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# taz.de -- Debatte Zentrum für politische Schönheit: Das Ikea der Aktionskun…
> Es ist nicht immer schön, hat aber Zukunft: Das Zentrum für politische
> Schönheit ist zum Ikea der sozialen Bewegungen geworden.
Bild: Köttbullar: ein Ikea-Erfolgsprodukt. Wo ist da die Parallele zum Zentrum…
Als der 17-jährige Schwede Ingvar Kamprad im Jahr 1943 begann, mit
Streichhölzern und Kugelschreibern zu handeln, war nicht abzusehen, dass
aus ihm einst ein Entrepreneur, Missionar und mutmaßlich ein großer
Weltverbesserer werden würde. Als der Philosophiestudent Philipp Ruch
begann, sich mit moralischem Handwerkszeug zu bewaffnen, war das auch so.
Heute ist Kamprad Chef des Möbelimperiums Ikea. Und Ruch schickt sich an –
nun ja: eine Nummer kleiner – ein erfolgreicher Politikunternehmer zu
werden.
Das Zentrum für politische Schönheit, dessen künstlerischer Leiter Ruch ist
und das zuletzt Schlagzeilen machte mit der Behauptung, [1][an den
europäischen Außengrenzen gestorbene Flüchtlinge exhumiert und in Berlin
beerdigt zu haben], ist zum Ikea der sozialen Bewegungen geworden.
Es gibt ein Objekt in der wiederkehrenden Protestchoreografie des Zentrums
für Politische Schönheit, an dem sich diese Parallele besonders deutlich
zeigt: die Bauanleitung. Wie Ikea liefert auch das Zentrum textfreie
Bauanleitungen. Darauf ist zu sehen, welche Bauteile nötig sind – und wie
vorzugehen ist – etwa, um auf der Reichstagswiese in Berlin ein Grab
auszuheben. Über einhundert solcher „Gräber“ entstanden Mitte Juni im
Anschluss an eine Demonstration am Deutschen Bundestag – spontan ausgehoben
von etlichen, ja, was denn eigentlich: Ungehorsamen? Mitläufern?
Protestkonsumenten?
Anders als bei basisdemokratischen Aktivistengruppen, die viel Wert darauf
legen, vor politischen Protestaktionen ihre „Bezugsgruppen“ zu definieren,
einen „Aktionskonsens“ auszuformulieren und dabei stets ihre „Bedürfniss…
zu artikulieren, ist für derlei Ansprüche beim Zentrum kaum Platz. Es ist
PR-Protest. Von oben geplant, präzise platziert und ohne Zeit für allzu
viele Widersprüche.
## Zum Protestkonsum verführt
Das Beachtliche dabei ist: Selten hat ziviler Ungehorsam so spontan und gut
funktioniert wie bei den sogenannten Kunstaktionen, die das Zentrum im
Programm hat. Als die Gruppe um Philipp Ruch anlässlich des 25-jährigen
Mauerfalljubiläums unbemerkt eine Gedenkstätte am Bundestag
abtransportierte, entstand die öffentliche Erregung darüber exakt in der
Weise, wie das Zentrum sie zuvor kalkuliert hatte.
In den 1970er Jahren propagierte der Einrichtungskonzern IKEA seine Möbel
als Modeartikel und Verbrauchsgegenstände. Das Motto: „Benutze es und wirf
es weg.“ Beim Zentrum funktioniert vieles ähnlich wie im erfolgreichsten
Möbelhaus Europas. Die Protestprodukte sind extrem gut designt, exakt auf
ihren vorübergehenden Nutzen zugeschnitten – und billig zu haben. So
verführt das Zentrum Tausende Menschen zu einem Protestkonsum, die sich
sonst womöglich nie bedienen würden. Dieses Prinzip ist erfolgreich: Es
ermächtigt viele zur spontanen politischen Teilhabe, wo sonst Handarbeit
gefragt wäre. Anders als bei Onlineplattformen wie Campact geht die
Ermächtigung jedoch recht weit. Erstmals seit den 80er Jahren gelingt es
dabei wieder, echte antagonistische Positionen in den Mittelpunkt
öffentlicher Debatten zu stellen. Bei einer ihrer letzten Aktionen schickte
das Zentrum Freiwillige, mit Bolzenschneidern bewaffnet, in Bussen auf eine
tagelange Reise an die europäischen Außengrenzen. Sie sollten dort den
„europäischen Mauerfall“ inszenieren. Die Manager dieses Mauerfalls flogen
übrigens per Flugzeug nach.
Ankerpunkt dieser Ermächtigung ist ein identitärer Imperativ, der sich
stets auf der moralischen Gewinnerseite verortet und ein durchaus
autoritäres Moment hat: Wer es trotz aller Sympathien für die imposanten
Aktionen unwürdig findet, Politik mit den Leichen von Flüchtlingen zu
machen, sieht sich mit einer einfachen Antwort konfrontiert: Die Geschichte
wird beweisen, dass du auf der falschen Seite gestanden haben wirst.
## Moralische Geiselhaft
Aus dieser moralischen Geiselhaft, die angesichts von 23.000 im Mittelmeer
Ertrunkenen ihre Berechtigung hat, erwächst eine Art Gewissensrendite: Wer
an der Seite des Zentrums marschiert, marschiert, falls das möglich ist,
für den Humanismus.
Natürlich bleiben Konzepte wie diese nicht unwidersprochen. Auch aus linken
und linksradikalen Aktivistenkreisen, erhalten die Aktionen des Zentrums
inzwischen vielseitige Kritik. Und natürlich reagieren auch viele erprobte
Stuhlkreisaktivisten allergisch darauf, dass plötzlich eine hierarchisch
organisierte Kombo mit einer Art PR-Aktivismus für Zulauf sorgt, auf den
viele andere seit Jahren erfolglos hinarbeiten.
Dass sich an der polemisch als „Marsch der Entschlossenen“ genannten
Demonstration des Zentrums mehr Menschen beteiligt hatten als an der einen
Tag zuvor stattfindenden Blockupy-Demonstration in Berlin, zu der Dutzende
Gruppen gerufen hatten, zeigt an: Unter den gewandelten Bedingungen eines
medienökonomisch unnachgiebigen Aufmerksamkeitsmarktes muss politischer
Protest auch neu inszeniert und repräsentiert werden.
## Beliebter und billiger Trick
Das Zentrum, das sich selbst Zentrum nennt, stellt hier die Avantgarde –
und feiert sich auch durchaus selbst dafür. Nicht zu Unrecht: Die Art und
Weise, wie es in der Lage ist, Diskurse zu bestimmen, zu beeinflussen und
auf vielfältige Weise zu stimulieren, ist beeindruckend. Dass es
gleichzeitig zu echten Formen des zivilen Ungehorsams animiert, macht diese
Position noch stärker.
Dabei ist durch den immer beliebter werdenden und doch billigen Trick,
Protest als Kunstformat zu verkaufen, in den aktivistischen Milieus derzeit
einiges im Wandel. Einige unterstellen, dass der Kunstbegriff für den
politischen Aktivismus des Zentrums lediglich adaptiert wird, um beim immer
neuen Bruch gesellschaftlicher Tabus auch juristisch in einem Schonraum
agieren zu können. Das ist ein Trugschluss.
Wichtiger ist: Mit dem permanenten Kunstbezug hält eine statusbezogene
Anspruchshaltung Einzug in die sozialen Bewegungen, die diesen Bewegungen
vom Grundsatz her nicht zuträglich ist: der Anspruch auf das Urheberrecht
einer Aktion.
## Markenkern Kunst
Fast amüsant mutet es an, dass Blockupy-Aktivisten im Vorfeld ihrer eigenen
Demonstration ernsthaft dachten, sie könnten vielleicht das Zentrum zu
einer gemeinsamen Demonstration gewinnen. Das Zentrum hat daran kein
Interesse. Es sieht seine Proteste stolz als „Regiewerk“ – und natürlich:
Nach allen Regeln der Kunst muss dies auch abgrenzbar und wiedererkennbar
sein. Anders als Aktivismus hat Kunst einen Markt, der Produzent einen
Markenkern und dieser Markenkern einen Wert.
Ikea ist ja keinesfalls nur ein Teufelskonzern. Die schwedische
Möbelphilosophie hat handwerklich und ästhetisch eine partizipative
Revolution des Sich-Einrichtens hervorgebracht. Auch das Zentrum für
Politische Schönheit ist dabei, die bisherigen Einrichtungsregeln sozialer
Bewegungen radikal infrage zu stellen. Das ist nicht ausschließlich schön.
Aber es hat Zukunft.
5 Jul 2015
## LINKS
[1] /Aktivisten-beerdigen-Fluechtlinge-in-Berlin/!5204106
## AUTOREN
Martin Kaul
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Protest
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