# taz.de -- Nachruf auf Kurt Jotter: Humor als Waffe | |
> Kurt Jotter bereicherte die MieterInnenbewegung, weil es ihm gelang, | |
> aktuelle Proteste mit Aktionsformen der 1980er Jahre zu verbinden. | |
Bild: Kurt Jotter bei einer seiner ungewöhnlichen Maßnahmen im Jahr 1988 | |
BERLIN taz | „Deutsche Wohnen – Gier, die muss sich lohnen“ und „Hai se… | |
Frei sein“, skandierte eine Gruppe von DemonstrantInnen im September 2017 | |
auf einer Protestkundgebung gegen den Berliner Immobilienkongress. Inmitten | |
der „Hai-Soceity“, wie sich der kleine Block nannte, agierte mit | |
Schiebermütze und rotem Schal [1][Kurt Jotter.] | |
Für den [2][Berliner Aktionskünstler] spielte Humor in der politischen | |
Arbeit schon in den 1970er Jahren eine wichtige Rolle. Zusammen mit der | |
2014 verstorbenen Kulturwissenschaftlerin Barbara Petersen gründete er 1977 | |
die Künstlergruppe „Foto, Design, Grafik, Öffentlichkeit“ (FDGÖ). Der Na… | |
und das Logo spielten auf die viel zitierte freiheitlich-demokratische | |
Grundordnung an. | |
[3][Die Aktionen des 1987 von Jotter und Petersen gegründeten „Büros für | |
ungewöhnliche Maßnahmen“] wurden sogar im Spiegel und der „Tagesschau“ | |
erwähnt. Am 11. Juni 1987 inszenierte es den Mauerbau auf der Kottbusser | |
Brücke als „Anti-Kreuzberger-Schutzwall“ gegen die Abriegelung Kreuzbergs | |
während des Berlin-Besuchs von Ronald Reagan. Auch die vom Büro für | |
Ungewöhnliche Maßnahmen organisierte Jubelparade als Abgesang auf die | |
Berliner 750-Jahr-Feiern 1987 sorgte für Aufsehen. Hier traten Linke auf, | |
die Humor zur Waffe machten. | |
## Inszenierung mit Biss | |
„Ich sehe die Aktionen als Realmontage im öffentlichen Raum – als | |
theatralische Inszenierung mit Biss und oft auch mit Satire“, beschrieb | |
Jotter seine Arbeitsweise. Dabei traten für ihn die politischen Inhalte | |
aber nie in den Hintergrund. „Das Lachen soll im Halse stecken bleiben, und | |
dadurch entsteht der Anreiz, sich mit der Sache zu befassen“, so Jotters | |
Hoffnung. „Das Lachen im Halse“ war auch der Titel einer Ausstellung im | |
Jahr 2014 im Friedrichshain-Kreuzberg-Museum, bei der zahlreiche Arbeiten | |
Jotters aus den letzten 40 Jahren präsentiert wurden. | |
Zu dieser Zeit hatte sich Jotter [4][nach einer mehrjährigen Pause wieder | |
der Aktionskunst] gewidmet. Bei Aktionen gegen die AfD war er ebenso mit | |
seinen Installationen anzutreffen wie bei vielen Sozialprotesten. Den | |
Schwerpunkt seines Engagements legte Jotter aber auf die Berliner | |
MieterInnenbewegung. Dabei war es ihm wichtig, Performances und | |
Installationen gemeinsam mit von Verdrängung betroffenen MieterInnen zu | |
gestalten. | |
So inszenierte Jotter zusammen mit MieterInnen aus Schmargendorf 2017 vor | |
dem Reichstag die Performance DÄMMokratie. Damit protestierten sie gegen | |
energiepolitisch fragwürdige Dämmmethoden, mit denen Eigentümer die Mieten | |
erhöhen können. Auch mit von Zwangsräumung bedrohten MieterInnen | |
inszenierte Jotter Kunst als Widerstand. | |
Letztes Jahr wurde Jotter als Radfahrer in Berlin von einem Auto erfasst | |
und schwer verletzt. Davon erholte er sich nicht mehr. Am für die | |
Westberliner Apo so wichtigen 2. Juni ist Jotter im Alter von 72 Jahren | |
verstorben, wie erst kürzlich bekannt wurde. | |
„Kurt Jotter bereicherte die MieterInnenbewegung, weil es ihm gelang, | |
aktuelle Proteste mit Aktionsformen der 1980er Jahre zu verbinden“, | |
beschreibt der Regisseur Matthias Coers die wichtige Rolle seines Freunds | |
bei den Protesten der letzten Jahre. Er organisiert am 22. September einen | |
Gedenkabend für Jotter im Kunsthaus KuLe in der Auguststraße 10 im Rahmen | |
der „artweek“. | |
26 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Peter Nowak | |
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