die
Marginalisierten oder Illegalisierten indes spielen in dem klugen, bösen
Spiel zwar eine Rolle, sie sind jedoch nicht der Partner in dem
asymmetrischen Gespräch. Auch das ist eine Grenzüberschreitung, auch das
ist übergriffig, zumal wenn man sich im Rahmen der Flüchtlingspolitik
bewegt. Aber ist deshalb der ganze Ansatz falsch?
Vielleicht erklärt sich die Empörung vieler der Marginalisierten oder
derer, die sich in deren Repräsentanz sehen, auch durch den Claim.
Geflüchtete vor allem unter dem Aspekt des Todes zu sehen, ist eine brutale
Reduzierung. Nicht umsonst wird bei der Aufarbeitung der jüdischen
Geschichte darauf geachtet, dass der Holocaust als Teil der jüdischen
Geschichte, niemals als das Ganze gelesen wird. Selbst der Holocaust konnte
nicht verhindern, dass die Geschichte der Juden weiterging. Er hat nicht
gesiegt.
Die Abschottung Europas auf den unwürdigen Umgang mit den so produzierten
Toten engzuführen, berücksichtigt diese Lehre nicht und begeht damit einen
Gewaltakt auch an seinen „Schützlingen“. Dieser wird eklatant, sobald einE
ÜberlebendeR an der Diskussion teilnimmt. Verlässlich kommt dann die Frage
auf: Und was ist mit denen, die noch leben? Oder es wird kritisiert, dass
die Aktion das Pferd von hinten aufzäume. Denn es handele sich in den
Herkunftsländern nicht um humanitäre Katastrophen, sondern um politische
Krisen – sowie um ein politisches Versagen Europas. Erst diese Faktoren
lösten dann die humanitäre Katastrophe aus und zwingen Millionen Menschen
in die Flucht – und Tausende in den Tod.
## Staatsmachende Kunst?
Es ist nicht die Aufgabe von Kunst, unerledigte soziale Arbeit zu erledigen
oder für die EU Staat zu machen, die Menschen auf der Flucht ihre
Menschenrechte vorenthält. Doch Aktionskunst hat sich der Sensibilisierung
verschrieben. Warum also nicht dafür sensibilisieren, dass die Frage nach
den Toten immer auch eine nach den Überlebenden sein muss?
Das ZPS gab keine Auskunft über die Angehörigen der beerdigten Opfer, um
diese vor einer zudringlichen Presse zu schützen. Das ist plausibel. Doch
dieser Schutz macht die Angehörigen auch zu stummen Statisten in der
makabren Inszenierung. Zu dieser Ambivalenz fehlte der Text. „Die Toten
kommen“ hat den (Über-)Lebenden keine Stimme gegeben – an keiner Stelle.
Ein Versäumnis.
Dem gegenüber aber steht der Fakt, dass es dem ZPS beispiellos gelungen
ist, ein breites Aufmerken, wenn nicht sogar Nachdenken über die tödliche
Flüchtlingspolitik zu bewirken. Dies zu ignorieren und missgünstig auf den
Erfolg des künstlerischen Leiter Philipp Ruch zu schielen oder die
vermeintlich hohen Kosten der Aktion ins Feld zu führen ist kleinlich.
Hingegen bleibt die Herausforderung, die Stimmen des Establishments besser
mit denen der Illegalisierten und Verlorenen zu orchestrieren. Aber das
läuft schon. Bislang hatte das ZPS mit Lernprozessen eher kein Problem.
22 Jun 2015
## AUTOREN
Ines Kappert
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Otto Schily
Griechenland
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