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# taz.de -- Zentrum für Politische Schönheit: Laute Selbstdarstellung, stille…
> Das Zentrum für Politische Schönheit inszenierte in Berlin die Beerdigung
> eines Flüchtlings. Hingehen? Unser Autor zögerte.
Bild: Viele Stühle blieben leer. Die eingeladenen PolitikerInnen blieben fern.
Berlin taz | Erst wollte ich den Auftrag, über die vom Zentrum für
Politische Schönheit auf dem Landschaftsfriedhof Gatow inszenierte
Flüchtlingsbeerdigung zu schreiben, ablehnen. Weil ich mich bei dem Thema
nicht kompetent fühle, weil mir die Ankündigung der Aktion und die
Selbstdarstellung der Aktionskünstler zu reißerisch vorkam: „Das Zentrum
für Politische Schönheit (ZPS) ist eine Sturmtruppe zur Errichtung
moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit
– zum Schutz der Menschheit“, heißt es auf ihrer Internetseite.
Außerdem sitze ich als freier Autor in prekären Verhältnissen fast immer zu
Hause und hatte Angst, mich auf dem Weg zum Friedhof Gatow zu verlaufen.
Nun freue ich mich, kurz nach acht wie ein echter Arbeitnehmer zur Arbeit
zu fahren. In der U-Bahn sitzt mir der SPD-Politiker Jan Stöß gegenüber. An
seinem Koffer baumelt ein kleines Rentier. Später genieße ich die Fahrt mit
dem Bus Richtung Gatow.
Vor dem Haupteingang des Friedhofs warten vielleicht zwei Dutzend
Medienvertreter. Die meisten machen Bilder, die anderen schreiben in ihre
Moleskines und interviewen die AktivistInnen, die aus symbolischen Gründen
schwarze Rußstreifen auf ihre Gesichter gemalt haben. Einer erklärt, wie
sie an den Außengrenzen der EU, in Griechenland und Italien recherchiert
hatten, wie überfordert die Behörden dort sind, wie entsetzt sie waren,
dass die toten Flüchtlinge dort teils in Müllsäcken lagerten und unwürdig
bestattet werden, dass sich niemand die Mühe gemacht hatte, ihre Identität
herauszufinden, obgleich das einfach gewesen wäre, weil viele der
Flüchtlinge Ausweispapiere dabei gehabt hätten.
Sie hätten die Identität einer syrischen Frau recherchiert, die vor
Lampedusa ertrunken war; ihren Mann, der überlebte und inzwischen in
Deutschland ist, verständigt und mit seiner Einwilligung die Leiche der
Frau exhumiert und nach Deutschland gebracht. Um die traumatisierten
Angehörigen zu schützen, wurde ihr Name nicht genannt.
## 39 leere Stühle für geladene Gäste
„Diese Frau wurde von den Politikern auf das Meer gezwungen, als sie die
militärische Abschottung Europas, mit Frontex usw. beschlossen. Herr de
Maizière, können Sie noch gut schlafen?“, sagt Stefan Pelzer, der
„Eskalationsbeauftragte“ der Gruppe. Mittlerweile sind es vielleicht 100
Trauergäste, mehr als die Hälfte Medienvertreter beziehungsweise
Kunstaktivisten. Vor der Grabstelle stehen 39 leere Stühle mit
Namensschildern für die geladenen Gäste, Angela Merkel, Thomas de Maizière
und die anderen Beamten, die für den Tod der Flüchtlinge verantwortlich
gemacht werden. Im Hintergrund die Fahnen der EU-Länder. Vier Polizisten
beobachten alles.
Die Beerdigung ist dezent und würdevoll. Der Iman Abdallah Hajjir findet
die richtigen Worte. Die Trauergemeinde wirkt befangen. Für die meisten ist
es die erste muslimische Beerdigung ihres Lebens. Nur zehn etwa trauen
sich, nach der Rede des Imans an das Grab zu treten, um Blumen hinzulegen
und Erde ins Grab zu werfen.
Politiker sind keine da. Vielleicht wären einige und auch VertreterInnen
gesellschaftlicher Institutionen gekommen, wenn die KünstlerInnen ihre
Arbeit leiser angekündigt hätten. Wenn sie nicht der naheligenden
Überlegung gefolgt wären, eine ganze politische Kaste als gewissenlose
Mörder zu denunzieren. Wenn sie darauf verzichtet hätten, eine moralische
Front zu bilden, zwischen den Mitleidlosen da und den Guten hier. Keine
Ahnung.
Später unterhalte ich mich mit KollegInnen, die das Ereignis in die Welt
tragen werden. Sie sagen, ein schlechter Text mit Bild in der Bild wäre
wichtiger als ein guter Text in der Jungle World.
18 Jun 2015
## AUTOREN
Detlef Kuhlbrodt
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Wolf Biermann
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