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# taz.de -- Aktionskunst in Berlin: „Alle Wärme geht vom Menschen aus“
> Mit seinem Büro für ungewöhnliche Maßnahmen begleitet Kurt Jotter die
> Alternativbewegung. Derzeit ist er mit Performances zum Mietenthema
> aktiv.
Bild: „Petry Heil!“ Aktion von Kurt Jotter (rechts) bei der TTIP-Demo im Se…
taz: Herr Jotter, Sie haben zuletzt zahlreiche Performances mit
MietrebellInnen gemacht. Warum engagieren Sie sich in diesem Gebiet so
stark?
Kurt Jotter: Es gehört zu den Grundstandards der Menschlichkeit, eine
Wohnung zu haben. Sie ist gewissermaßen die dritte Haut des Menschen. 85
Prozent der MieterInnen in Berlin sind existenziell auf bezahlbare
Wohnungen und die Mieterrechte angewiesen. Zu diesem gesellschaftlichen
Bewusstsein möchte ich mit künstlerischen und medialen Mitteln beitragen.
Sie haben bereits vor fast 30 Jahren in Westberlin eine MieterInnenbewegung
unterstützt. Was hat sich seitdem geändert?
Mit der Lichtkunstaktion „Berlin wird helle“ haben wir damals zum
Frühjahrsbeginn 1987 mit dem Berliner Mieterverein gegen die Aufhebung der
Mietpreisbindung in Westberlin protestiert. Wir projizierten auf Hunderte
Häuserwände Protest-Dias der Mieter und Entwürfe eines großen
Künstlerwettbewerbs. Das war im Rahmen einer Kampagne, die mit dem
Deutschen Gewerkschaftsbund und den Oppositionsparteien und allen
Initiativen ein erfolgreiches Bürger-Mieter-Begehren startete. Das macht
deutlich, dass die Aktionen von einer Massenbewegung unterstützt wurden,
die es heute nicht gibt.
Wie würden Sie Ihre künstlerische Arbeit beschreiben?
Ich sehe mich als politischen Aktions-, Konzept- und Multi-Media-Künstler
und arbeite interdisziplinär zwischen Print, Theater, Video und Performance
– im Sinne von „Realmontagen“ im öffentlichen Raum. Meine frühkindliche
Heimat liegt bei den dadaistischen Rebellen, John Heartfield, der frühe
Meister der Fotomontage, war der erste Impulsgeber. Das Bild wird zur
Gesamtmontage, als theatralische Inszenierung mit Humor, sodass das Lachen
im Hals stecken bleibt. Dadurch entsteht der Anreiz, sich mit der Sache zu
befassen. Es geht auch darum, ein Gefühl der Befreiung zu erzeugen im Sinne
von Dario Fo: „Es wird ein Lachen sein, das sie beerdigt.“
Humor und Politik, das harmoniert ja nicht immer. Hatten Sie nicht manchmal
Probleme mit Ihren Aktionen bei den linken AktivistInnen?
Wir agierten innerhalb der damals schnell wachsenden Bürgerinitiativ- und
Alternativbewegung, die sich von der Realitätsferne und Humorlosigkeit der
K-Gruppen frühzeitig abgesetzt hatte. Unsere damals entstandenen Plakate
waren in dieser ständig wachsenden Bewegung sehr gefragt und finanzierten
unsere Arbeit über Jahre. Gemeinsam mit der 2014 verstorbenen
Kulturwissenschaftlerin Barbara Petersen gründete ich 1977 die
Künstlergruppe „Foto, Design, Grafik, Öffentlichkeit“ (FDGÖ) – der Name
spielte auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die
Berufsverbote an.
Mit dem 1987 gegründeten Büro für ungewöhnliche Maßnahmen (BfM) bekamen Sie
Preise, es wurde in Spiegel, „Tagesschau“ und vielen anderen Medien über
verschiedene Aktionen berichtet. Was waren die Höhepunkt Ihrer Arbeit?
Am 11. Juni 1987 der Mauerbau auf der Kottbusser Brücke als
„Anti-Kreuzberger-Schutzwall“ gegen die Abriegelung Kreuzbergs beim
Berlinbesuch von Ronald Reagan, danach die Jubelparade als Abgesang auf die
Berliner 750-Jahr-Feiern mit 5.000 ParodistInnen aus der gesamten Szene und
vieles andere mehr, einiges ist auch auf Wikipedia zu lesen. Auch
Soloaktionen erregten Aufsehen: zum Beispiel eine lebende Haider-Karikatur
in Salzburg, die in blauem FPÖ-Schal als Exhibitionist mit einem Hakenkreuz
vorm Geschlechtsteil dessen Salon-Faschismus demonstrierte – bis zur
Festnahme.
Nach einer längeren Pause machte sich das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen
seit 2013 mit Aktionen wieder an ein Comeback. Gerade eben waren Sie aber
auch Mitorganisator des stadtpolitischen Hearings der Initiativen zu den
Koalitionsverhandlungen. Geht es jetzt in die Realpolitik?
Bei mir gab es nie diese Trennung von Kunst und Politik oder Form und
Inhalt. Ich bin froh, wieder in Berlin aktiv zu sein und hoffentlich wieder
in der Heimstätte des „Büros“, der ehemals besetzten Fabrik „Kerngehäu…
Hier denkt man wieder an den Druck und die Kraft der alten Zeiten und weiß,
was alles möglich sein kann.
Was ist Ihr persönlicher Antrieb bei Ihren Aktivitäten?
Für mich waren immer zwei Faktoren entscheidend: Gerechtigkeit und
Effektivität. Eine noch so gute künstlerische Public Relations nützt
überhaupt nichts, wenn das zu stärkende Subjekt als Bewegung zersplittert
und keine relevante Kraft mehr ist. Hier können Impulse zur Vernetzung und
Vereinigung für die PR entscheidend sein. Was bleibt, ist auch die
Rückbesinnung auf die Grundlagen der Menschlichkeit. Zum Schluss unseres
Textes „Das Lachen im Halse“ heißt es: „Erster Vorschlag zur notwendigen
Neuauflage der Energie-Debatte: Alle Wärme geht vom Menschen aus – der Rest
kommt von der Sonne.“
21 Dec 2016
## AUTOREN
Peter Nowak
## TAGS
Aktionskunst
Aktivismus
Aktionskunst
Protest
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