# taz.de -- Der Künstler Axel Loytved: Skurrile Techniken | |
> Axel Loytved macht aus Schneeklumpen Plastiken von zufälliger Gestalt. | |
> Außerdem hat er den unkonventionellen Kunstverein St. Pauli mitgegründet. | |
Bild: Mag den Zufall: Der Hamburger Künstler Axel Loytved. | |
BRAUNSCHWEIG taz | Wer kennt das nicht: Man vergisst ein Tempo in der | |
Hosentasche und findet nach der Maschinenwäsche einen amorphen Klumpen vor. | |
Vielleicht Ekel, vielleicht auch Faszination ob des formalen | |
Zufallsergebnisses kommen dazu. Hier setzt der Hamburger Künstler Axel | |
Loytved an, er überführt derartige Funde in „Hosentaschenobjekte“, | |
abgegossen in Bronze beispielsweise. | |
Gibt es hierfür über den bizarren Humor hinaus eine theoretische Basis? | |
Axel Loytved, 30, kommt locker zum Gespräch in seine aktuelle Ausstellung | |
im Braunschweiger Kunstverein. Sofort wird klar: Mit akademischen | |
Kategorien kommt man bei Loytved nicht weiter. Seine umfängliche | |
Kunstproduktion lässt sich auch nicht auf die Umdeutungsstrategien der | |
Hosentaschenobjekte reduzieren. | |
Der in Bad Mergentheim geborene Loytved ist auf dem Dorf aufgewachsen, | |
genauer: in Waldmannshofen im nordöstlichen Zipfel Baden-Württembergs. „Die | |
Dorfzeit war wichtig, man musste alles selber veranstalten“, sagt Loytved | |
dazu. Das setzte sich später in Braunschweig fort, auch an der | |
Kunsthochschule sei man auf produktive Weise auf sich selbst zurückgeworfen | |
gewesen. Hier hat Loytved bei Nicola Torke und Raimund Kummer Bildhauerei | |
studiert und das Studium 2010 abgeschlossen. | |
Im Jahr 2009 gab es noch einen Exkurs zu Christoph Schlingensief, der an | |
der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig als Professor die | |
undefinierbare Disziplin „Kunst in Aktion“ lehrte. „Der war aber nie in | |
Braunschweig“, sagt Loytved, „er holte stattdessen seine Studenten in seine | |
Produktionen. Man war für ein paar Wochen billige Hilfskraft, ist | |
andererseits aber auch hautnah überall dabei gewesen: im Wiener | |
Burgtheater, in Werkstätten, bei jeder Besprechung. Man sah, mit welchem | |
Einsatz Schlingensiefs Inszenierungen entstanden.“ | |
## Das "Reeperbahn-Stipendium" | |
Damals hatte Loytved aber schon seine ganz eigene Form der Aktionskunst | |
gefunden. 2006, noch während des Studiums, zog er nämlich nach Hamburg auf | |
die Reeperbahn und gründete mit Gleichgesinnten den Kunstverein St. Pauli. | |
Dieses WG-Projekt unterlief alle gutbürgerlichen Vorstellungen von einem | |
Kunstverein. Sofort wurde das „Reeperbahn-Stipendium“ vergeben: Bett und | |
Kaffeemaschine für maximal zwei Wochen, als Gegenleistung eine Ausstellung. | |
Drei Jahre hielt man so durch, schaffte rund 30 Veranstaltungen mit | |
Freunden aus Braunschweig und Hamburg. Das bescherte Förderungen wie die | |
von der Stiftung Kunstfonds aus Bonn. | |
Seit 2010 ist die Künstlertruppe nun in wechselnder Besetzung mit einem | |
außen wie innen schwarz lackierten Überseecontainer mit Totenkopfemblem | |
unterwegs. Der Container dient dazu, Arbeiten zu transportieren, die | |
andernorts ausgepackt und gezeigt werden. Parallel zu diesen Ausstellungen | |
werden im Container Künstlerpublikationen präsentiert. Außerdem wird eine | |
integrierte Bar als Kino, Bühne und Veranstaltungsraum genutzt. | |
## Projekt mit langer Lebensdauer | |
In den vergangenen zwölf Monaten wurden so vier Kunstvereine besucht: | |
Langenhagen, Leipzig, Heidelberg und Gartow im Wendland. Dabei erweiterten | |
ortsspezifische Arbeiten und Gastkünstler das Spektrum. Ein Abstecher zum | |
Essener Festival Emscherkunst wird im August die letzte Station dieses | |
Jahres sein. „Und danach gibt es eine Ruhepause. Unsere Gruppe übertrifft | |
ohnehin schon die Lebensdauer derartiger Projekte“, so Loytved. | |
Daneben verfolgt Axel Loytved seine individuellen ästhetischen Experimente. | |
Wie beispielsweise für seine aktuelle Ausstellung im Braunschweiger | |
Kunstverein. Vierzehn dunkle Brocken liegen dort auf dem Fußboden. Es | |
handelt sich um Abgüsse von Schneeklumpen, wie sie sich bei entsprechender | |
Witterung in den Radkästen der Autos bilden, unter der Karosserie als | |
schmutzige Massen herauswuchern und, irgendwann vielleicht, auf der Straße | |
landen. | |
Diese temperatursensiblen Gebilde habe er lange wahrgenommen, sagt Loytved, | |
wusste aber nicht, wie er sie in stabile Körper übersetzen könnte. Also | |
kaufte er erst einmal im Secondhand-Laden eine Tiefkühltruhe und lagerte | |
seine Funde ein. | |
## Schnee und Gips | |
Der Ausstellungsetat des Braunschweiger Kunstvereins gestattete ihm dann | |
seine Versuche. Gips ist das einzige Abformmaterial, das auch bei | |
Minusgraden funktioniert, entwickelt beim Abbinden allerdings Wärme. Die | |
Schneeklumpen schmolzen also weg, was den Abformprozess nicht eben | |
einfacher machte und eine zweite Gipsschicht erforderte. | |
Die Bronzemasse, die anschließend die Hohlformen füllte, musste nach dem | |
Erhärten geborgen werden, indem die Gipsformen zerstört wurden. Sie waren | |
also ebenso flüchtiges Element in einem komplizierten | |
Transformationsprozess wie die verschwundenen Ausgangsformen selbst. | |
Begleitend hängt Loytved drei kreisrunde Flächen an die Wände des | |
Kunstvereins. Er fand die üppig marmorierten Tischplatten | |
geschmacksverwirrter Wohnidyllen für wenig Geld beim Trödler und war sofort | |
fasziniert von ihrer geradezu psychedelischen Wirkung. Nun hängen sie wie | |
Tondi, diese ehrwürdigen Rundbilder der Renaissancemalerei, an der Wand. | |
In diesem Fall ist die Umdeutung auf eine schiere Präsentationsgeste | |
reduziert, die Erwartung, dass etwas Weiteres mit dem Material passiert | |
wäre, wird ja eben nicht erfüllt. | |
„Ich hab ein Spezialistentum für skurrile Techniken entwickelt, sie stehen | |
aber nie im Mittelpunkt“, sagt Loytved. Die drei Platten zeigen, wie simpel | |
die Werteverschiebung im Kunstkontext funktioniert. Man könnte sie somit | |
als Endpunkt einer langen Reihe von Beweisführungen Loytveds ansehen. | |
## Axel Loytved: „Stressed Desserts“. Bis 18. August, Kunstverein | |
Braunschweig | |
8 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
## TAGS | |
Aktionskunst | |
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